Bundesverfassungsgericht urteilt Ein Kind kann zwei Väter haben – was heißt das für Familien?
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anfang der Woche fällte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, das die Rechte leiblicher Väter stärken soll. Was bedeutet die Entscheidung?
Am Dienstag kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass Kinder auch mehr als zwei rechtlich verantwortliche Elternteile haben können. Zuvor hatte der unbestritten leibliche Vater eines heute dreijährigen Sohnes geklagt, um auch rechtlich als solcher anerkannt zu werden. Als rechtlichen Vater hatte die Mutter des Kindes einige Monate nach der Geburt ihren neuen Lebensgefährten eintragen lassen. Das Gerichtsverfahren zog sich, und schließlich blitzte der Mann am Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ab. Er hat bisher Umgangs- und Auskunftsrechte, aber in geringerem Umfang. Mehr dazu lesen Sie hier.
Wie aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Dienstag hervorgeht, wäre laut Grundgesetz nun jedoch möglich, dass eine Mutter und zwei Väter rechtlich verantwortliche Elternteile sein könnten. Der Gesetzgeber könne gestalten, welche Menschen als rechtliche Eltern eines Kindes gelten – wer also Elternverantwortung für die Kinder erhält und ausübt. Aber das Grundgesetz garantiere einem leiblichen Vater die Möglichkeit, auch rechtlicher Vater seines Kindes zu werden.
Leibliche Väter, soziale Väter, rechtliche Väter
Der leibliche Vater ist der biologische Erzeuger des Kindes. Der soziale Vater ist der Mann, der sich um das Kind kümmert. Und der rechtliche Vater ist aktuell derjenige, der mit Zustimmung der Mutter als Vater eingetragen ist und damit die rechtliche Vaterschaft übernimmt.
Im Sorge- und Umgangsrecht wird geregelt, ob und wie der leibliche Vater mit dem Kind Umgang haben darf und welche Entscheidungen er mit treffen kann. Wenn er nicht der rechtliche Vater ist, kann er eine Ausweitung des Umgangs oder der Sorge nicht einfach einfordern, sondern muss vor Gericht gehen, wenn die Mutter und er sich nicht einigen.
Stärkt das Urteil die Rechte leiblicher Väter?
Der Verein "Väteraufbruch für Kinder" engagiert sich bundesweit seit 1988 für die Rechte von Vätern, um eine "gleichwertige Elternrolle von Mutter und Vater" auch im Trennungsfall zu erreichen. Bundesvorstandsmitglied Christoph Köpernick sieht im Urteil einen ersten Schritt für die Stärkung leiblicher Väter – doch das Urteil müsse erst in ein Gesetz gegossen werden, das bis Juni 2025 vorliegen soll. In früheren Jahrhunderten sei das Konzept einer rechtlichen Vaterschaft vielleicht nachvollziehbar gewesen, weil nur die Frau zuverlässig aussagen konnte, wer der Vater sei, sagt Köpernick – in Zeiten von DNA-Tests sei das Konzept aber überholt.
"Wir brauchen eine Gesetzgebung, die von Anfang an klarmacht: Jedes Kind hat mit der Zeugung eine Mutter und einen Vater. Und beide haben Rechte und Pflichten", sagt Köpernick. Soziale Väter könnten trotzdem ihre Rolle in der Familie einnehmen, rechtlicher Vater müsse aber "im Regelfall" der leibliche Vater sein. Ausnahmen sieht er bei Vergewaltigungen oder verstorbenen Vätern. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Elternrechte könnten auf Mutter, sozialen Vater und leiblichen Vater ausgeweitet werden, steht Köpernick kritisch gegenüber: "Das Kind hat ja eine Mutter und einen Vater." Er fordert eine Vereinfachung der Rechtslage – nicht mehr Streitpotenzial.
Alle zusätzlichen Alltagsvereinbarungen ließen sich über das Sorgerecht regeln. Deshalb sieht Köpernick auch kein Problem darin, dass soziale Väter, die im Alltag mit dem Kind leben, mit einer solchen Regelung ihre Elternrechte verlieren werden. Christoph Köpernick berichtet aus seiner Vereinsarbeit von Fällen, in denen Männer lieber nicht Väter werden wollten, wenn sie keine Rechte an ihrem Kind hätten. Für ihn sei das auch eine Frage des Kindeswohls: Das Kind solle sich auf seine leiblichen Eltern verlassen können.
"Lässt das Kindeswohl außer Acht"
Familienanwältin Christina Clemm hat mit den Fällen zu tun, in denen es mit der Pflichtübernahme der Väter nicht ausreichend funktioniert. Sie verweist auf 50 Prozent aller Alleinerziehenden, die gar keinen Unterhalt vom anderen leiblichen Elternteil ihrer Kinder erhalten, und weitere 25 Prozent, die weniger bekommen, als ihnen zusteht. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind in Deutschland aktuell Frauen. Und da geht es nur um Geld, noch nicht um Sorge und Zeit.
"Das Urteil des Bundesgerichtshofs lässt die realen Fürsorgebeziehungen und das Kindeswohl außer Acht", kritisiert Clemm, "es ist eine Rückkehr zu genetischen Rechten, zu einem komplett biologistischen Ansatz." Wenn am Ende der Vorrang des biologischen Erzeugers rechtlich festgeschrieben ist, verlören die Menschen, die sich täglich um die Kinder sorgen und kümmern, die Möglichkeit, als rechtliche Vertreter Entscheidungen zu treffen.
Verpflichtende Kindeswohlprüfung gefordert
"Das trifft auf Patchwork-Familien zu, aber auch auf queere Familien oder Familien, die etwa durch Samenspende Eltern geworden sind," sagt Clemm, "ganz zu schweigen von der Situation, wenn Kinder in gewaltvollen Beziehungen entstehen oder gar durch sexualisierte Gewalt, auch dann soll der Erzeuger seine Vaterrechte wahrnehmen können."
Deshalb kann sie dem Vorschlag von drei rechtlichen Eltern deutlich mehr abgewinnen, mit dem immerhin leibliche und soziale Eltern gemeinschaftlich entscheiden könnten. "Es wäre wichtig, in ein neues Gesetz wenigstens die Mehrelternkonstellation und eine verpflichtende Kindeswohlprüfung hineinzuschreiben", sagt die Anwältin. Nur das könne sicherstellen, dass wirklich im Sinne des Kindes entschieden werde: "Dieser Beschluss beschreibt eine angebliche Natürlichkeit von Vaterschaft, die nichts mit den alltäglichen Problemen von Kindern zu tun hat."
- Telefoninterview mit Christoph Köpernick, Väteraufbruch für Kinder e.V.
- Telefoninterview mit Christina Clemm, Anwältin und Buchautorin