Russland veröffentlicht abgehörtes Gespräch Abhöraffäre: Darum ist der Mitschnitt so brisant
Luftwaffenoffiziere beraten über Marschflugkörper für Kiew. In Russland wird ein Mitschnitt veröffentlicht – ein brisanter Vorgang. Was bezweckt Moskau damit? Und was wurde besprochen?
Inhaltsverzeichnis
- Worum geht es in dem Gespräch?
- Ist der Mitschnitt authentisch?
- Was macht den Mitschnitt so brisant?
- Wie reagiert die deutsche Politik auf die Veröffentlichung?
- Wird es personelle Konsequenzen für die Beteiligten geben?
- Ist die Webex-Software für vertrauliche Gespräche zugelassen?
- Was könnte Russland mit der Veröffentlichung bezwecken?
Das war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: Intern und recht offen haben deutsche Luftwaffenoffiziere in einer Schalte über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutiert. Nun wurde in Russland ein Mitschnitt des Gesprächs veröffentlicht.
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Olaf Scholz (SPD) gerät in der Abhöraffäre inzwischen immer mehr unter Druck. Der Kanzler spricht von einer "sehr ernsten Angelegenheit". Auf eine Frage nach möglichen außenpolitischen Schäden entgegnete er: "Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig." Möglicherweise ist gegen Sicherheitsregeln der Bundeswehr verstoßen worden.
Doch was ist über den Mitschnitt bisher bekannt und worüber haben die ranghohen Soldaten gesprochen? t-online gibt einen Überblick:
Worum geht es in dem Gespräch?
Zu Beginn ist auf dem Audio eine lockere Plauderei zu hören. Einer der Beteiligten gibt an, gerade in Singapur zu sein. Er schwärmt von der Aussicht vom Hotelzimmer aus. "Ich schicke dir vielleicht später mal ein Foto. Das ist schon mega." Aber es wird schnell ernster: Es handelt sich um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere auf ein Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), wohl im Februar. Thema ist, wie die Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper im Krieg gegen Russland einsetzen könnte – falls Kanzler Scholz sein Nein zu einer Lieferung der Waffen überdenken sollte. Ein Teilnehmer der Runde ist Ingo Gerhartz, Inspekteur der deutschen Luftwaffe.
Eine Frage ist, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung etwa bei der Zielprogrammierung bewerkstelligen könnte.
Es wird diskutiert, wie lange die Ausbildung von Ukrainern an Taurus dauern müsste, wie Deutschland dabei vorgehen könnte und wie die Ausbildung verkürzbar wäre. In dem Mitschnitt ist allerdings ebenfalls zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der Marschflugkörper gibt.
Ist der Mitschnitt authentisch?
Davon ist auszugehen, zumindest zu großen Teilen. Das Verteidigungsministerium teilte mit, man gehe davon aus, dass ein Gespräch abgehört worden sei. Man könne allerdings nicht bestätigen, ob die Konversation zu 100 Prozent authentisch sei. "Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ermittelt, die Ergebnisse erwartet Verteidigungsminister Boris Pistorius nach eigenen Angaben zu Anfang dieser Woche.
Was macht den Mitschnitt so brisant?
Es geht zum Teil um militärisch sensible Informationen. Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz sagt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden – was den Kriegsverlauf jedoch nicht ändern würde. Allerdings: Es handelt sich letztlich nur um Gedankenspiele, um der Politik Möglichkeiten aufzuzeigen.
Zudem ist die Rede davon, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Worte von Kanzler Scholz vor ein paar Tagen waren in eine ähnliche Richtung interpretiert worden. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", hatte Scholz gesagt.
Die Briten erklärten daraufhin, der Einsatz von Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl seien Sache der Ukrainer. Bisher galt es als Linie der Nato-Staaten, keine eigenen Soldaten in das angegriffene Land zu schicken. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte allerdings zuletzt einen Einsatz westlicher Bodentruppen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen.
Problematisch könnte die Veröffentlichung auch für Scholz werden: Der Kanzler hat bisher ausgeschlossen, die Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. In den Aufnahmen sprechen die Soldaten darüber, dass sie nicht wüssten, warum Scholz die Lieferung verweigere. Dadurch entstehen aus ihrer Sicht Gerüchte, die nicht der Wahrheit entsprächen: Eine Journalistin soll Gerhartz zuletzt etwa gefragt haben, ob die Lieferung deshalb nicht möglich sei, weil die Marschflugkörper derzeit nicht einsatzfähig seien. Dem sei jedoch nicht so.
Brisant ist die Veröffentlichung des Gesprächs aber auch, weil sie eine offensichtliche Sicherheitslücke entlarvt: Wie kam Russland an die Aufnahme? Gab es eine gezielte Abhöraktion? Spielt dabei eine Rolle, dass sich einer der Teilnehmer in Singapur in einem Hotel aufhielt? Nach Informationen mehrerer Medien nutzten die Offiziere für ihrer Besprechung die Plattform Webex und keine gesicherte Leitung.
In dem Gespräch seien aber keine Staatsgeheimnisse verraten worden. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der "Bild"-Zeitung, dass man Anhaltspunkte habe, dass "ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde." Allerdings seien dem Ministerium aktuell keine weiteren Abhörvorfälle bekannt.
Wie reagiert die deutsche Politik auf die Veröffentlichung?
Größtenteils mit Sorge. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete die Abhöraffäre als Teil eines russischen "Informationskrieges". Russlands Präsident Wladimir Putin versuche, die deutsche Innenpolitik auseinanderzutreiben, sagte Pistorius am Sonntag in Berlin. "Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation – es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben", sagte der SPD-Politiker. "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen." Deshalb müsse man auf die von Russland veröffentlichte Aufnahme eines Telefonats ranghoher Bundeswehroffiziere besonnen reagieren, "aber nicht weniger entschlossen".
