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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gesunder Menschenverstand Populäre Laienweisheiten der Psychologie – und ob sie stimmen
Mittvierziger kommen in die Midlife-Crisis. Einzelkinder sind verwöhnt. Und Kaugummikauen regt die Denkleistung an. Weisheiten der Alltagspsychologie gibt es zuhauf. Dabei fördern diese nur Vorurteile.
Heute hat jeder eine Meinung zu psychologischen Problemen oder sogar psychischen Erkrankungen: Ob Eifersucht, Depression oder Schlaflosigkeit – man googelt ein paar Mal und findet sofort psychologisch anmutende Ratschläge, die viele ungefragt weitergeben.
Doch nicht in allem, was nach Psychologie klingt, ist auch Psychologie drin. Oft genug täuschen uns ungeprüftes pseudopsychologisches Wissen, das wir irgendwo aufschnappen, oder auch unsere persönlichen Erfahrungen, die wir verallgemeinern.
In anderen wissenschaftlichen Disziplinen – Chemie, Archäologie, Biologie, Physik – würden wir bei vergleichbaren Detailfragen sagen: "Da kenne ich mich nicht aus." Mit der Psychologie ist das anders, denn im Alltag macht jeder seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen mit psychologischen Fragestellungen, zieht daraus seine Schlüsse – und redet mit.
Wir finden zudem unendlich viele populäre Irrtümer und psychologisch klingende Tipps in Zeitschriften und Büchern, von Ratgebern und Gurus, von denen viele wiederum jeglicher wissenschaftliche Grundlage entbehren. Denn: Erst eine sorgfältige wissenschaftliche Untersuchung ermöglicht verallgemeinerbare Aussagen, die nicht nur für den Einzelfall, sondern auf viele Menschen zutreffen. Dann erst bewegen wir uns im Fachgebiet der Psychologie.
Gibt es eine Midlife-Crisis?
Die meisten von uns würden wohl meinen, es gäbe eine Midlife-Crisis, die im Alter zwischen 40 bis 50 beginnt. Vielfach wird erzählt, sie führe zu depressiven Verstimmungen, Sinnkrisen oder auch Seitensprüngen. Über Midlife-Crisis wird einfach viel geredet, und der Begriff ist bekannt und eingängig. Aus wissenschaftlicher Sicht jedoch gibt es in der Midlife kein bisschen mehr Crisis als in anderen Lebensphasen. Der Einzelfall kann natürlich – wie immer – anders aussehen.
Sind Einzelkinder verwöhnt?
Die Alltagspsychologie behauptet oftmals, dass der Platz unter den Geschwistern den Charakter prägt. Demnach haben Einzelkinder, Jüngste und Älteste jeweils typische Charaktereigenschaften: Geschwisterlose Kinder seien verwöhnt, wollen alles für sich haben und außerdem im Mittelpunkt stehen. Die Ältesten würden mehr Verantwortung als die Jüngeren übernehmen und die mittleren Geschwister, die sogenannten Sandwichkinder, unausgeglichen und launischer sein.
All diese Annahmen, die immer noch kursieren, stimmen nicht. Die Auswertung von über tausend Studien zu diesen Fragen hat gezeigt, dass die Geschwisterposition keine Schlüsse auf die Persönlichkeit zulässt.
Warum halten sich dann diese falschen Annahmen?
Weil wir generell zu sogenannten Wahrnehmungsfehlern neigen. Wir nehmen jemanden verzerrt oder falsch wahr, zum Beispiel aufgrund unserer Vorannahmen über die soziale Rolle. Wir haben gehört, Sandwichkinder seien launisch und "schwierig". Dann beobachten wir eine Familie mit drei Kindern am Nachbartisch im Restaurant, zwischendurch lärmt und schreit das mittlere Kind. Zufällig – denn gestern quengelte nur das älteste Kind, wie die Eltern wissen. Wir jedoch fühlen uns angenehm bestätigt: "Das ist doch wieder typisch."
Sie können sich denken, was daraus resultierende Erwartungen und Vorurteile dann bei Kindern bewirken. Ähnlich folgenschwer, erst recht für uns selbst, ist eine andere falsche Annahme.
Fühlen wir uns im Job oder in der Freizeit wohler?
Wie würden Sie auf diese Frage antworten? Vermutlich antworten Sie wie fast alle mit der Aussage: "Freizeit hebt die Stimmung mehr als die Arbeit." Bei dieser Frage vergleichen wir aus unserer Vorstellung heraus Arbeit und Freizeit. Interessant wird es hier, wenn anders untersucht wird: Grundverschieden sieht das Ergebnis nämlich aus, wenn Menschen systematisch zu festgelegten Zeiten am Tag ein Tonsignal hören, sofort innehalten und ihre momentane Tätigkeit und Stimmung notieren.
Dann zeigt sich, dass sie während der Arbeitsphasen in deutlich besserer Stimmung sind. Hintergrund: Bei der Arbeit sind viele Menschen angemessen gefordert – also weder über- noch unterfordert –, haben Erfolgserlebnisse und sind voll auf eine Tätigkeit konzentriert. Dadurch wird das sogenannte Flow-Erleben gefördert, ein idealer hochgestimmter Tätigkeitszustand.
Diese Erkenntnis aus der Psychologie können Sie nun auf Ihren Arbeitsalltag anwenden: Gibt es Momente bei Ihrer Arbeit, in denen Sie vollkommen konzentriert in einer Tätigkeit aufgehen, ohne das normale Zeitgefühl, mit Freude und in etwa dem Eindruck: "Es läuft"? Es könnte sein, dass Sie fortan Ihre Arbeit positiver bewerten, also durch psychologisches Wissen einen Zugewinn an Lebensqualität erfahren.
Regt Kaugummikauen die Denkleistung an?
Ach ja: Am Anfang hatte ich auch erwähnt, dass Kaugummikauen die Denkleistung fördere, wie es Schüler gerne behaupten und wie es durch kleinere Studien vorläufig belegt wurde. Rund tausend Schülerinnen und Schüler wurden in einer nachfolgenden umfangreichen Studie untersucht. Es konnte keine positive Wirkung des Kauens auf Denkleistung, Konzentration und Gedächtnisleistung festgestellt werden. Also: Kauen oder Nichtkauen ist hier nicht die Frage.
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Hans-Peter Nolting: Abschied von der Küchenpsychologie. Das Wichtigste für Ihre psychologische Allgemeinbildung. Rowohlt, 2012
- Mihaly Csikszentmihalyi: Flow. Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta, 2019