Tankrabatt und 9-Euro-Ticket Gut gemeinter Unfug
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Doppelter Stuss hält besser – nach diesem Motto handelte die Regierung bei Tankrabatt und 9-Euro-Ticket. Mit den Wohlfühlmaßnahmen hindert sie die Bürger allerdings daran, die wahre Dimension der Krise zu erfassen.
Liebhabern exquisiten politischen Unsinns ist die Mütterrente aus dem Jahr 2014 noch in besonderer Erinnerung. Damals machte sich die Große Koalition daran, die Renten in Ost und West anzugleichen, und der CSU konnte das Zugeständnis zu dieser Maßnahme nur über die sogenannte Mütterrente abgerungen werden. Ein politisches Monstrum, dessen tieferen Sinn Experten bis heute vergeblich suchen.
Seinerzeit war es so, dass auf eine vernünftige Maßnahme zu deren Gunsten eine sinnlose aufgepfropft wurde. Das ist zwar auch nicht gut, aber nicht so schlimm wie im Fall des Tankrabatts und 9-Euro-Tickets. Hier gesellt sich aus koalitionsinternen Gründen ein Unsinn zum anderen.
Was wir über den Tathergang wissen: Als der Ukraine-Krieg schon bald nach dem russischen Überfall Ende Februar einen schweren Schatten über die deutsche Energieversorgung legte, überkam die Autofahrer-Partei FDP schnell die Angst, dass sie das treffen könnte, was die "Bild"-Zeitung einmal und für immer "Benzin-Wut" getauft hatte. Parteichef Christian Lindner und anderen Liberalen entfleuchte diese Idee, bevor so richtig über sie nachgedacht wurde. Also war sie im politischen Raum und dort nicht mehr wegzukriegen, weil jenseits der Sache in der Politik dann schnell alles auch eine Frage der Ehre wird.
Lange Schlangen an den Zapfsäulen vorprogrammiert
Die Grünen, ÖPNV-Partei aus Überzeugung, wollten der liberalen Autofahrer-Beglückung nur zustimmen, wenn dann auch die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in den Genuss eines Schnäppchens kommen. Das war die geistige Geburtsstunde des 9-Euro-Tickets, das wie der Tankrabatt ebenso umgehend ausgerufen wurde, ohne vorher mit nicht ganz unmaßgeblichen Beteiligten wie der Deutschen Bahn hinreichend geredet zu haben.
Doppelter Stuss hält besser. Und so nahm das Unheil aus Tankrabatt und 9-Euro-Ticket seinen Lauf. Mit der absehbaren Folge, dass es ab Mittwoch lange Schlangen an den Tankstellen und gerammelt volle Regionalbahnen etwa an die Ostsee geben wird. Endlich mal wieder Bleifuß auf Kosten der Allgemeinheit und mehrere Wochenenden einen Freifahrschein nach Usedom. Was will man mehr?
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".
Mehr Verstand zum Beispiel. Jenseits der milliardenschweren Kosten dieser Doppelmaßnahme bringt sie strukturell wenig bis nichts. Denn natürlich werde ich auch billiger tanken, und das erste 9-Euro-Ticket habe ich schon in der Geldbörse.
Brauchen noch mehr Windräder
Aber ich weiß zugleich, dass man das halt so mitnimmt. Ohne dass der Sache damit gedient wäre. Der Sache – massives Einsparen fossiler Energie aus Russland – kommt man nur mit weiterem Verzicht näher und nicht mit Subvention von Verbrauch. Bei mir etwa begänne das Ganze mit ästhetischem Verzicht. Seit Jahren tue ich mich schwer mit der Verschandelung der Landschaft durch die immer monströser werdenden Windräder. Sie sehen einfach scheußlich aus und sind eine Zumutung für jeden mit auch nur ein bisschen Sinn fürs Schöne der Natur und einer Kulturlandschaft.
Aber: Von den grässlichen Dingern müssen jetzt noch viel mehr her. Der Sonderabstand der zehnfachen Höhe des Windrades zur nächsten Siedlung muss in Bayern fallen, die Windmühlen müssen sich vervielfachen, zugunsten einer zunehmenden Energieautarkie Deutschlands. Irgendwann, so kann man sich trösten, wird es eine neue Technologie geben, und dann werden diese geflügelten Riesen verschwinden, wie inzwischen auch viele Überlandleitungen und deren Masten.
Andere wiederum sollten vorübergehenden Verzicht auf ihre Atomkraftskepsis üben und den verbleibenden Meilern eine längere Restlaufzeit gönnen. Und zumindest die Debatte aushalten, ob man die drei zum Jahreswechsel stillgelegten Meiler nicht auch noch mal hochfahren könnte.
Begrenztes Tempolimit war 1973 der Plan
Etwas mehr Verzicht wäre auch der Weg bei der Mobilität. 1973 hat die Bundesregierung nicht mit einem Tankrabatt von 30 Pfennig je Liter Sprit auf die Ölkrise reagiert. Sondern für eine begrenzte Zeit mit einem generellen Tempolimit von 100 auf den Autobahnen und vier autofreien Sonntagen. Dieses Mal hat der FDP-Verkehrsminister schon die Forderung nach Tempo 130 mit dem abstrusen Hinweis darauf plattgemacht, dafür gebe es nicht genug Schilder. Die gab es damals auch nicht. Die braucht man auch nicht, wenn generell Tempo 100 eingeführt wird. An einen autofreien Sonntag tastet man sich heute nicht einmal mehr heran.
Mehr Verzicht hieße im Übrigen auch, bei einem Gasengpass die privaten Haushalte nicht ganz außen vor zu lassen, wie es der Gasnotfallplan im Moment vorsieht. Auch hier kann der Verzicht jedes Einzelnen auf zwei Grad Zimmertemperatur und ein Paar Wollsocken mehr in den Filzpuschen dabei helfen, weite Teile der Wirtschaft nicht zum Erliegen zu bringen – am Ende zum Wohle aller.
1973, so viel steht jedenfalls fest, war man viel weiter als fast ein halbes Jahrhundert später. Die Gewöhnung an Wohlstand als Grundrecht sorgt dafür, dass die Regierenden selbst in einer Zeit der Not mit künstlich verbilligtem Sprit und praktisch kostenlosem Nahverkehr die Bevölkerung davon abhalten, die Dimension der Lage zu erfassen und wirklichen Verzicht zu üben. Ein hingestolperter doppelter Irrtum, der allenfalls gut gemeint ist. Aber weder hinten noch vorne durchdacht.
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