Expertin klärt auf Wie das Immunsystem das Altern beeinflusst
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Alt werden und dabei körperlich und geistig gesund bleiben. Davon träumen viele. Eine Ärztin erklärt, welche Faktoren beim Altern eine Rolle spielen und welche davon Sie selbst beeinflussen können.
Je älter wir werden, desto weniger effektiv arbeitet unser Immunsystem. Eine Folge ist das Auftreten von chronischen Entzündungen, die mit altersbedingten Erkrankungen wie Gefäßverkalkungen und Alzheimer, aber auch einer stärkeren Anfälligkeit für Infektionen, verbunden ist – vom gewöhnlichen Schnupfen bis hin zur Lungenentzündung. Der natürliche Alterungsprozesses lässt sich nicht aufhalten, wohl aber verlangsamen.
Dennoch gibt es große individuelle Unterschiede, wie schnell Menschen altern und wie ihr Gesundheitszustand im Alter ist. Welche Faktoren dabei entscheidend sind, erklärt Dr. Anja Kwetkat, Direktorin der Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum in Jena, im Gespräch mit t-online.
t-online: Wie kommt es, dass Menschen altern?
Dr. Anja Kwetkat: Die Alterung ist ein ziemlich komplexer Prozess. Er betrifft nicht nur die Organe, sondern findet auch auf Zellebene statt, zwischen Rezeptoren und Botenstoffen. Doch vieles ist noch ungeklärt und weiterhin Gegenstand der Forschung. So ist beispielsweise unklar, ob es im Körper so etwas wie ein Alterungsprogramm gibt. Man geht heute aber davon aus, dass entzündliche Prozesse im Körper die hauptsächlichen Treiber des Alterungsprozesses sind und den meisten degenerativen Veränderungen zugrundliegen wie beispielsweise der Gefäßverkalkung.
Welche Rolle spielt das Immunsystem dabei?
Viele der Alterungsprozesse gehen auf die Veränderungen im Immunsystem zurück. Was man klinisch sieht, sind die Ergebnisse dieser Entzündungsprozesse. Dabei fällt auf, dass sich die Gewebezusammensetzung verändert. Je älter ein Körper ist, desto stärker sieht man in den Geweben und Organen Fettablagerungen. Darüber hinaus nimmt die Gewebeelastizität mit zunehmendem Alter ab. Auch daraus ergeben sich funktionelle Veränderungen wie beispielsweise die Faltenbildung.
Kann man sagen, ab wann ein Mensch alt ist?
Medizinisch ist das nicht klar definiert. Altern ist eher eher ein kontinuierlicher Prozess, der schon im Mutterleib beginnt. Solange wir bei den Alterungsprozessen etwas dazugewinnen, spricht man eher von Reifung, wie bei Kindern. Der Begriff der Alterung wird eher mit dem Verlust von Fähigkeiten verbunden. Da die einzelnen Organe aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre maximale Reifung erlangen, lässt sich das nicht für den gesamten Körper an einem bestimmten Alter festmachen. Eine wichtige Rolle spielt der Thymus, in dem das Immunsystem seine Abwehrzellen trainiert. Dieses Organ ist allerdings teilweise schon bei 20-Jährigen komplett degeneriert. Somit ist es auch hier schwer, einen bestimmten Zeitpunkt der Alterung zu definieren. Darüber hinaus ist die Frage 'Wann bin ich alt?' nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern hat auch einen soziokulturellen Hintergrund.
Manche Menschen scheinen innerhalb kurzer Zeit sichtlich zu altern. Wie kommt das?
Auch wenn der Alterungsprozess kontinuierlich ist, gibt es Wendepunkte. Zum Beispiel wenn die reproduktive Phase beendet ist. Bei der Frau sind das die Wechseljahre. Bei Männern sind die Veränderungen nicht so offensichtlich, aber auch hier verändert sich die Hormonproduktion, die nicht ohne Folgen bleibt. Bei jungen Menschen dagegen kann man die Pubertät als wichtige Station im Alterungsprozess sehen. Auch hier spielen hormonelle Veränderungen eine wichtige Rolle. Doch auch auf der Zellebene gibt es ganz viele Interaktionen, die die Alterung begünstigen. Sie sind jedoch bislang noch nicht ausreichend erforscht.
Hält ein gesunder Lebensstil länger jung?
Der Lebensstil hat eine große Bedeutung bei der Alterung. Wir sollten grundsätzlich Dinge vermeiden, die unserem Körper schaden, wie Rauchen, zu viel Essen, zu wenig Bewegung oder zu viel Sonne. Untersuchungen haben gezeigt, dass körperliche Aktivität und eine mediterrane Ernährung mit wenig Zucker, nicht zu viel Fleisch, aber viel Obst und Gemüse das Immunsystem günstig beeinflussen. Die Entzündungsprozesse, die den Alterungsprozess begleiten, können dadurch in einem gewissen Ausmaß etwas abgefangen werden.
Welche Rolle spielt dabei die Darmflora?
Man weiß, dass zuckerhaltige Kost die Entzündungsprozesse fördern kann, was damit zu tun hat, wie die Besiedlung des Darms mit Darmbakterien ist. Über die Ernährung haben wir Einfluss, welche Art von Bakterien sich in unserem Darm einnisten und das Mikrobiom, also die Darmflora, bilden. Sie interagiert mit vielen Prozessen in unserem Körper und beeinflusst unser Immunsystem. Ist das Mikrobiom gestört, kann das die Entstehung entzündlicher Prozesse begünstigen. Man spricht hier auch von "Inflamm-Aging".
Können Sie den Begriff "Inflamm-Aging" näher erläutern?
Hier handelt es sich um eine Wortneuschöpfung, die sich aus den Begriffen "inflammation" (engl. Entzündung) und "aging" (von engl. "age" = alt) zusammensetzt. Man geht davon aus, dass die entzündlichen Prozesse eine wesentliche Grundlage der gesamten Alterung darstellen. Auch degenerative Erkrankungen wie beispielsweise die Alzheimer Krankheit hat etwas mit entzündlichen Prozessen im Gehirn zu tun. Allerdings sollte man wissen, dass der Begriff Entzündung nicht im Sinne von Infektion zu verstehen ist. Die erwähnten Entzündungsprozesse im Körper sind erregerunabhängig.
Es gibt Menschen, die sehr viel jünger wirken, als sie sind. Worin liegt ihr Geheimnis?
Es ist schwer, darauf eine pauschale Antwort zu geben. Alt zu werden und bei relativ guter Gesundheit und Lebensqualität zu bleiben, hat sicherlich auch mit einem gesunden Lebensstil zu tun. Dennoch werden sie kaum einen 100-Jährigen erleben, der Ihnen etwas von mediterraner Diät erzählt. Außerdem sind hochbetagte Menschen auch oft durch schlimme Zeiten gegangen, haben Kriege oder Krisen erlebt. Studien legen nahe, dass ein wesentlicher Faktor fürs gesunde Altwerden im Bereich der Psyche liegt. Auch Bewegung spielt eine wichtige Rolle, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Ebenso die Neugier und der Spaß am Leben sowie eine positive Sicht auf die Dinge.
Frau Dr. Kwetkat, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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