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Putin räumt in Russland auf: Neue Regierung ohne Sergej Schoigu


Putin entlässt Schoigu
Hinter seiner Fassade herrscht Wut


13.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident sorgt mit seiner Regierungsbildung für einen Paukenschlag.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident sorgt mit seiner Regierungsbildung für einen Paukenschlag. (Quelle: Gavriil Grigorov/ap)

Mitten im Ukraine-Krieg tauscht Wladimir Putin überraschend seinen Verteidigungsminister aus. Was steckt dahinter?

Sie gelten als enge Vertraute, die in der Vergangenheit auch privat viel Zeit miteinander verbrachten. Kremlchef Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu gingen gemeinsam in Sibirien auf die Jagd, saßen oberkörperfrei beim Angeln am See, spielten Eishockey miteinander. Schoigu war nicht nur viele Jahre ein Mann in Putins Schatten, er zählte bislang auch zu den wichtigsten Weggefährten des russischen Präsidenten. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stand auch der Verteidigungsminister immer wieder in der Kritik, doch Putin hielt stets an ihm fest. Bis jetzt.

Nach Putins Wahlsieg im März wird Schoigu im Zuge der Regierungsbildung in Russland nicht erneut Verteidigungsminister werden. Sein Nachfolger soll der bisherige Vizeregierungschef Andrej Beloussow werden – ein Zivilist und Ökonom. Das kommt durchaus überraschend.

Zwar hatten Experten erwartet, dass Putin mit der neuen Regierungsbildung ein Zeichen des Aufbruchs setzen wollte. Doch Schoigu galt viele Jahre als unantastbar. Der russische Präsident zielt nun mit diesem Paukenschlag einerseits auf die Festigung seiner Macht in Russland, weil er mit Beloussow einem weiteren Vertrauten zum Aufstieg verhilft. Andererseits zeigt die Absetzung von Schoigu auch, dass Putin mit dem Verlauf des Ukraine-Krieges nicht so zufrieden ist, wie er es öffentlich kommuniziert.

Naive Invasion in der Ukraine

Als Verteidigungsminister ist Schoigu in den vergangenen zwei Jahren zu einem der Gesichter dieses Krieges geworden. Das schließt auch aus Perspektive des Kremls die zahlreichen Misserfolge mit ein. So scheiterte der Vormarsch der russischen Armee auf Kiew, Soldaten der russischen Armee und der Nationalgarde starteten die Invasion schlecht ausgerüstet und rückten teilweise in ungepanzerten Fahrzeugen in die Ukraine ein. Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace berichtete, dass Schoigu ihm kurz vor dem Beginn des russischen Angriffs in Moskau sagte, dass die Ukraine nicht kämpfen werde.

Eine Fehleinschätzung, die Tausenden russischen Soldaten das Leben kostete.

Putin ließ stets Spekulationen zu, er sei im Vorfeld des Ukraine-Krieges falsch informiert gewesen. Öffentlich war Schoigu oft der Sündenbock. Und dessen ärgster Feind war der einstige Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. In wütenden Audiobotschaften beschimpfte er den Minister als "Drecksack" und "alten Clown". Schoigu und nicht Putin war das Ziel von Prigoschins Meuterei im Juni 2023: "Dieses Schwein wird verhaftet", sagte Prigoschin, der später bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam, bevor er seine Männer nach Moskau schickte.

Prigoschins Anschuldigungen verfingen in Teilen der russischen Öffentlichkeit und im Militär. Mit der Absetzung von Schoigu befreit sich Putin nun auch von dem Nimbus des Versagens.

Der Kreml militarisiert die russische Öffentlichkeit derzeit immer weiter und befeuert das Narrativ, dass es Russland in der Ukraine mit dem kollektiven Westen aufnehmen kann. Dafür lässt Putin westliche Panzer in Moskau ausstellen, an dieses sowjetische Erbe möchte er anknüpfen. Und dafür braucht der russische Präsident ein Aufbruchsignal, das er nun wohl mit der Regierungsbildung setzen wollte. Schoigu konnte als Verteidigungsminister eben nicht mehr zum Gesicht dieses russischen Patriotismus werden.

Militärische Erfolge kommen zu spät für Schoigu

Ein solches Zeichen war absehbar. In Moskau wurde in diplomatischen Kreisen lange darüber spekuliert, welcher von Putins Ministern ausgetauscht werden würde. Es mehrten sich Gerüchte, dass es den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen könnte. Lawrow soll müde sein, eigentlich keine Lust mehr haben. Doch Putin wollte, dass Lawrow weitermacht – und dieser tut ihm den Gefallen, vorerst zumindest.

Schoigu und Lawrow gehören zu den langjährigen Weggefährten des russischen Präsidenten. Putin setzte in seinem Machtzirkel oft auf Beständigkeit, für ihn war bei der Besetzung seiner Kabinette vor allem Loyalität ein entscheidendes Kriterium. Deshalb stellt der Abschied Schoigus aus dem entscheidenden Machtzirkel des Kremls eine Zäsur dar.