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sagte etwa t-online, er gehe davon aus, dass Russland in Zukunft noch weitere interne Gespräche veröffentlichen könnte. Mehr dazu lesen Sie hier.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sagte t-online, dass Spionage zum "Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung" gehöre. "Es ist weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört werden", erklärte die FDP-Politikerin. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, wann dies öffentlich würde. Der Verteidigungsausschuss will in einer Sondersitzung über die russische Abhöraktion gegen Offiziere der Luftwaffe beraten. Ein Treffen sei am kommenden Montag geplant, wie die Deutschen Presse-Agentur berichtet.
Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, forderte im "Spiegel" Aufklärung von der Bundesregierung und schloss einen Untersuchungsausschuss nicht aus. Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt (CDU), und pochte gegenüber Welt TV auf eine Regierungserklärung. Zudem solle es eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses geben.
Auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte zügig Aufklärung der Bundesregierung in den entsprechenden Gremien. Infrage kommen dafür im Bundestag theoretisch unter anderem der Innenausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Auswärtige Ausschuss sowie das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist.
Wird es personelle Konsequenzen für die Beteiligten geben?
Das ist wohl abhängig davon, wie sich die Affäre weiter entwickelt. Verteidigungsminister Boris Pistorius lehnt personelle Konsequenzen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings ab. "Das wäre viel zu hoch gegriffen", sagte er.
Es müsse aber geklärt werden, ob die Offiziere bei dem abgehörten Telefonat geheime Inhalte besprochen hätten und ob für das Gespräch mit dem Konferenzdienst Webex das richtige Format gewählt worden sei. Nach seiner Auffassung sei der überwiegende Teil der Gesprächsinhalte bereits vorher öffentlich bekannt gewesen. In den nächsten Tagen erwarte man Ermittlungserkenntnisse des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Erst dann könne man über Konsequenzen entscheiden, auch in Personalfragen.
Der SPD-Politiker und ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, glaubt nicht, dass Luftwaffenchef Gerhartz oder seine Kollegen ihren Posten räumen müssen. "Die Bundesregierung wird Putin nicht den Gefallen tun, jetzt einzelne Luftwaffen-Generäle zu entlassen", sagte er dem "Tagesspiegel": "Es ist deren Aufgabe, auf sich möglicherweise verändernde Lagen, so gut es geht, vorbereitet zu sein – über Webex geht das allerdings nicht."
Ist die Webex-Software für vertrauliche Gespräche zugelassen?
Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht auch die bei dem Gespräch verwendete Software Webex, eine Video-Konferenztechnik. Die Webex-Sitzung sei über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, schrieb die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Geprüft werde jetzt, ob die verwendete Webex-Variante für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe "Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch" zugelassen ist und wie die in der Besprechung genannten Details eingestuft sind. Damit solle festgestellt werden, wie schwer der Verstoß gegen Sicherheitsregeln wiege.
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der "Bild am Sonntag": "Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen."
Was könnte Russland mit der Veröffentlichung bezwecken?
Russland will offenbar vor allem zeigen, dass Deutschland – anders als von der Bundesregierung beteuert – längst Kriegspartei sei und tief in dem Konflikt drinstecke.
Der Kreml behauptete am Montag, das Gespräch bezeuge die "direkte Verwicklung" des Westens am Konflikt in der Ukraine. "Die Aufnahme selbst lässt vermuten, dass die Bundeswehr substanziell und konkret Pläne diskutiert, russisches Territorium anzugreifen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Es "zeigt einmal mehr die direkte Verwicklung des kollektiven Westens in den Konflikt in der Ukraine".
Verteidigungsminister Pistorius hatte am Sonntag betont, die Reaktionen aus Moskau, wonach Deutschland einen Krieg gegen Russland vorbereite, seien "völlig absurd". Einziges Ziel Deutschlands sei, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte zuvor gesagt, das Gespräch belege die "Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschließlich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. "Wir fordern von Deutschland Erklärungen."
Öffentlich gemacht hatte den Mitschnitt Sacharowas einflussreiche Freundin Margarita Simonjan. Die Chefredakteurin des russischen Propagandakanals RT kündigte den Mitschnitt am Freitagmorgen zunächst als Sensation an, veröffentlichte dann Stunden später eine russische Textversion, noch einmal Stunden später schließlich die Audiodatei mit dem deutschen O-Ton im Netz für alle hörbar. Simonjan gilt als Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin, der selbst in der DDR als Geheimdienstoffizier arbeitete und zeitweilig den russischen Inlandsgeheimdienst FSB leitete. Mehr zu Simonjan lesen Sie hier.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach von "hinterhältigen Plänen der Bundeswehr". Dies sei durch die Tonaufnahme offensichtlich geworden. "Die Situation zeigt deutlich, dass die 'Kriegspartei' in Europa nach wie vor sehr stark ist." Die jüngsten Aussagen des französischen Präsidenten und des US-Verteidigungsministers sowie das jetzt bekannt gewordene Gespräch deuteten darauf hin, dass die "Kriegspartei" ihrem Gegner Russland auf dem Schlachtfeld eine strategische Niederlage zufügen wolle. Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich bei einer Wahl Mitte März im Amt bestätigen lassen will, hatte zuletzt erneut dem Westen die Schuld für den von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine zugewiesen.
- Nachrichtenagentur dpa und Reuters
- Eigene Recherche
- bild.de: "Das Lausch-Problem der Bundeswehr" (kostenpflichtig)
- tagesspiegel.de: "Unterwegs mit dem Mann, der abgehört wurde" (kostenpflichtig)