Tagesanbruch Der Plan geht auf
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wer als Tourist auf Erkundungsreise geht, muss auswählen und aussortieren. Für Besucher in Deutschland dürfte Berlin ganz oben auf der Liste stehen, München einen Spitzenplatz belegen, vielleicht ist auch ein Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie drin oder ein Abstecher nach Neuschwanstein. Steuert der Neuankömmling nach der Ankunft in Frankfurt jedoch schnurstracks nach Mannheim, gefolgt von Osnabrück, kommen Fragen auf. Zu sehen gibt's natürlich überall was – aber vielleicht lockt es den Besucher eher zu Freunden und Verwandten?
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Chinas starker Mann Xi Jinping jedenfalls hat sich eine bemerkenswerte Reiseroute ausgesucht. Er ist zu seinem ersten Trip nach Europa seit fünf Jahren aufgebrochen und hat erst mal einen Stopp bei Emmanuel Macron in Frankreich eingelegt. Zu bereden gab es viel: Chinas Unterstützung für Wladimir Putin und dessen Krieg zum Beispiel. Hart zur Sache wird es hinter den Kulissen auch in Wirtschaftsfragen gegangen sein. Die EU bereitet Strafzölle in Bereichen vor, auf die man von Deutschland aus mit besonderem Interesse schaut.
Billige Elektroautos aus China graben der deutschen Industrie das Wasser ab. Peking kickt mit Subventionsmilliarden die Konkurrenz aus dem Geschäft. Herr Xi sieht das natürlich anders und wird mit Vergeltungsmaßnahmen drohen, wenn die EU ihm mit Strafen kommt. Allerdings stottert die Wirtschaft bei ihm zu Hause eher, als dass sie surrt. China braucht die europäischen Märkte – die EU das Geschäft in China aber auch. Wer zuerst blinzelt, verliert.
Heute setzt der prominente Tourist seine Rundreise fort. Ein so wichtiger Mann muss Prioritäten setzen. Bemerkenswert ist deshalb, wohin er überall nicht fährt: nach Berlin zum Beispiel, auch wenn man dort die bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Nation der EU regiert. Andere Schwergewichte Europas sind auf der Reiseroute ebenfalls nicht zu finden. Kein Besuch in Rom, keiner in Madrid, in der Downing Street in London klingelt es auch nicht an der Tür. Den Rest seiner Europareise verbringt der Lenker des asiatischen Riesenreiches stattdessen in Serbien und in Ungarn. Danach geht's zurück nach Hause. Hat er sich verfahren?
Das Besuchsprogramm mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, deshalb wollen wir ihm einen peppigen Titel verpassen. Der könnte lauten: "Besuch beim Brückenkopf". Denn wenn ein Diktator in Europa den Fuß in die Tür bekommen will, ist er in diesen Destinationen an der richtigen Adresse. Manchmal muss man sich kneifen und daran erinnern, dass Viktor Orbán der Premierminister Ungarns ist und nicht der ständige Vertreter Pekings in Brüssel (neben seinem Job als Botschafter Putins). Wenn es darum geht, Chinas Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, hebt in der Runde der EU-Regierungschefs stets ein Mann verlässlich zum Veto die Hand: Für Orbán ist China die Zukunft und Europa eine Altlast, wenn auch eine, die man noch eine Weile melken kann. Mit Kumpel Xi versteht er sich blendend, und das zahlt sich aus: Milliardenbeträge fließen als Investitionen von Peking nach Budapest. Nun löst Orbán bei Xis Besuch seine Treuepunkte ein.
Das Vergnügen ist beiderseits. Die chinesischen Elektroautos, die der EU-Kommission ein solcher Dorn im Auge sind, dass sie beim Import heftige Zölle erheben will, werden demnächst ganz ohne Einfuhrgebühren direkt in Ungarn produziert. Was den Aufbau einer unabhängigen europäischen Akkuindustrie betrifft – einer Schlüsselindustrie für die Energiewende –, hat sich die Konkurrenz aus Fernost auch schon in der EU eingenistet: Im Süden Ungarns baut ein chinesischer Konzern gerade seine eigene Gigafactory. Die Partner sind zufrieden. Orbán freut sich über den Geldsegen, Xi über seine Hintertür. Win-win nennt man das in der Business-Sprache, jedenfalls solange man niemanden in Berlin oder Brüssel fragt.
