Deutschlands ESC-Kandidat Das wird nichts
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Heute Abend wird Sänger Isaak Deutschland beim Eurovision Song Contest in Malmö vertreten. Chancen auf den Sieg hat er eher nicht.
Nun also Isaak. Nachdem sich der Sänger aus Ostwestfalen bereits im Februar gegen die Konkurrenz im deutschen Vorentscheid durchsetzen konnte, steht er heute mit seinem Lied "On The Run" beim Eurovision Song Contest in Malmö auf der Bühne.
Mit dem Kampf um die vorderen Plätze in Malmö wird Isaak dabei allerdings nichts zu tun haben. Dazu hat man Songs wie sein "Always On The Run" schlichtweg zu oft gehört. Sein Lied klingt so, als habe man die offiziellen Songs der großen Fußballturniere der vergangenen Jahre in einen Topf geworfen, kräftig umgerührt und das Ergebnis als Hoffnung für den ESC in Malmö präsentiert.
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Dazu kommt ein weiteres Problem: Isaak wirkte bei seinem Auftritt im Halbfinale des Musikwettbewerbs in Schweden und der Generalprobe für das Finale etwas schwach auf der Brust. Er verpasste hohe Töne, seine Bühnenpräsenz ließ zu wünschen übrig. Hinzu kommt, dass "On The Run" im Feld der ESC-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer nicht herausstechen kann. Allein diese Tatsache wird dafür sorgen, dass Isaak nur mit wenigen Punkten der internationalen Jurys rechnen können wird. Immerhin: Vielen Zuschauerinnen und Zuschauern scheint der Song zu gefallen. Es bleibt also die Hoffnung, durch die Stimmen des Publikums nicht auf dem letzten Platz zu landen.
Dass Isaak auch in diesem Jahr ein absolut redundantes Ergebnis erzielen und die Anzeigetafeln der internationalen Jurys oft "Zero Points for Germany" auf die Fernsehbildschirme des Kontinents projizieren werden, ist allerdings mitnichten die Schuld des 29-jährigen Sängers aus Ostwestfalen. Es ist die Schuld des Norddeutschen Rundfunks (NDR), der es wieder einmal nicht geschafft hat, bei der Auswahl des deutschen ESC-Beitrags mutig zu sein.
Schuld ist der NDR
Seit Juli 2023 hatte der NDR um Bewerberinnen und Bewerber für den deutschen ESC-Vorentscheid geworben. An Abwechslung mangelte es dem NDR dabei nicht. 693 vollständige Bewerbungen trudelten bis zum Ablauf der verlängerten Frist beim Organisator des Wettbewerbs ein. Daraus wählte eine Jury 32 Songs aus, die in die engere Auswahl rückten.
Bei dieser Jury liegt das entscheidende Problem. Zwar besteht das Auswahlgremium aus verdienten Künstlerinnen und Künstlern, die bereits am ESC teilgenommen haben, sowie aus ehemaligen Jury-Mitgliedern des Eurovision Song Contest – aber ihr gehören eben vor allem arrivierte Mitglieder der Musikindustrie an. Sie hatten ihre fünf Minuten Ruhm und haben es mal wieder nicht geschafft, Kandidatinnen und Kandidaten für den ESC auszusuchen, an die man sich auch noch in Jahren aufgrund ihrer Obskurität oder ihres Talents erinnert.
Lasst das Publikum entscheiden!
Schauen wir nach Schweden: Dort wählen die Zuschauerinnen und Zuschauer bei mehreren Ausgaben des Melodifestivalen den ESC-Vertreter ihres Landes. Dieses Format hat gewisse Vorteile – allen voran, dass Hörerinnen und Hörer nun mal am besten wissen, was ihnen gefällt, und so Vertreterinnen und Vertreter auswählen können, die Potenzial haben, dass man sich an sie erinnert. In diesem Jahr tritt etwa die Metalband Smash Into Pieces an, die mit einer erfrischenden Bühnenshow und einem einprägsamen Song gute Chancen auf den Titel hat.
Auch in Norwegen haben die Zuschauerinnen und Zuschauer des Melodi Grand Prix, wie der dortige ESC-Vorentscheid heißt, mehr Macht bei der Auswahl der Vertreter als die vom Fernsehsender bestimmte Jury. Dort wurde die Folk-Metal-Band Gåte ausgewählt. Sie wird in Malmö mit ihrer epischen Hymne "Ulveham" antreten und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einem der vorderen Plätze landen.
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Warum ist das so? Weil die Wahl des ESC-Kandidaten oder der ESC-Kandidatin durch das Publikum bedeutet, dass der Gewinner entweder voll am Puls der Zeit ist oder sogar Trends setzen kann. In Deutschland hatte das Publikum mit Ausnahme eines Kandidaten quasi kein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der möglichen ESC-Vertreter.
Das Auswahlverfahren muss sich ändern
Will man beim ESC erfolgreich sein, muss sich das gesamte Auswahlverfahren drastisch verändern. Entweder organisiert man wie in Schweden und Norwegen eine mehrteilige, aufwendig produzierte Auswahlshow, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer bestimmen, wer zur 2025 stattfindenden Ausgabe des Eurovision Song Contest fährt. Oder man gibt zumindest einem Fernsehsender das Heft in die Hand, der durch seine Sendungen zeigt, dass er etwas von Musik am Puls der Zeit versteht.
Der Westdeutsche Rundfunk böte sich an, der mit Cosmo den vermutlich interessantesten Radiosender Deutschlands unterhält und auch eine der fähigsten Redaktionen des Landes hat, wenn es darum geht, junge Newcomer mit brillanten musikalischen Fähigkeiten zu entdecken und ihnen eine Chance auf der großen Fernsehbühne zu geben.
So muss man dem NDR in diesem Jahr leider wieder einmal sagen: Das wird nichts. Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler beim ESC-Vorentscheid war uninspiriert, ja geradezu einschläfernd. Auch Stefan Raab war bei der Auswahl seiner Künstlerinnen und Künstler nicht immer erfolgreich – aber er hat es zumindest geschafft, interessante Persönlichkeiten und memorable Songs auf die größte Musikbühne Europas zu bringen. Das schafft der NDR nicht. Und so wird es auch in diesem Jahr oft heißen: "Zero points for Germany".
- Eigene Beobachtungen