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"Amnesty"-Report 2023: Auch Deutschland steht hart in der Kritik


Deutschland wird getadelt
Baerbock steht für "Doppelstandards" in der Kritik


Aktualisiert am 24.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Annalena Baerbock (Archivbild): Amnesty International kritisiert die Außenministerin für ihre "Doppelstandards". (Quelle: IMAGO/Kira Hofmann/imago)

Amnesty International veröffentlicht seinen Bericht zur Menschenrechtslage weltweit. Auch Deutschland steht stark in der Kritik.

Ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte: So lautet das Fazit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International für 2023. Neben Kriegsverbrechen prangerte die Organisation den Missbrauch von Künstlicher Intelligenz und eine schlechter werdende Lage der Frauenrechte an.

"Weltweit gewinnen nationalistische, rassistische und frauenfeindliche Kräfte Zuspruch", sagte Julia Duchrow, promovierte Völkerrechtlerin und Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland bei der Pressekonferenz zum Jahresbericht 2023. Die Werte der gleichen Würde und der gleichen Rechte für alle Menschen würden durch diese Kräfte angegriffen werden. Auch in Deutschland könnten die Auswirkungen des globalen Rechtsrucks beobachtet werden: "Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete ist um mehr als zwei Drittel gestiegen", so Duchrow unter Verweis auf das Bundesinnenministerium.

Während es in den Kriegsgebieten der Welt zu immer weiteren Kriegsverbrechen gekommen ist, steht Deutschland in diesem Jahresbericht ebenfalls stark in der Kritik. t-online gibt einen Überblick über einige Aspekte des aktuellen "Amnesty International Reports" und hat bei Betroffenen sowie Beschuldigten nachgefragt.

Menschenrechtsverletzungen in Gaza und der Ukraine

Der Krieg in Europa hielt auch im Jahr 2023 an: In der Ukraine wurden im Zuge des russischen Angriffskriegs massive Kriegsverbrechen begangen. Die schwerwiegendsten sollen in den russisch besetzten Gebieten erfolgt sein. Gleichzeitig hat sich die Menschenrechtslage in Russland selbst verschlechtert, so die Einschätzung von "Amnesty International". Folter und Misshandlungen in Haft seien dort weit verbreitete Praktiken, die zumeist ungestraft bleiben würden.

Menschenrechtsverletzungen stellte die NGO auch im Nahen Osten fest. Im Gazastreifen seien etwa Hinrichtungen durch militante islamistische Gruppen verübt worden. Bei dem Angriff der Hamas auf Israel seien mindestens 1.000 Menschen getötet worden. Und bei den Vergeltungsschlägen durch Israel seien wiederum rund 21.600 Zivilisten im Gazastreifen getötet worden.

Die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock (Grüne), lege in Bezug auf den Gaza-Krieg Doppelstandards an, kritisierte Duchrow bei der Veröffentlichung in Berlin. Sie appellierte an die Ampelregierung, dass sich Deutschland stärker für die Befreiung der israelischen Geiseln einsetzen müsse.

Menschenrechte dürften nicht zur Verhandlungsmasse werden, weshalb sich die Bundesregierung für Frieden in Nahost einsetzen müsse. Dazu müssten die Waffenlieferungen an Israel ausgesetzt werden, da mit diesen mutmaßlich völkerrechtswidrige Angriffe ermöglicht würden. Aber auch den Umgang mit dem Nahostkonflikt auf deutschen Straßen kritisierte die Organisation in ihrem Bericht deutlich.

Kritik an Situation auf deutschen Straßen

Präventive Pauschalverbote von pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin werden von Amnesty International kritisiert – sie verletzten das Recht auf Versammlungsfreiheit. Ebenso kritisierte die NGO zunehmende Gewalt von Seiten der Polizei bei Palästina-solidarischen Demonstrationen. Die Berliner Polizei, Exekutivorgan und Versammlungsbehörde der Hauptstadt, wollte sich vor der Veröffentlichung des Berichts nicht zu konkreten Vorwürfen äußern.

Insgesamt habe die Polizei Berlin zwischen 7. Oktober 2023 und 31. März insgesamt 22 Veranstaltungen mit Nahost-Bezug verboten, 128 pro-palästinensische Veranstaltungen konnten in diesem Zeitraum jedoch stattfinden, wie es von der Behörde heißt. Eine Veranstaltung unter dem Motto "Demonstration für das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zum 75. Jahrestag der Nakba" sei ebenfalls abgesagt worden, später bestätigte das Verwaltungsgericht Berlin das Verbot. Für ein Verbot sei die Gefahrenprognose der Polizei ausschlaggebend, so die Polizei Berlin.