Putin scheint in seinem Verteidigungsapparat aufräumen zu wollen. Vor wenigen Wochen war einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Beobachter hatten das als Zeichen für Machtkämpfe im russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet. Trotzdem möchte der Kreml offenbar die aktuellen Operationen im Ukraine-Krieg nicht gefährden. Generalstabschef Waleri Gerassimow bleibe an seinem Platz, betonte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntag. Die militärische Komponente im Verteidigungsministerium bleibe auch nach der Ernennung von Andrej Beloussow zum neuen Verteidigungsminister unverändert.

Die russische Armee ist in der Ukraine momentan in der Offensive, macht Fortschritte. Für Schoigu kam dieser Erfolg, aus russischer Sicht, offenbar zu spät.

Beloussow soll Effektivität der Kriegswirtschaft erhöhen

Aber warum Beloussow? Auffällig ist, dass sich auch der neue Verteidigungsminister seit vielen Jahren in Putins Machtzirkel befindet. Bereits 2012 war er Minister für wirtschaftliche Entwicklung, von 2015 bis 2020 der oberste Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten. Putin und Beloussow kennen sich – und in ihm sieht der Kremlchef wahrscheinlich keine Gefahr für seine Macht.

Denn in Russland ringen Technokraten, politische Eliten aus mächtigen Familien und Militärs um Einfluss. Auch jüngere Politiker hoffen auf Aufstiegsmöglichkeiten, da der Machtzirkel im Kreml unter Putin meistens vom gleichen Personal besetzt wird. Putin verhilft nun einem loyalen Beamten zum Aufstieg, der aus keinem dieser aufstrebenden Gruppen stammt. Das dient wahrscheinlich dazu, seine eigene Macht zu festigen. Das Signal: Putin ist und bleibt das einzige Machtzentrum in Russland.

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Beloussow steht dem russischen Präsidenten außerdem auch ideologisch nahe. Er spricht von traditionellen Werten, nationalen Interessen Russlands und von äußeren Feinden, die das Land angeblich umgeben und versuchen, dessen Souveränität zu beschneiden. 2014 war er nach Informationen des unabhängigen Portals "The Bell" der einzige aus dem Wirtschafts- und Finanzblock unter Russlands Spitzenbeamten, der die Annexion der Krim unterstützte. Viele andere fürchteten damals die finanziellen Folgen westlicher Sanktionen.

Öffentlich verkauft der Kreml die Berufung als Signal gegenüber der Kriegswirtschaft. "Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen und deren Umsetzung ist", erklärte Kremlsprecher Peskow. Beloussow sei nicht nur Zivilbeamter, sondern habe auch viele Jahre erfolgreich in der Politik gearbeitet. Er sei "zweifellos der beste Kandidat", um den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue Technologien einzuführen, wurde der Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow von der Nachrichtenagentur Tass zitiert.

Was passiert mit Patruschew?

Das ist wahrscheinlich auch ein Teil der Wahrheit. Die vom Kreml oft postulierte Stärke der russischen Armee war in Teilen nur Fassade. Für einen längeren Konflikt war Russland nicht gerüstet. Im Ukraine-Krieg müssen russische Soldaten mit Gerät aus dem Kalten Krieg auskommen, Moskau musste Munition aus Nordkorea und Drohnen aus dem Iran kaufen. Zuvor stolz beworbenes Gerät wie der Armata-Panzer konnte zwar bei Paraden über den Roten Platz fahren, aber offenbar nicht in der Ukraine kämpfen.

Über diesen Gesichtsverlust für die russische Rüstungsindustrie wird sich Putin geärgert haben. Außerdem erwartet der Kreml, dass der Krieg in der Ukraine noch länger andauern wird und möchte seine Kriegswirtschaft auf dieses Szenario einstellen. Das spielt besonders dann eine Rolle, wenn das Geld für Putins Krieg aus dem russischen Wohlstandsfonds aufgebraucht ist, was Experten für das Jahr 2025 erwarten.

Dementsprechend ist es aus der Perspektive der russischen Führung sinnvoll, dass ein Wirtschaftsfachmann den Rüstungskomplex aus dem Verteidigungsministerium koordiniert und die Korruption unter Kontrolle bringt. Nun erhofft sich Putin, dass Beloussow die großen staatlichen Ausgaben, die in den Rüstungssektor fließen, besser verwalten kann als sein Vorgänger Schoigu. Wo er die entsprechenden Gelder in der Regierung auftreiben kann, um notfalls Löcher zu stopfen, weiß er jedenfalls aus seiner bisherigen Tätigkeit recht genau.

Für Putin war die Entscheidung, Schoigu abzusetzen, ein schwieriger Balanceakt. Er wollte einerseits ein Aufbruchsignal senden und seinem langjährigen Verteidigungsminister gleichzeitig einen respektvollen Abgang ermöglichen. Deswegen fällt Schoigu weich, ist nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates und ersetzt Nikolai Patruschew. Dieser gilt als Graue Eminenz im Kreml, dem Ambitionen nachgesagt werden, Putin nachfolgen zu können. Die kommenden Tage werden zeigen, wie der russische Präsident damit umgeht. Denn dann wird der Kreml eine Entscheidung verkünden, was jetzt mit Patruschew passieren soll.

Verwendete Quellen
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