Aber erst mal kümmert sich der Europareisende um das Zeremoniell. In Serbien nämlich findet die Gedenkfeier zum 25. Jahrestag eines Ereignisses statt, an das sich im Großteil Europas fast niemand erinnert. In China jedoch kennt man es landauf und landab: Als 1999 der Kosovo-Krieg tobte und die Nato eingriff, um Massaker an der Bevölkerung zu verhindern, bombardierten US-Kampfjets die chinesische Botschaft in Belgrad. Es gab Tote. Ein Versehen bei der Zielplanung, beteuerten Nato-Offizielle, aber die Entschuldigung aus dem Westen fand in Peking kein Gehör. Tagelang kam es in chinesischen Städten zu Krawallen gegen amerikanische Einrichtungen. Die patriotische Erregung kam der Kommunistischen Partei damals nicht ungelegen. Auch heute setzt Präsident Xi gerne auf nationalistischen Eifer – vor allem, wenn die Dinge in China nicht so laufen wie gewünscht. Ein paar Seitenhiebe Xis gegen die aggressiven Amerikaner sind deshalb beim heutigen Gedenken zu erwarten.
Serbien hat der damalige Vorfall letztlich genützt. Denn im Verhältnis zu China hat es mittlerweile den Premium-Status erreicht: Präsident Xi hat die Beziehung beider Länder zur "eisernen Freundschaft" erhoben. Die befindet sich zwar ein Level unter der "Freundschaft ohne Grenzen", die exklusiv Putin zuteilgeworden ist. Serbien, dessen komplette Bevölkerung in einem überschaubaren Teil Pekings Platz fände, ist mit seinem Platz im Ranking jedoch hervorragend bedient. Eine Hand wäscht die andere, auch wenn die Hände so unterschiedlich groß sind. Als das Coronavirus sich rasend ausbreitete und medizinische Schutzausrüstung nirgendwo mehr zu bekommen war, ließ Xi Europa abblitzen, aber sandte Ärzte und Material nach Serbien. Damals, auf dem Flugfeld, küsste Serbiens Präsident Aleksandar Vučić vor laufenden Kameras die chinesische Fahne. Heute wünscht er seinem Gönner freie Fahrt im Umgang mit Taiwan, denn "Taiwan ist China" und deshalb könne Xi mit der kleinen Insel machen, was er wolle. Erobern zum Beispiel. Mitgedacht hat Herr Vučić dabei, dass Serbien mit dem benachbarten kleinen Kosovo gern dasselbe machen würde. Xi und Vučić betrachten ihre Umgebung also aus einer ähnlichen Perspektive.
Doch nur, weil in der Freundschaft so viel Eisen steckt, nimmt der viel beschäftigte Herr Xi sich nicht die Zeit für den Zwerg auf dem Balkan. Als Tor zu Europa, insbesondere als Einfallstor, hat Serbien sich China schon seit Langem angeboten. Pekings "neue Seidenstraße" windet sich von hier aus weiter nach Europa hinein: Zum Beispiel mit einer Hochgeschwindigkeits-Bahntrasse, die demnächst von Belgrad nach Budapest führt und schließlich Osteuropa an den griechischen Hafen Piräus anbinden wird. Der gehört den Chinesen auch schon.
Die ungewöhnlichen Reisevorlieben des chinesischen Präsidenten haben also einen Sinn. Die Chefsachen hat er mit Macron besprochen. Warum sollte er sich also noch in den anderen Hauptsitzen des europäischen "Unternehmens" mit dickköpfigen Polit-Bossen herumärgern? Besser schaut er bei seinen Vertragshändlern vorbei, wo der rote Teppich mit Schwung ausgerollt worden ist, und bespricht mit ihnen die weitere Strategie zur Eroberung des europäischen Marktes.
Ach so, Sie haben Zweifel, dass das alles im Sinne der europäischen Demokratie ist? Dann sind Sie wohl nicht allein. Aber ein bisschen lauter müssten solche Zweifel schon ertönen, damit sie in Berlin und Brüssel etwas bewegen.
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Entscheidung in Madrid
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Gestern Abend lang gefeiert. Dieser Song war der Knaller.
Zum Schluss
Diktatoren haben Demokraten etwas voraus.
Ich wünsche allen Demokraten einen schönen Tag und morgen einen noch schöneren Feiertag. Der nächste Tagesanbruch kommt am Freitag von Annika Leister.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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