Neben Demonstrationen rund um die Geschehnisse in Nahost fanden die Klimaproteste der "Letzten Generation" Erwähnung in dem Bericht der Menschenrechtsorganisation. Während friedlicher Proteste soll es mehrfach zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei gekommen sein.

Gerade auch die Anwendung sogenannter Schmerzgriffe wird von der Menschenrechtsorganisation stark kritisiert. Solche Griffe wurden auch am 12. April in Berlin gegen eine Straßenblockade der "Letzten Generation" eingesetzt – das belegen Videos, die der Redaktion vorliegen. Von ihnen war auch Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppe, betroffen.

Im Gespräch mit t-online sagte Hinrichs dazu: "Dass wir uns in Krisensituationen als Menschen versammeln dürfen, steht in unserer Verfassung. Das ist ein hohes Gut in einer Demokratie und mir macht es große Sorgen, dass in unserem Land so mit friedlichem Protest umgegangen wird. Es sollte uns allen ein Alarmsignal sein: Eine stabile Demokratie ist nicht selbstverständlich, wir müssen für sie aufstehen." Sie berichtete im Nachgang der Aktion von Schmerzen am gesamten Körper. Auch andere Aktivisten berichten immer wieder von teils langanhaltenden Schmerzen nach der Anwendung solcher Grifftechniken.

Polizei weist Schuld von sich

"Grundsätzlich gilt, dass bei der Polizei keine 'Schmerzgriffe' im Sinne von Techniken zur Anwendung kommen, die per se als Maßnahmenziel das Erzeugen von Schmerzen haben", heißt es von der Polizei Berlin zur Anwendung dieser Methodik, und weiter: "Schmerzreize entstehen dabei nur, wenn die Betroffenen sich der Bewegungsrichtung widersetzen." Allerdings werde die Technik im Gesetz selbst als "körperliche Gewalt" geführt. Darüber, wie stark zugepackt wird, treffe der jeweilige Beamte eine "Einzelfallentscheidung".

Auffällig ist, dass die Polizei Berlin zwischen 24. Januar 2022 und 7. Juni 2023 insgesamt 325-mal Gewahrsam im Kontext mit Protesten der "Letzten Generation" beantragt hat, diesem aber nur 68-mal von Seiten des Gerichts zugestimmt wurde.

Harte Kritik am bayrischen Vorgehen bei Klimaprotesten

Bedenken in Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen hat "Amnesty International" auch bei der Präventivhaft. In Bayern wurde diese vor dem Hintergrund der internationalen Automobilmesse gegen mindestens 27 Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten verhängt. Die Aktivisten kamen 30 Tage in Haft.

Auf Anfrage von t-online äußerte sich das "Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration" wie folgt zu den präventiven Ingewahrsamnahmen: "Der Vorwurf der Menschenrechtsverletzung in Fällen des Präventivgewahrsams in Bayern ist völlig haltlos und aus der Luft gegriffen." Es liegt laut einem Sprecher des Ministeriums "an jedem Klimaaktivisten selbst, ob er sich an Recht und Gesetz hält und niemanden durch Aktionen gefährdet." In diesen Fällen gebe es auch keine Präventivhaft in Bayern.

Haft ohne Anlass?

"Amnesty International" betont in seinem Bericht allerdings, dass es für Präventivhaft in Bayern weder ein Strafverfahren noch Hinweise auf eine Straftat geben muss. Präventivhaft ist Teil des umstrittenen Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Verbände und Parteien kritisierten das PAG immer wieder als verfassungswidrig.

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Im Juni des vergangenen Jahres entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz zumindest mit der bayerischen Verfassung in Einklang stehe. Vor Inkrafttreten des Gesetzes stellte sich dem Vorhaben ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus fast allen demokratischen Parteien (ohne CDU/CSU), Kirchen, Sozial- sowie Rechtsverbänden entgegen, allerdings ohne Erfolg.

"Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir mit friedlichem Protest umgehen wollen. Den Feueralarm wegzusperren, wird nicht helfen. Ist das aber die Reaktion unseres Staates, ist das keine Klimaschutzfrage mehr, hier ist unserer Demokratie in Gefahr", ordnet die Sprecherin, Carla Hinrichs, die Präventivhaft aus Sicht der "Letzten Generation" ein.

Verwendete Quellen
  • Pressekonferenz Amnesty Report 2023/2024
  • Anfragen an Polizei Berlin, Letzte Generation, das "Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration"
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