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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nagelsmanns EM-Kader Sie müssen zittern
Mit auf dem Papier 27 Spielern geht Julian Nagelsmann in die EM-Vorbereitung. Einer von ihnen wird definitiv nicht am Turnier teilnehmen.
Aus Berlin berichtet Noah Platschko
Am Donnerstag war die Katze endgültig aus dem Sack. Nach einer tagelangen Schnitzeljagd, in der der DFB mit kreativen Clips zahlreiche deutsche EM-Fahrer bekannt gab, präsentierte Julian Nagelsmann im Headquarter von Mobiltätspartner VW in Berlin seinen kompletten Kader für das Heimturnier.
Mit nun etwas weniger Spannung als sonst hatten die anwesenden Journalistinnen und Journalisten sowie die Fans an den Endgeräten die Verkündung Nagelsmanns erwartet. Dennoch konnte der 36-Jährige für eine Überraschung sorgen – wenn auch nicht unbedingt bei den Namen.
27 Spieler umfasst der vorläufige Kader Nagelsmanns und damit einen Spieler mehr, als bei der finalen Benennung am 7. Juni erlaubt sind. Im Vergleich zur Nominierung für die Länderspiele im März gegen Frankreich und die Niederlande fehlten mit Jan-Niklas Beste, der bereits damals verletzungsbedingt hatte absagen müssen, und dem nun angeschlagenen Bernd Leno zwei Akteure.
Alle vier Torhüter bei der EM dabei
Neu dabei sind hingegen Nico Schlotterbeck, der zuletzt gesperrte Leroy Sané sowie Neuling Alexander Nübel. Die Nominierung des Stuttgarter Schlussmanns hatte sich bereits am Mittwoch herauskristallisiert. Der VfB-Keeper ist einer von gleich vier Torhütern neben den ohnehin gesetzten Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen sowie Oliver Baumann.
Spannend dabei: Wie Nagelsmann auf t-online-Nachfrage zu verstehen gab, werden alle vier Torhüter auch bei der EM dabei sein. Einen Zweikampf um den dritten Platz – Nagelsmanns Vorgänger hatten immer maximal drei Keeper mitgenommen – wird es also nicht geben. Der Bundestrainer begründete dies mit seinen Trainingseinheiten.
"Ich sehe es als wichtig an, vier Torhüter mitzunehmen, um auch die Belastung zu streuen. Jeder, der schon mal im Tor stand, weiß, wenn auf einmal 20 Spieler 400 Schüsse abfeuern, dann ist das relativ belastend. Und wir haben eine enge Taktung an Spielen", argumentierte Nagelsmann hinsichtlich der etwas ungewöhnlichen Maßnahme.
Seine Entscheidung für vier Schlussmänner hat allerdings auch eine unmittelbare Konsequenz für den Rest der Mannschaft. Mindestens ein Feldspieler muss noch aus dem vorläufigen Kader gestrichen werden und wird das Heimturnier verpassen – vorausgesetzt, niemand verletzt sich mehr.
"Die Wackelkandidaten wissen Bescheid", verkündete Nagelsmann – ohne konkret zu werden. "Ich werde die Namen aber nicht nennen, auch aus Respekt den Spielern gegenüber."
Doch wer könnten die Wackelkandidaten sein?
Blickt man auf die unterschiedlichen Mannschaftsteile, stellen sich diese wie folgt dar: Vier Torhüter, neun Abwehrspieler, neun Mittelfeldspieler sowie fünf Angreifer. Gerade in der Innenverteidigung scheint es aktuell ein leichtes Überangebot zu geben.
Neben den gesetzten Antonio Rüdiger und Jonathan Tah dürfen, Stand jetzt, noch Waldemar Anton, Nico Schlotterbeck und Robin Koch bei der Heim-EM mit dabei sein. Während die beiden erstgenannten Spieler flexibel einsetzbar wären, gilt Frankfurts Koch als klassischer Innenverteidiger. Zudem zeigte die Formkurve beim 27-Jährigen zuletzt eher nach unten.
Nicht wenige wunderten sich deshalb in den sozialen Netzwerken und darüber hinaus über das Fehlen von Dortmunds Mats Hummels. Nagelsmann sieht in Koch dennoch wohl den geeigneteren Back-up. Einen, den er am Ende aber vielleicht gar nicht braucht.
Fünf Stürmer im Angriff – Stand jetzt
Ein weiterer Streichkandidat könnte Stürmer Maximilian Beier sein. Der Hoffenheimer ist bislang noch ohne Länderspieleinsatz, wurde im März das erste Mal eingeladen. Neben Kai Havertz, Deniz Undav, Niclas Füllkrug und Thomas Müller ist er nur Stürmer Nummer fünf und somit erster Streichkandidat.
Allerdings bringt der 21-jährige Flügelstürmer eine enorme Antrittsschnelligkeit mit. Eine Eigenschaft, die den anderen vier Angreifern abgeht. Angesichts des verletzungsbedingten Ausfalls Serge Gnabrys sowie der Verletzungsanfälligkeit Leroy Sanés könnte Beier, insbesondere bei Führung, eine wichtige Waffe im Konterspiel darstellen.
Gut drei Wochen hat Nagelsmann nun noch Zeit, den einen Spieler zu benennen, den er am ehesten entbehren kann. So lange leben jene, die als Wackelkandidaten bezeichnet wurden, in Angst. Für sie steht ein großer Karrieretraum auf der Kippe.
Schon jetzt steht allerdings fest, dass der Bundestrainer zu Beginn des ersten Trainingslagers in Blankenhain am 26. Mai auf etliche Spieler verzichten muss. Die Dortmunder Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck sowie Antonio Rüdiger und Toni Kroos von Real Madrid spielen am 1. Juni noch das Champions-League-Finale – und werden erst Anfang Juni im zweiten Trainingslager in Herzogenaurach zur Mannschaft stoßen. Auch die Leverkusener, die am 25. Mai noch das DFB-Pokalfinale in Berlin spielen, reisen in Blankenhain später an.
Nichtsdestotrotz sieht sich Nagelsmann gewappnet. "Das Energielevel hoch halten, das ist der Schlüssel. Wenn wir das schaffen, dass alle Bock haben und kein Lagerkoller entsteht, dann ist durchaus eine Chance gegeben, dass wir sechs Wochen zusammen verbringen dürfen", gab der Bundestrainer gegen Ende der Pressekonferenz zu verstehen.
Er selbst, das bemerkte er mit einem Lächeln, habe "ein paar Leute im Köcher, die ich im Fall einer besonderen Stresssituation kontaktieren könnte". Er fühle sich aber "ganz gut" präpariert. Sollte er diesen Zustand auf die Mannschaft übertragen können, dann sollte nichts schiefgehen.
- DFB-Pressekonferenz in Berlin
- Eigene Recherche