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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin zu Homeoffice Dieses Zimmer ist der schlechteste Arbeitsplatz
Das Arbeiten im Homeoffice bringt uns mehr Autonomie und wir gewinnen Zeit. Dennoch: Der Stresspegel ist bei den meisten höher im Vergleich zum Arbeiten im Büro. Warum ist das so?
Seit Beginn der Corona-Pandemie und damit seit über einem Jahr arbeiten Millionen von Arbeitnehmern ganz oder teilweise von zu Hause aus. Das Homeoffice hat sich als neue Normalität etabliert. Viele Firmen sichern ihren Mitarbeitern flexible Arbeitsmodelle auch für die Zukunft zu. Während die einen die Vorzüge der Heimarbeit zu schätzen wissen, fühlen sich andere gestresster als an ihrem betrieblichen Arbeitsplatz. Doch woran liegt das? Wir haben Tanja Queckenstedt, Wirtschaftspsychologin B.A. aus Berlin, gefragt.
t-online: Studien zeigen, dass immer mehr Menschen im Homeoffice über Konzentrationsstörungen, Schlafprobleme oder depressive Verstimmungen klagen. Woran liegt das?
Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen fehlt der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Zum anderen ist es auch ein Problem der Entgrenzung.
Das heißt?
Im Büro werden öfter Pausen im Kollektiv gemacht und es finden Flurgespräche statt. Im Homeoffice fehlt das alles komplett und man gönnt sich automatisch weniger Pausen. Viele Beschäftigte hatten auch monatelang Kinder im Homeschooling und konnten sich daher schwer auf ihre Arbeit konzentrieren. Viele richteten sich auch an der falschen Stelle in der Wohnung ihren Arbeitsplatz ein.
Wo ist denn ein schlechter Platz für die Arbeitsecke?
Das Schlafzimmer ist definitiv der schlechteste Ort für Homeoffice. Arbeits- und Erholungsbereich müssen voneinander getrennt sein. Das ist wichtig, um nach Feierabend abzuschalten und nachts einen erholsamen Schlaf zu finden. Wer darauf nicht achtet, riskiert Stress, der sich negativ auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirken kann.
Tanja Queckenstedt ist Wirtschaftspsychologin B.A. und Dozentin für Gesundheitspsychologie in Berlin sowie Autorin des Sachbuchs "Ein Kopf voller Ideen" zum Thema Kreativität.
Und was macht man, wenn die Wohnung so klein ist, dass es keine Alternative gibt?
Gerade dann sind Rituale essenziell. Zum Beispiel für die Arbeit Arbeitskleidung tragen und nach Feierabend die Kleidung wechseln. Oder direkt nach der Arbeit einen täglichen Feierabendspaziergang einführen. Alles was hilft, das Signal zu setzen "Jetzt ist die Arbeit vorbei", begünstigt Grenzen.
Das Arbeiten im Homeoffice ist nicht nur für Familien mit Kindern ein Stressfaktor. Besonders Alleinstehende empfinden die Situation als belastend.
Das ist richtig. Im Rahmen einer Projektarbeit zu Beginn der Pandemie zeigte sich, dass neben Alleinerziehenden vor allem Singles an ihre Grenzen kamen. Sie waren oft den ganzen Tag allein und konnten sich mit niemandem austauschen - außer in Videokonferenzen. Virtuelle Team-Events können das nicht aufwiegen.
Bei Familien sah die Bilanz etwas positiver aus. Besonders bei denjenigen, die Unterstützung durch die Großeltern erhielten und daher die gemeinsame Zeit zu Hause sogar genießen konnten. Doch selbst bei ihnen zeigte sich nach der anfänglichen Euphorie vermehrt Unzufriedenheit.
Das hat mit der Corona-Situation zu tun. Vor allem am Anfang der Pandemie hatte man ja kein Ende in Sicht. Viele haben noch Angst, dass es zu neuen Wellen kommt. Diese Unbekannten tragen dazu bei, dass die Situation als belastend empfunden wird.
Was können Menschen im Homeoffice tun, um den Stresspegel zu senken?
Sie sollten auf feste Strukturen und Arbeitszeiten achten und sich regelmäßige Pausen gönnen bzw. diese Pausen auch einhalten. Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen können helfen, den Stresspegel abzubauen und die innere Ruhe zu finden. Außerdem sollte man vermeiden, nach Feierabend nochmal den Laptop aufzuklappen und in seine E-Mails zu schauen.
Welche Entspannungsmethoden können Sie konkret gegen Stress empfehlen?
Das ist sehr individuell, genauso wie das Stressempfinden selbst. Dem einen hilft Yoga, der anderen Kickboxen. Sport ist sehr wichtig, um Stress abzubauen. Aber auch Meditation oder kreative Tätigkeiten können gerade in stressigen Zeiten enorm wirksam sein.
Hat nicht auch der Arbeitgeber die Pflicht dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter körperlich und seelisch gesund bleiben?
Definitiv ist das so.
Welche Maßnahmen wären wichtig?
Es gibt Unternehmen, die darauf achten, dass Mitarbeiter ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr arbeiten. Einige gehen besonders auf Mitarbeiter mit Kindern ein und erwarten nicht, dass sie das gleiche Arbeitspensum erfüllen werden wie in „normalen“ Zeiten. Außerdem ist es wichtig, mit den Mitarbeitern in Kontakt zu bleiben und regelmäßig zu telefonieren, sodass nicht das Gefühl der Isolation entsteht. Führungskräfte sollten geschult werden, mehr Empathie und individuelle Lösungen für die einzelnen Mitarbeiter in den Teams zu entwickeln.
Das betrifft sicherlich auch die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander. Wie wirkt sich denn das Homeoffice auf die Teamdynamik aus?
Zum Teil sehr stark. Ich kenne Unternehmen, die vor Corona eine sehr gute Unternehmenskultur hatten, die im Zuge der Pandemie jetzt total brach liegt. Es gab mitunter viele Missverständnisse in der schriftlichen Kommunikation.
Durch zunehmenden Stress haben sich Konflikte regelrecht hochgeschaukelt. Durch die Ausnahmesituation ist das Gleichgewicht in den Teams gekippt und es wird ein längerer Prozess sein, bis dieses wiederhergestellt ist.
Die Pandemie hat die Arbeitswelt revolutioniert. Einige Firmen wollten das Homeoffice zur Normalität machen. Sitzen wir irgendwann alle allein am Schreibtisch zu Hause?
Ich hoffe nicht. Eine solche dogmatische Regelung wäre aus meiner Sicht nicht empfehlenswert. Dennoch sollte es zur Normalität werden, dass die Möglichkeit zum Arbeiten von zu Hause besteht.
Die Arbeitswelt der Zukunft – wie sollte Sie aussehen?
Mein Wunsch wäre es, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukünftig den Freiraum haben, ihre Arbeit selbst mitzugestalten. Ideal wäre eine Kombination aus Homeoffice und Bürozeit, je nach individueller Situation, um einen positiven Einfluss auf die Work-Life-Balance zu erwirken.
Frau Queckenstedt, vielen Dank für das Interview.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.