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Abseitsfalle Abtreibung: Trump ist plötzlich auf dem Rückzug


Politisches Drama um Abtreibung
Plötzlich will Trump es nicht gewesen sein


Aktualisiert am 11.04.2024Lesedauer: 6 Min.
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Rhetorisch auf dem Rückzug: Donald Trump spricht in Atlanta über Abtreibung. (Quelle: Jason Allen/AP/dpa)

Aus Angst vor den Wählern treten Donald Trump und die Republikaner beim Thema Abtreibung plötzlich den politischen Rückzug an. Doch Kritiker warnen bereits vor einer Falle.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Um beim Thema Abtreibung noch zu retten, was zu retten ist, haben sich Donald Trump und sein Team extra eine Sprachregelung einfallen lassen. Als der ehemalige US-Präsident etwa am Mittwoch zu einer Spendenveranstaltung in Atlanta im umkämpften Bundesstaat Georgia ankam, sagte er in die Mikrofone der Reporter immer wieder folgenden Satz: "Es ging immer nur um die Rechte der Bundesstaaten."

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Was das bedeutet, hatte kurz zuvor der Oberste Gerichtshof im ebenfalls hart umkämpften Bundesstaat Arizona der amerikanischen Öffentlichkeit gezeigt: Der Supreme Court verfügte, dass ein Abtreibungsverbot aus dem Jahr 1864 wieder in Kraft treten muss. Demnach gelten rund 150 Jahre später nicht einmal mehr Vergewaltigungen oder Inzest als hinreichende Gründe, um ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Ärztinnen und Ärzten drohen mehrjährige Haftstrafen. "Das geht zu weit", sagt Trump jetzt. Er sei zuversichtlich, dass das korrigiert würde.

Trump hat die große Mehrheit Amerikas gegen sich

Trump versucht damit zu verschleiern, dass er als Präsident politisch verantwortlich dafür war, dass Abtreibungen inzwischen in immer mehr von Republikanern regierten Bundesstaaten hart eingeschränkt und komplett unmöglich gemacht werden. Während seiner Präsidentschaft besetzte er den Obersten Gerichtshof der USA mit Richterinnen und Richtern, die schließlich eine jahrzehntealte Rechtssprechung zur Abtreibung ("Roe vs. Wade") für ungültig erklärten. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Das Resultat: Jeder US-Bundesstaat, wie jetzt in Arizona, kann seither Schwangerschaftsabbrüche quasi nach Belieben wieder kriminalisieren.

Doch Trumps Dilemma ist groß: Einerseits feiert die religiöse Rechte in den USA ihn für diesen politischen Sieg. Trump kann also kaum das Gegenteil fordern, denn er braucht diese gesellschaftlichen Gruppen auch in diesem Wahlkampf, um seine Chancen auf einen Sieg gegen Joe Biden im November zu wahren. (Wie Trump die Evangelikalen derzeit umwirbt, können Sie hier lesen.)

Andererseits können aber die allermeisten Wähler und vor allem die meisten Wählerinnen mit seiner Beteuerung, es sei ihm nur um die Rechte der Bundesstaaten gegangen, nichts anfangen. Für die übergroße Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner geht es beim Thema Abtreibung um ihre eigenen Rechte. Um das Recht, selbst frei entscheiden zu können, ob sie ein Kind bekommen möchten oder nicht.

Egal, auf welche Seite sich Trump jetzt also schlägt: Er könnte wichtige Wählergruppen verlieren.

Wahlkampfmunition für die Demokraten

Trump und die Republikaner haben gewissermaßen das Gegenteil von dem geschaffen, was sie sonst so gerne bekämpfen: Der Staat, beziehungsweise jetzt jeder einzelne Bundesstaat, greift hart in eine der intimsten und individuellsten Entscheidungen ein, die amerikanische Frauen treffen können und oftmals auch müssen. Gegen diese Realität kommt keine Rhetorik an.

