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Russland im Ukraine-Krieg: Putin wird größenwahnsinnig | Kolumne


Kolumne "Russendisko"
Jetzt wird Putin vollends größenwahnsinnig

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 02.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Russlands Machthaber macht seinen Landsleuten illusorische Versprechen, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Machthaber macht seinen Landsleuten illusorische Versprechen, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Sergei Savostyanov/imago-images-bilder)

Eine rosige Zukunft versprach Russlands Präsident seinen Landsleuten in der Rede an die Nation. Viel heiße Luft bekam man zu hören, aber am Ende herrschte Erleichterung. Denn die große Eskalation blieb aus, meint Wladimir Kaminer.

Die Kreml-Administration schien in den letzten Tagen ziemlich frustriert darüber zu sein, dass das Interesse der russischen Bevölkerung an der bevorstehenden Präsidentschaftswahl so enttäuschend gering ist. Alle Versuche des Staates, ein wenig Spannung hineinzubringen – in Form von Intrigen, handgebackenen angeblichen Gegenkandidaten –, haben nichts genutzt. Niemand interessiert sich dafür, wer bei dieser Präsidentschaftswahl auf dem zweiten oder dritten Platz landet.

Putins Rede zur Lage der Nation sollte in den trüben politischen Alltag Russlands ein wenig Farbe bringen – und wurde deswegen nicht nur im Fernsehen und Radio übertragen. Sie wurde gefühlt auf sämtliche Bildschirme und Leinwände des Landes übertragen. Sogar die Kinos hatten eine Extraübertragung angekündigt. Gerne möchte ich wissen, wie viele Bürger ins Kino gingen, um sich Putins längste Ansprache zur Lage der Nation reinzuziehen.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse" ist im August 2023 erschienen.

Es ging hauptsächlich um die Zukunft, um das Jahr 2030. Der russische Präsident begann seine Rede mit einer Schweigeminute für die "an der Front gefallenen Helden". Diese "Helden" starben in einem Krieg, den er angezettelt hat. Auf Verlustzahlen ist er allerdings nicht eingegangen. Dabei sind diese horrend. Der Fleischwolf dieses hässlichen Krieges bleibt keine Minute stehen. Bereits im ersten Jahr gingen die meisten freiwilligen, von der Idee eines großrussischen Reiches überzeugten Kämpfer drauf.

Im zweiten Jahr hat der Krieg diejenigen ins Jenseits geschickt, die aus monetären Gründen bereit waren, ihr Leben zu riskieren. Sie starben für Geld. Wer nun im dritten Jahr kämpfen soll, woher die neuen Soldaten kommen und wie viele noch ihr Leben lassen werden, um die Großmachtfantasien ihres Präsidenten zu verwirklichen, darüber hat Putin in seiner zweistündigen Rede nichts berichtet.

Sterben will niemand aus Putins Elite

Stattdessen hat er die Zuhörer mit anderen Zahlen überschüttet, nicht vorhandenes Geld wurde großzügig verteilt: Russland soll demnach im Jahr 2030 nicht wiederzuerkennen sein. Das Land möchte Trillionen in die Zukunft investieren, neuartige Waffensysteme entwickeln, eigene Flugzeuge und Autos bauen, neue Schulen und Universitäten eröffnen, seine Importe bis 2030 auf 17 Prozent minimieren und die russische Wirtschaft zur viertgrößten Wirtschaft der Welt wachsen lassen. Vielleicht dauert es auch ein wenig länger, bis 2036.

Putin sprach von der Entwicklung des Ökotourismus und präsentierte weitere nationale Projekte. Es war für jeden etwas dabei, getreu dem alten Motto: Waffen für die Männer, Blumen für die Frauen und Eis für die Kinder. Das Projekt "Familie" soll die Frauen zum Kinderkriegen animieren, das Projekt "Straßenbau" neu eroberte Städte mit dem alten russischen Territorium verbinden. Das Projekt "Zeit der Helden" wird die Kriegsrückkehrer zur "neuen" Elite des Landes ausbilden.

Die "alte" Elite des Landes, die gähnend im Saal der Volksversammlung saß, hörte diese Rede mit nachdenklichem Gesichtsausdruck an. Diese Menschen hatten sichtlich nicht vor, in den Krieg zu ziehen, mit der Aussicht, ein Held zu werden. Geschweige denn, ihre Kinder dorthin zu schicken. Gleichzeitig hat der Präsident seine Sorge darüber geäußert, dass die Männer Russlands unter Frühsterblichkeit leiden. Die Lebenserwartung der Bürger soll im Jahr 2030 steigen, auf 78 Jahre. Und 2036 sollen die Bürger im Schnitt über 80 Jahre alt werden können. So will es der Kreml.

Es war auffällig, dass Putin diese gewünschte Lebenserwartung des Landes an seinem eigenen Alter misst: Er wird im Jahr 2030 78 Jahre alt. Und für 2036 plant er dann, selbst über 80 Jahre alt geworden zu sein. Zusammen mit dem Rest des Landes. Putin hat in seiner Rede mehr als 30-mal das Jahr 2030 angesprochen. Es wirkte geradezu, als ob seine Mitarbeiter ihm die falsche Rede hingelegt hätten. Nämlich seine nächste Wahlrede, die eigentlich für 2030 vorgesehen war.

Putins nächstes Ziel?

Nach zwei Stunden Präsidenten-Rhetorik konnte die Nation langsam ausatmen. Man hatte Schlimmeres erwartet. Bereits im Vorfeld seines Auftritts gab es übertriebene Erwartungen, dass der Präsident neue außenpolitische Kriegsziele klarmachen würde. Einige Tage davor hatte sich das Parlament von Transnistrien, einem international nicht anerkannten, von den russischen Streitkräften gestützten Gebiet im Osten der Republik Moldau, an Putin gewandt, er solle bitteschön auch Transnistrien der russischen Föderation einverleiben.

Putin hat nicht darauf geantwortet. Aus der Sicht der westlichen Analytiker wäre die Republik Moldau das wahrscheinlichste nächste Angriffsziel des Präsidenten. Die Republik Moldau ist nicht in der Europäischen Union, hat eine schwache Armee, wird von der Nato nicht verteidigt und hat 200.000 Bürger mit russischem Pass, die jederzeit von den russischen Streitkräften "geschützt" werden könnten.

Wäre da nicht ein kleiner Haken: Russland und Moldau haben keine gemeinsame Grenze, die Ukraine liegt dazwischen. Nur wenn es Putin gelingen würde, die Ukraine zu zerschlagen, hätte er die Möglichkeit, seinen Krieg weiterzutragen. Dafür fehlen ihm aber momentan das Geld und die Soldaten.

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