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FC Bayern | Vor den Augen des Titans: Neuer erlebt seinen Kahn-Moment


Vor den Augen des Titans
Neuer erlebt seinen Kahn-Moment


Aktualisiert am 15.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Manuel Neuer
Neuer-Patzer gegen Real: "Mir gehts schlecht." (Quelle: Glomex)

Ausgerechnet Welttorhüter Manuel Neuer leitet das Aus des FC Bayern in Madrid mit einem folgenschweren Patzer ein. Er erinnert damit an einen großen Vorgänger.

Der folgenschwere Fehler, den sich Manuel Neuer beim bitteren 1:2 des FC Bayern im Halbfinal-Rückspiel der Champions League bei Real Madrid (Hinspiel: 2:2) geleistet hatte, war schon schlimm genug für ihn. Damit hatte der Ausnahmetorhüter schließlich den späten Ausgleichstreffer für Real Madrid in der 88. Minute verschuldet. Und so die schmerzhafte Niederlage eingeleitet, die das Aus für die Münchner in der Champions League bedeutete. Der Traum von der Neuauflage des deutschen Finals von 2013 in Wembley gegen Borussia Dortmund war damit geplatzt.

Doch damit nicht genug. Denn es war schon eine besonders bittere Ironie des Torhüter-Schicksals von Neuer, dass ihm dabei auch noch ausgerechnet Oliver Kahn auf der Ehrentribüne des Estadio Santiago Bernabéu zuschaute. Auf Einladung von Real Madrid war der 54-Jährige erstmals überhaupt nach seiner Entlassung als Vorstandsvorsitzender beim FC Bayern am Ende der vergangenen Saison wieder bei einem Spiel des deutschen Rekordmeisters im Stadion. Und ausgerechnet vor den Augen des einstigen Torwart-Titans erlebte Neuer seinen eigenen, ganz persönlichen Kahn-Moment.

Neuer erlebt seinen Kahn-Moment

Was damit gemeint ist? Neuer hatte seine Mannschaft zwar bis zum Gegentreffer noch mit mehreren Weltklasse-Paraden überhaupt erst im Spiel und die 1:0-Führung festgehalten. Doch dann erlaubte sich ausgerechnet der fünfmalige Welttorhüter einen Patzer mit Folgen. Es war der schwerwiegendste in der großen Karriere des 38-Jährigen – auch, weil er dem Weltmeister von 2014 auf der im Vereinsfußball größtmöglichen Bühne unterlief: im entscheidenden Halbfinalrückspiel der Königsklasse, im Stadion von Real Madrid. Neuer schätzte den Schuss von Reals Angreifer Vinicius Júnior falsch ein und ließ ihn nach vorn auf Torschütze Joselu abprallen.

Video | Eberl flucht nach Spiel: "Scheißdreck"
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Quelle: Glomex

Ähnlich war es auch seinem Vorgänger Kahn einst ergangen. Bei der WM 2002 hatte er die deutsche Nationalmannschaft mit herausragenden Leistungen überhaupt erst ins Finale gegen Brasilien gebracht. Dort zeigte der Torhüter des Turniers dann aber einen Aussetzer, den man von ihm bis dahin nicht kannte. Er ließ einen eigentlich harmlosen Distanzschuss von Rivaldo nach vorne abprallen – direkt vor die Füße von Ronaldo, der den Ball nur noch zum 1:0 an Kahn vorbei ins leere Tor einschieben musste. Dieser Patzer kostete ihn und die Nationalelf den WM-Titel. Deutschland verlor das Endspiel am Ende mit 0:2. Unvergessen, wie Kahn anschließend in Yokohama teilnahmslos vor dem Pfosten saß, ins Leere starrte und seinen Fehler selbst nicht begreifen konnte.

Neuer wird zum tragischen Helden

Wie Kahn damals stand nun auch Neuer der Schrecken über die eigene, bis dahin ungekannte Schwäche in dieser magischen Nacht von Madrid ins Gesicht geschrieben. Denn er war dabei auf dem Weg zum Helden am Ende zur tragischen Figur geworden.

Neuer versteckte sich anschließend aber nicht und stellte sich trotzdem den Fragen der Reporter. "Ich fühle mich schlecht, genauso wie alle anderen, die für den FC Bayern alles geben", sagte Neuer in den Katakomben des Bernabéu-Stadions und gab damit zumindest ein wenig Einblick in sein Seelenleben.