Joe Biden und die Demokraten haben es darum auch leicht, Fälle zu finden, mit denen sie die Folgen von Trumps Politik vorführen können. In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten, bedrückenden Wahlkampfvideo erzählt die Biden-Kampagne beispielsweise die Geschichte von Amanda aus Texas. Die Frau entkam dem Tod demnach zweimal nur knapp auf der Intensivstation.

Ärzte hatten sie aufgrund der ebenfalls restriktiven Gesetzgebung in Texas nach Hause geschickt, nachdem ihre Fruchtwasserblase viel zu früh gerissen war. Um eine lebensgefährliche Infektion zu vermeiden, hätten sie das Ungeborene abtreiben müssen, was aber verboten ist. So wurde Amanda schließlich mit einer Blutvergiftung eingeliefert. Erst jetzt durften ihr die Ärzte helfen. Sie verlor nicht nur das Kind, sondern womöglich auch die Fähigkeit, jemals ein Kind zur Welt zu bringen.

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Die Abtreibungsentscheidung hat die Amerikaner repolitisiert

Aufgrund unzähliger solcher und ähnlicher Schicksale laufen Trump und die Republikaner Gefahr, insbesondere Wählerinnen und Wähler in der Mitte zu verlieren. Und dort werden auch in den USA die Wahlen gewonnen und nicht am religiösen Rand. Im Kampf um diese wichtigen Wechselwähler ist die von Trumps Richtern in Gang gesetzte Abtreibungsdynamik ein messbares Problem:

Die Menschen positionieren sich in dieser politischen wie persönlichen Frage plötzlich viel deutlicher als noch vor ein paar Jahren, als die Abtreibungsdebatte eigentlich weitgehend ruhte. Noch im Juni 2015 sagten 58 Prozent der Amerikaner, dass Abtreibung in allen oder den meisten Fällen legal sein sollte. Im Februar 2024 sehen das 71 Prozent so. Das geht etwa aus Zahlen des Umfrage-Blogs "FiveThirtyEight" hervor. Und nur 36 Prozent der registrierten Wähler befürworten das Urteil der Richter am Supreme Court zum Fall von "Roe vs. Wade". 64 Prozent geben an, dass sie "eher oder entschieden dagegen" sind.

Opportunismus als letzter Ausweg

Angesichts derart klarer Mehrheiten sind die Rückzugsgefechte von Trump und vielen Republikanern nachvollziehbar. Eine seiner engsten Verbündeten versuchte, gleich nach der Entscheidung aus Arizona den politischen Schaden abzuwenden. Kari Lake, die in dem Wüsten-Bundesstaat um einen Senatssitz in Washington kämpft, teilte per Statement mit: "Ich lehne das heutige Urteil ab und fordere Katie Hobbs [Arizonas Gouverneurin, Anm. d. Red.] und die Gesetzgeber des Bundesstaates auf, eine sofortige, vernünftige Lösung zu finden." Denn dieses Gesetz von 1864 passe nicht zu den Menschen in Arizona, so Lake.

Noch im Jahr 2022 klang die Republikanerin allerdings anders. Damals sagte sie bei einer Debatte, sie hoffe, der Oberste Gerichtshof würde "das Richtige tun" und die Rechtssprechung von "Roe vs. Wade" zu Fall bringen. Lake freute sich damals darüber, was in Arizona dann passieren würde: "Wir haben ein großartiges Gesetz in der Hand. Wenn das passiert, wird es uns gelingen, dass unseren Ungeborenen nicht mehr einfach das Leben genommen werden kann." So ist es nun gekommen. Und Opportunismus scheint für die Trumpisten der letzte Ausweg zu sein.

Gefahr droht Trump in republikanischen Bundesstaaten

Donald Trump hat technisch gesprochen sogar einen Punkt, wenn er sagt, die Menschen könnten bei Wahlen in den Bundesstaaten jetzt selbst entscheiden, was für Abtreibungsgesetze sie dort haben möchten. Es ist also gut möglich, dass das Gesetz von 1846 in Arizona irgendwann auch wieder abgeschafft und durch eine moderatere Regelung ersetzt wird. Das hilft ihm politisch im Wahljahr 2024 aber nicht weiter. Denn das Problem existiert jetzt und ist seinetwegen entstanden.

