Verkehrsminister Wissing Er macht sich seine Welt, wie sie ihm gefällt
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Erst blockieren, dann drohen: Die Freiheits- und Autofahrerpartei FDP macht sich die Welt, widde, widde, wie sie ihr – und ihrer Wählerschaft – gefällt. Schön für sie, schlecht für alle anderen.
Ich wäre gern weniger politikverdrossen, aber vor allem die FDP macht es mir gerade nicht leicht. Vor einer Woche etwa drohte Verkehrsminister Volker Wissing selbst mit Fahrverboten. Dann schob seine Partei den Vorstoß den Grünen in die Schuhe, nur um anschließend so tun zu können, als hätte sie diese vermeintliche Gefahr abgewendet. Ähnlich wie bei der Debatte um das Heizungsgesetz wird hier Bürgerinnen und Bürgern fahrlässig Angst gemacht und nötiges Handeln unnötig verzögert.
Aber von vorn: Vergangenen Freitag warnte Wissing per Brief an die Koalitionsfraktionen plötzlich und für alle überraschend davor, dass am Wochenende bald keine Autos mehr fahren dürften. Um mehr Wumms, Angst und Aufregung zu erzeugen, ging das Schreiben direkt auch an die "Bild"-Zeitung. Fahrverbote seien die angeblich einzige Möglichkeit, um ein vermeintlich überzogenes Klimaschutzgesetz einzuhalten, schrieb Wissing darin. Und die Grünen seien schuld daran, weil sie einer Änderung des Klimaschutzgesetzes im Wege stünden. So argumentierte Wissing später etwa in einem "Tagesschau"-Interview.
Der Hintergrund: Vor allem im Verkehrssektor werden die dort festgelegten Ziele gerissen. Laut dem bisherigen Gesetz wäre Wissing jetzt verpflichtet, ein Programm mit Sofortmaßnahmen auf- und umzusetzen, um die Emissionen zu senken. Dass die Maßnahmen im Verkehrssektor nicht ausreichen, darauf weist der eigens dafür eingerichtete Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung immer wieder hin, zuletzt am Montag. Aber wenn die Zahlen nicht stimmen, ist es natürlich einfacher, die Rechnung zu ändern.
Starke Kritik an Gesetzesänderung
In der Ampelregierung arbeitet man daher seit Monaten daran, das Klimaschutzgesetz zu reformieren. Anstatt jeden Sektor einzeln in die Pflicht zu nehmen, soll das Ergebnis nun nur noch sektorübergreifend gemessen werden. Wenn das Ergebnis insgesamt passt, sollen auch Bereiche, in denen die Emissionen über dem Ziel lagen, nicht nachbessern müssen. Und falls die Ziele insgesamt gerissen werden, sollen alle Ressorts gemeinsam schauen, wie sie die Emissionen senken können.
Die Logik hätte von meiner kleinen Schwester stammen können. Als Kind weigerte sie sich oft, ihre Stube aufzuräumen und argumentierte manchmal, dass wir die Tür zu ihrem Zimmer ja einfach geschlossen halten könnten. Oder sie lud mich und unsere Oma ein, um bei ihr ein bisschen Ordnung zu schaffen. Meine Eltern hielten wenig von ihren Ideen; meine Schwester konnte sich, ähnlich wie die FDP, dennoch überraschend oft durchsetzen.
Zur Person
Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei T-Online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.
Von Expertinnen und Experten wird die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes stark kritisiert, weil sie es ermöglicht, nötige Maßnahmen einfach weiter zu verschleppen. Wenn wir die Erderhitzung stoppen wollen, müssen die Emissionen so schnell wie möglich auf Null gedrückt werden – in allen Bereichen. Auch im Verkehr.
Grüne lassen sich von der FDP erpressen
Die Ampelregierung hat sich dennoch genau darauf geeinigt, ganz zufällig ebenfalls am Montag. Die FDP feiert sich jetzt dafür, – die niemals ernsthaft diskutierten – Fahrverbote damit abgeräumt zu haben. Die Grünen loben die vereinbarte Reform offiziell als "starkes Update" und versichern paradoxerweise, dass die Verbindlichkeit jedes Sektors erhalten bleibe, jetzt nur "intelligenter" gemessen werde. Aha.
Dass sich die Grünen von der FDP derart erpressen lassen, wird zu Recht kritisiert. Ich kann es dennoch nachvollziehen: Würden sich alle verhalten wie die blockierende Kleinpartei, würde die Regierung überhaupt nichts auf die Reihe bekommen. Die Grünen machen die Entkernung des Klimaschutzgesetzes mit, um zumindest das Solarpaket durchzubekommen und so mit der Energiewende voranzukommen. Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD, die 2021 unter anderem mit dem Slogan "Klimakanzler" geworben hatten, halten sich weitgehend aus der Diskussion heraus und tun mal wieder so, als hätten sie mit dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen wenig zu tun. Und um ehrlich zu sein: haben sie ja auch nicht.
Trotz des Ernstes, der Dringlichkeit und Absurdität der Lage versuche ich, nicht zynisch zu werden. Aber bei Meldungen aus dem Verkehrsministerium fängt in meinem Kopf Pippi Langstrumpf oft automatisch an zu singen: "Ich mache mir die Welt, widde, widde, wie sie mir gefällt."