"Ich denke, dass die Situation für mich einfach schwer gewesen ist", analysierte er. "Ich habe den Ball anders erwartet, eher so Richtung Sternum." Dabei deutete er auf sein Brustbein, was dieser lateinische Fachbegriff aus der Anatomie übersetzt bedeutet. Neuer griff in dieser Szene nicht nur symbolisch für die Bayern nach den Sternen. Es wurde ein fataler Fehlgriff. Denn der Ball "ist dann hochgesprungen Richtung Hals und da konnte ich ihn nicht mehr festmachen". Damit habe er nicht gerechnet, "dass da so ein minimaler Maulwurf im Platz war".

Das ärgert Neuer mehr als sein Patzer

Ob er sich an eine ähnliche Szene in seiner großen Karriere erinnern würde oder ob das sein schlimmster Patzer gewesen sei, wurde Neuer gefragt. "Ich habe schon Fehler gemacht, gar keine Frage", sagte er. "Ich rege mich eher über den Abwurf auf, dass ich nicht ein bis zwei Meter weiter über Modrić geworfen habe." Weil der Ball aber direkt bei seinem Gegenspieler landete, ermöglichte Neuer den Angriff, der zum Ausgleich führte, mit seinem Ballverlust überhaupt erst. Auch zu den Diskussionen über den wegen eines verfrühten Abseitspfiffs nicht anerkannten Ausgleichstreffer in der letzten Minute der Nachspielzeit, wäre es ohne diese Aktion möglicherweise gar nicht mehr gekommen. (Mehr zu dieser Aufregerszene und Wut der Bayern auf den Schiedsrichter lesen Sie hier.)

"Jeder, der Fußball gespielt hat, weiß, wie es einem jetzt geht. Dass man so jetzt hier ausscheidet, mit der Schlussphase, mit dem 1:0 noch bis zur 85. Spielminute (das 1:1 fiel in der 88. Minute; Anm. d. Red.), ist extrem bitter", so Neuer weiter. "Wir waren schon mit einem Schritt in London, haben uns im Finale gesehen und da fehlen einem echt die Worte."

Sein Trainer Thomas Tuchel sagte über den späten Wendepunkt der Partie: "Ein Fehler, den Neuer in 100 Jahren nicht macht. Das ist die Kirsche." Sportvorstand Max Eberl sah das ähnlich. "Tragisch natürlich für Manu, der Weltklasse gehalten hat", sagte Eberl, "und dann einen Ball, den er wahrscheinlich von 1.000 Mal 998 Mal sicher fängt, einmal vielleicht zur Seite boxt und einmal eben das passiert, was passiert ist. Aber kein Vorwurf, er wollte nur das Beste."

Neuer erlebt seinen persönlichen Horrorfilm

Daran, dass Neuer Bayerns großen Traum vom Finale in Wembley mit "unfassbaren Paraden" bis kurz vor Schluss überhaupt am Leben gehalten habe, erinnerte auch Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen bei seiner Bankettrede. Neuer verfolgte diese Worte am Spielertisch – eingerahmt von Matthijs de Ligt und Ersatztorwart Sven Ulreich – mit versteinerter Miene. Vizekapitän Thomas Müller, der direkt neben de Ligt saß, sah ähnlich frustriert aus. Ein Trost waren Dreesens Worte jedenfalls nicht für Neuer.

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In der Platea Madrid, einer auf der Plaza Colon gelegenen, noblen Eventlocation, hatte der FC Bayern geladen. Eigentlich hätte die Veranstaltung in dem umfunktionierten ehemaligen Kino für die Münchner zu einer rauschenden Siegerparty werden sollen. Neuer erlebte an diesem Abend stattdessen allerdings seinen ganz persönlichen Horrorfilm. Wie die gesamte Mannschaft verabschiedete er sich dann auch ziemlich bald von der Veranstaltung.

Die noch Anwesenden um Ehrenpräsident Uli Hoeneß spülten derweil bei gedämpfter Musik und einem exquisiten Buffet ihren Frust mit spanischem Wein herunter. Kahn gehörte nicht zu den geladenen Gästen. Zumindest in den Gedanken von Neuer war der Titan an diesem denkwürdigen Abend mit Sicherheit trotzdem allgegenwärtig.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort in Madrid
  • Mixed-Zone-Gespräche mit Manuel Neuer, Max Eberl und Thomas Müller
  • Eindrücke vor Ort im Stadion und beim Mitternachtsbankett des FC Bayern
  • Aussagen von Jan-Christian Dreesen von der Bankettrede
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