Und so könnte es im Herbst dazu kommen, dass Wählerinnern und Wähler nicht nur über die Präsidentschaftskandidaten, und über neue Kongressabgeordnete und Senatoren abstimmen. In vielen Bundesstaaten könnte Abtreibung buchstäblich auf den Stimmzetteln stehen. In dem eigentlich von Republikanern dominierten Bundesstaat Florida ist das bereits entschieden: Dort können Wähler im November entscheiden, ob sie einen Zugang zu Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus in der Verfassung des Bundesstaates verankern wollen.

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Mehr als zehn weitere Bundesstaaten könnten folgen, darunter weitere konservativ geprägte wie das besagte Arizona, aber auch Arkansas, Montana und South Dakota. Überall drohen den republikanischen Kandidaten, einschließlich Donald Trump, dann empfindliche Stimmenverluste. Zumindest ist das Kalkül der Demokraten: Wer für moderate Abtreibungsrechte stimmt, der stimmt auch für einen moderaten Kandidaten.

Wie richtig Joe Biden und die Demokraten damit liegen könnten, lässt sich an ebenjenen plötzlich moderaten Äußerungen von Donald Trump oder Kari Lake ablesen. Die Angst im Lager der Republikaner ist jedenfalls groß, dass eben nicht nur Inflation und Migration als wahlentscheidende Themen die Amerikaner mobilisieren. Ausgerechnet mit Abtreibung, seinem größten politischen Sieg, könnte Trump ins politische Abseits geraten. Arizona war jedenfalls erst der Anfang.

Warnung vor der nächsten Falle aus dem 19. Jahrhundert

Trump versucht derweil, die Ängste möglicher Zweifler in Sachen Abtreibung weiter zu zerstreuen. Seine zweite rhetorische Beruhigungspille lautet nämlich: Er würde als nächster Präsident niemals ein landesweites Abtreibungsverbot unterstützen.

Kritiker vermuten hinter Trumps Absage an ein landesweit gültiges Bundesgesetz zur Abtreibung allerdings eine Falle. Erstens, weil sie seinen Worten nicht trauen und andere Republikaner ein landesweites Abtreibungsverbot nach wie vor fordern. Und zweitens, weil es auch auf Bundesebene, ähnlich wie im Bundesstaat Arizona, ein uraltes Gesetz aus dem 19. Jahrhundert gibt, das womöglich aktiviert werden könnte.

Dabei handelt es sich um den sogenannten "Comstock Act", ein Gesetz gegen "obszönes Verhalten" aus dem Jahr 1873. Es ist nach wie vor in Kraft und verbietet das Versenden "jeglicher obszöner, anstößiger, lasziver, unanständiger, schmutziger oder abscheulicher Artikel, Materialien, Dinge, Vorrichtungen oder Substanzen".

Hinzu kommt im "Comstock Act" eine Passage, wonach das Verbot auch für Artikel oder Dinge gilt, "die für das Herbeiführen einer Abtreibung entworfen, angepasst oder bestimmt sind". Produkte wie Abtreibungspillen fallen beispielsweise darunter. Seit der Supreme Court die Rechtssprechung zu "Roe vs. Wade" aufgehoben hat, sehen politische Planer aus dem Trump-Lager eine juristische Möglichkeit:

Der "Comstock Act" könnte mit der Passage zu Abtreibungsprodukten einfach so weit interpretiert werden, dass Abtreibungen landesweit und generell eingeschränkt werden könnten. Dann bräuchte Trump kein neues Gesetz, also auch keine Mehrheiten im US-Kongress. Würde den Republikanern das gelingen, müssten strenge Abtreibungsverbote sogar in demokratisch regierten Bundesstaaten umgesetzt werden.

Verwendete Quellen
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