Gar nicht alles schlecht, was Wissing macht
Im "Tagesschau"-Interview argumentierte Wissing, dass wir die Emissionen im Verkehr aktuell nicht so schnell senken könnten: "Wir haben in Deutschland 45 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Und die Bürgerinnen und Bürger können sich ja nicht von einem Jahr aufs andere ein neues Auto kaufen. Außerdem sind die klimaneutralen Fahrzeuge gar nicht verfügbar."
An der Situation ist Wissing nicht alleine schuld, und tatsächlich ist gar nicht alles schlecht, was er macht. Auch seinen Vorgängern haben wir die Probleme zu verdanken. Aber Wissing steuert eben auch nicht entschieden gegen und macht es somit wahrscheinlich, dass irgendwann wirklich Maßnahmen wie Fahrverbote nötig werden könnten, um die eigenen Klimaziele zu erreichen.
Um die Ziele für den Verkehrssektor einzuhalten, müssen 22 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Eine Option wären Tempolimits auf Autobahnen. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes würden diese rund sieben Millionen Tonnen Emissionen einsparen, und das relativ schnell und ohne größere Kosten.
Es gibt andere Möglichkeiten
Wissing behauptet: "Das wollen die Leute nicht." Aber stimmt das eigentlich? Bei einer Umfrage des Umweltbundesamtes Ende 2020 befürworteten 42 Prozent ein Tempolimit von 130 km/h, weitere 22 Prozent waren eher dafür. Nur 21 Prozent lehnten den Vorschlag klar ab. Selbst unter ADAC-Mitgliedern ist seit 2019 eine Mehrheit für ein Tempolimit, 2023 waren es 54 Prozent. Wissing und seine Kleinpartei sind es also vor allem, die kein Tempolimit wollen. Zur Erinnerung, die FDP lag in Umfragen in den vergangenen Monaten zwischen 4 und 6 Prozent.
Weitere Möglichkeiten wären, den Flugverkehr im Inland zu reduzieren, Tempo 30 in Kommunen einzuführen oder das Dienstwagen- und Dieselprivileg anzugehen, mit dem klimaschädliches Verhalten sogar noch subventioniert wird. All das lehnt die Partei ab, ohne ernsthafte Alternativen zu entwickeln. Stattdessen kämpft die FDP für E-Fuels, die extrem teuer sind und nie in ausreichender Menge zur Verfügung stehen werden, und fördert Flugtaxis. Eine technische Scheinlösung, die ähnlich wie Kernfusion und die Technologien, um CO2 aus der Luft zu ziehen, nicht zeitnah im großen Maßstab einsetzbar sein werden – wenn überhaupt. Man muss halt Prioritäten setzen. Der Erhalt unserer Lebensgrundlagen steht offenbar nicht besonders weit oben auf der Liste.
Es ist zum Verrücktwerden: Die Maßnahmen der Bundesregierung reichen nicht aus, um das eigene Klimagesetz einzuhalten – deshalb wird lieber das Gesetz geändert, statt die Maßnahmen zu intensivieren. Dabei reicht schon das aktuelle Klimagesetz nicht aus, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten – aber darüber spricht, abgesehen von Klimaaktivistinnen, kaum jemand.
"Fortbestand der menschlichen Zivilisation extrem gefährdet"
Und ganz ehrlich: All diese Ziele sind ja schön und politisch sicher auch unbedingt nötig. Aber wenn wir uns anschauen, wie die Erderhitzung gerade eskaliert, stellt sich eh die Frage, warum wir über all das eigentlich so lange diskutieren und nicht längst entschlossen Notfallpläne erarbeiten und umsetzen.
Im Regierungsviertel streiken Klimaaktivisten gerade unter dem Motto, "Hungern bis ihr ehrlich seid". Einer der Teilnehmenden hat wohl seit dem 7. März nichts gegessen. Ich halte die Aktion für strategisch unklug und wenig aussichtsreich. Angesichts dessen, wie Realität und Politik aneinander vorbeigehen, kann ich die Verzweiflung der Hungerstreikenden aber nachvollziehen.
Sie fordern nichts weiter, als dass der Kanzler Klartext spricht. Er soll öffentlich anerkennen, was auch der Weltklimarat mit jedem Bericht bekräftigt: dass der "Fortbestand der menschlichen Zivilisation durch die Klimakrise extrem gefährdet" ist und wir nach jahrelangem Verzögern radikal umsteuern müssen. Solch eine Rede ist überfällig. Auch von Angela Merkel, die in ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin diverse Ruckreden gehalten hat, hätte ich sie mir gewünscht.
Ganz so leicht kommt der Verkehrsminister übrigens nicht davon. Auf EU-Ebene ist eine Lastenteilung vereinbart. Zwischen 2021 und 2030 müssen demzufolge auch Sektoren wie Landwirtschaft, Gebäude und eben Verkehr ihre Emissionen im Vergleich zu 2005 um 30 Prozent senken. Dem Expertenrat für Klimafragen zufolge könnte Deutschland diese Ziele ab 2024 reißen, dann drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Davor warnt aktuell ausgerechnet die Fraktion, die zuvor 12 Jahre lang den Verkehrsminister gestellt hat: die CDU/CSU.