Gewinner und Verlierer Wer kommt, wer geht? Ein politisches Ranking für 2022
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Nach der Bundestagswahl sind die politischen Karten neu gemischt worden. Einige Stars der Politik sind verblasst, andere erlebten einen kometenhaften Aufstieg. Wer wird bleiben?
Bücher über Politiker sind in unserer Zunft Wetten auf die Zukunft. Wer liegt richtig, wer liegt falsch? Wer setzt aufs richtige Pferd, wer zieht eine Niete? Das ist das Spiel, das die Autoren und die Verlage betreiben. Vor zwei Jahren etwa gab es diesen kleinen Contest unter kundigen Kollegen bei der Rheinischen Post. Die eine Journalistin porträtierte Annegret Kramp-Karrenbauer, in der Hoffnung einen Kassenschlager auf die nächste Kanzlerin zu setzen.
Ihr Kollege und Chefredakteur setzte auf Jens Spahn. Beide, muss man sagen, haben am Ende ihre Hoffnungen in die Falschen gesetzt und Nieten gezogen. Richtig lag hingegen Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, der über den Sommer mit glühendem Keyboard ein Büchlein über Olaf Scholz schrieb – ein Projekt, für das ihm die Mehrzahl seiner Kollegen (inklusive mir) die Scheibenwischerbewegung gezeigt haben.
Und nun ist Olaf Scholz Kanzler, also ganz oben, Chef einer ganz neuen Regierung zum Ausklang eines turbulenten Jahres, was vielleicht ein guter Moment ist, für eine Art politisches Ranking: Für wen ging es hoch, für wen runter in der neuen politischen Ordnung, die uns der Ausgang der Bundestagswahl im Herbst beschert hat.
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".
Fangen wir mit den Verlierern an. Der Verlierer des Jahres 2021 ist mit Sicherheit Jens Spahn. Seit Jahren und im Zuge zweier Teilnahmen am Wettkampf um die CDU-Parteiführung galt der vergleichsweise junge Mann als Zukunftshoffnung mit Aussicht auf die Kanzlerschaft. Im Buch von Michael Bröcker sagte Spahn gegen Ende: bekannt sei er ja schon, beliebt müsse er noch werden.
Das hat sich, kann man festhalten, erledigt. Schon während seiner Amtszeit als Gesundheits- und damit Corona-Minister konnten, außer bei ihm selbst, immer wieder Zweifel an seiner Eignung aufkommen. Erst versagte er bei der Maskenfrage, redete deren Bedeutung runter, als er sie schlicht nicht in hinreichendem Umfang vorbestellt hatte. Dann verstolperte er den Kauf des Impfstoffs. Und schließlich verpennte er den Start des Boosterns. Dreimal ist mindestens zweimal zu viel.
Wie ungenügend Spahn als Minister agierte, wurde aber so richtig erst nach der Wahl und dem Wachwechsel im Gesundheitsministerium deutlich. Man kann zu Karl Lauterbach persönlich stehen, wie man will, aber er hat gezeigt, wie man mit Kompetenz und Willenskraft innerhalb von Wochen klar Schiff macht. Kurzum: Ich glaube nicht, dass Jens Spahn noch einmal zurückkommt in die Politik.
Scholz hat es geschafft
Was auch dem neuen Kanzler zugutekommt. Scholz, der Lauterbach nicht wollte, kann sich jetzt darin sonnen, die 30 Millionen Booster-Nummer bis zum neuen Jahr hinbekommen zu haben. Und selbst wenn er bei der Pressekonferenz zu seinem öden und monotonen Sprechstil obendrein auch noch alles vom Blatt abgelesen hat, zeigte er mit dem Aufschub der Verschärfungen bis nach Weihnachten politische Courage und Weitsicht. Das Kalkül war richtig, was ihm auch ein (einsamer) Ärztefunktionär bescheinigte: Weihnachten faktisch ausfallen zu lassen, hätte sich nachteilig ausgewirkt auf die Bereitschaft der Bevölkerung, danach in sozialer Hinsicht wieder mehr Askese an den Tag zu legen.
