Im Umgang mit Corona Warum Besserwisserei schadet – und was dagegen hilft
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet."Die Regierung hätte anders mit dem Virus umgehen sollen", wissen es viele besser. Es wird viel gemeckert, geschimpft und aufgetrumpft in diesen Zeiten. Das belastet emotional. Aber es gibt einen Weg, ruhiger und gelassener zu werden.
Diese "Hätte"-Gedanken rund um den Umgang mit dem Coronavirus sind zweierlei: belastend und nicht erleichternd. Sie münden in Besserwisserei und Vorwürfen gegen die Entscheidungsträger – was ebenfalls keinem hilft. Mein Sohn hat früher immer gesagt: Hätte, hätte, Fahrradkette!
Manche grübeln und meckern
Manche grübeln und stellen sich vor, wie ohne Lockdown die Wirtschaft weiter florieren würde, andere hadern mit der laschen Durchsetzung der Kontaktbeschränkungen. Viele Menschen meckern gerade – besonders über Merkel, Söder, Laschet.
Aber: Das ist anstrengend und emotional belastend – für den Meckernden selbst, für die anderen, die sich das anhören müssen, und für die ganze Stimmung im Land. Es gibt weitaus bessere Wege, um mit dem, was aus eigener Sicht falsch gelaufen ist, umzugehen.
Gerade jetzt mit den vielen Unwägbarkeiten, der unklaren Zukunft und der weiterhin krisenhaften Entwicklung ist es enorm wichtig, ja existenziell, dass wir emotional möglichst stabil und gelassen bleiben. Wir brauchen alle unsere Energie, um uns auf die neuen Situationen einzustellen und das Leben neu zu organisieren.
Wie können wir ruhiger, friedlicher und gelassener werden hinsichtlich dessen, wie es jetzt nun mal gelaufen ist? Dazu sollte man erst einmal verstehen, was da in uns passiert. Man meint, es sei leichter, sich über andere aufzuregen, als sich den eigenen Gefühlen und Auslösern zu stellen, die dahinterstecken. Man kann sich als Meckerer ja auch schlauer fühlen als andere, das gibt kurzfristig ein erhebendes Gefühl.
Doch egal, ob man nun recht hat oder nicht: Nur wenn wir unsere tieferliegenden Emotionen und Beweggründe finden, werden wir ruhiger, und erst aus einem solchen "Bei-sich-Sein" können wir uns neu auf- und auf das einstellen, was jetzt kommt. Wir müssen wohl oder übel durch die eigenen schwierigen Gefühle hindurch, um weiterzukommen. Das gilt nicht nur für die aktuelle Krise, sondern generell für die persönliche Entwicklung und das eigene Wachstum.
Verstehen, was dahintersteckt
Mein Klient am Bildschirm ist sauer, beschreibt mir haarklein, warum er das alles so "unmöglich" findet. Ich frage ihn, wie er sich fühlt. "Ja, empört eben." Ich: "Und wodurch kommt das?" – "Durch die viel zu strengen Kontaktbeschränkungen." Ich frage weiter: "Und was denkst du weiter?" – "Ich stelle mir vor, dass unsere Wirtschaft sich nicht wieder erholt. Ich werde verarmen. Das war’s."
Jetzt wird er traurig: "Alles, was ich mir seit 15 Jahren mühsam aufgebaut habe, geht den Bach runter. Ich habe alles gegeben für mein Geschäft, jetzt habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr." Ich sage: "Das ist traurig!" Und genau das ist der Punkt: Wenn er traurig sein kann, hält er nicht mehr fest an dem, was aus seiner Sicht falsch gelaufen ist. Darum geht es für ihn nicht. Durch das Zulassen seines Gefühls der Trauer kommt ein psychischer Verarbeitungsprozess in Gang. Er beruhigt sich.
Aus dieser so langsam entstehenden Ruhe beginnt er, seine pessimistischen Zukunftsvisionen zu relativieren, in einzelne Aspekte zu zerlegen und herauszufinden, wo es andere Möglichkeiten gibt und auch, was sich für ihn neu ergeben kann.
"Hätte es keine Kontaktbeschränkungen, mehr Virustests, früher eine Maskenpflicht gegeben …" Diese oder andere Alternativen wären besser gewesen? Das ist aber unabänderliche Vergangenheit und es ist definitiv zu spät, sich solche Gedanken zu machen. Es hat so nicht stattgefunden und wird auch nicht mehr stattfinden. "Hätte"-Überlegungen sind sinnlos und lösen negative Gefühle aus, die Energie kosten. Wer sich von solchen Vorstellungen, Bildern, Ideen, wie es hätte laufen können und sollen, verabschieden kann, wird ruhiger und kraftvoller.
Meckern schadet
Wir brauchen kein Draufhauen, Besserwissen, Klugreden oder Meckern. Das bringt Unfrieden und ist der Nährboden für eine fehleranprangernde Kultur. Wenn wir sehen, was mit denen passiert, die entscheiden müssen, und dann von allen Seiten den Ärger abbekommen, gibt es nur einen Schluss: Entscheiden und vielleicht einen Fehler dabei machen, ist nicht gut.
Wir brauchen jedoch genau das Gegenteil: eine fehlerverzeihende Kultur. Denn man lernt am besten aus Fehlern, und im Moment lernen wir alle sehr viel. Das soziale Klima in unserem Umfeld wird ein besseres und wir bewahren eine gute Stimmung, in der wir neue Entwicklungen kreieren können.
Nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden
Im Moment entscheiden Politiker auf der Basis der aktuellen Informationen, die in einem Monat schon zu anderen Schlussfolgerungen führen können. Wir wissen alle nicht sicher, welcher der richtige Weg ist. Die Entscheidungsträger handeln nach bestem Wissen und Gewissen, mehr geht gerade nicht. Öffentliches Abwägen, Einwände-Erheben, Fragen und auch Kritisieren gehören in einer Demokratie natürlich dazu. Aber lassen wir das Meckern und Besserwissen. Es passt nicht zu dem, womit wir es hier zu tun haben.
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.