Die eigentliche Staatskunst von Scholz wird sich aber nicht im Bändigen von Corona erweisen. Sondern in seiner Dompteursfähigkeit seinen beiden Koalitionspartnern gegenüber. Sowohl FDP als auch Grüne haben lange nicht mehr regiert und müssen sich erst an die neue Rolle gewöhnen. Bei den Grünen ist ein hohes Maß an überschießendem Tatendrang festzustellen, vor allem bei Annalena Baerbock. Die Außenministerin hat es innerhalb von Tagen geschafft, etwas hinzukriegen, was einer ausgewachsenen Regierungskrise gleichkommt. Denn was ist das anderes, als wenn sich Kanzler und Außenministerin zutiefst uneins sind über den Umgang mit Russland und China? Weil aber noch ein wenig Welpenschutz gilt, hat das Kommentariat und auch das Ausland auf diesen Clash von Kanzler und erster Diplomatin noch vergleichsweise milde reagiert. Das nächste Mal wird das anders sein.
Lindner: Burschikos und wurschtig
In der FDP wiederum hat Scholz einen zweiten Koalitionär, der sich seines eigenen Slogans vor einigen Jahren (eine dieser Marketing-Eintagsfliegen des frühen Christian Lindner) erinnert, als die Liberalen die "Beta-Republik" ausriefen. Lieber eine B-Version einer Sache sofort umsetzen, als ewig auf die A-Version zu warten. So in etwa lautete der Slogan seinerzeit, mit dem sich die FDP an die digitale Community heranwanzen wollte.
So ähnlich sehen nun leider auch die ersten Konturen von Christian Lindners Finanzpolitik als zuständiger Minister aus. Jedenfalls wirkt es einigermaßen burschikos und wurschtig, Milliarden, die aus Corona-Gründen als Ausnahme von der Schuldenbremse aufgenommen wurden, einfach umzuwidmen für einen kleinen ökonomischen Booster der neuen Regierung. Ich bin kein Jurist, kein Verfassungsrechtler und auch kein Haushaltsexperte, aber der Verfassungsklage gegen diesen Coup gebe ich eine gute Chance in Karlsruhe.
Der politische Aufsteiger 2021
Der Gewinner oder Aufsteiger des Jahres 2021 aber scheint mir eindeutig Friedrich Merz zu sein. Besonders Leute, die ihn oder die CDU eh nie wählen würden, waren sich über Jahre hinweg sicher, dass er der völlig Falsche an der Spitze der Bürgerlich-Konservativen wäre. Die Parteimitglieder haben diese gut gemeinten Ratschläge aus dem anderen politischen Spektrum aber in den Wind geschlagen und endlich denjenigen mit deutlicher Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt, den sie eigentlich schon seit drei Jahren haben wollen.
Die eigentliche Aufgabe aber steht Merz noch bevor. Die Parteigeschichte der CDU hat es so gewollt, dass Merz nun vor einer Aufgabe steht, wegen deren Lösung zu seinen Ungunsten er Angela Merkel inniglich gehasst hat. Nach der knappen Wahl mit zunächst offenem Ausgang 2002 hatte sie Merz kurzerhand vom Fraktionsvorsitz weggeboxt und diesen neben dem Parteivorsitz für sich reklamiert.
Der Verlierer im Wartestand
Nun hat es der neue Parteivorsitzende mit dem Umstand zu tun, dass Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus ebenfalls nicht gewillt ist, freiwillig von diesem Posten zu weichen. Aus zwei Gründen aber muss Merz in dort wegbugsieren. Erstens, weil ihm als Parteichef einer Oppositionspartei sonst schlicht die Bühne des Bundestages fehlt. Und zweitens, weil Ralph Brinkhaus sich auf seinen ersten Metern als Oppositionsführer als ziemlich plumper Dreschflegel erweist.
Es ist also in Merz’ ureigenem Interesse ebenso wie in jenem der CDU, Brinkhaus von diesem wichtigen Posten zu entfernen. Seinerzeit hat Merz immer wieder gesagt, dass nicht die Sache an sich, sondern die Art und Weise Merkels sein Problem gewesen wäre. Nun kann und muss er zeigen, wie man das eleganter und sozialverträglicher hinkriegt, ohne sich diesen Vorwurf einzuhandeln.
Meine Prognose für den Fall, dass Brinkhaus so stur bleibt wie seinerzeit Merz: Gar nicht.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.