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Von Schmerz, Angst, Spiel und Selbsterkenntnis


Tierisches Bewusstsein
Von Schmerz, Angst, Spiel und Selbsterkenntnis

Von dpa
26.04.2024Lesedauer: 4 Min.
OktopusVergrößern des BildesOktopusse meiden Schmerzen und schätzen Schmerzlinderung: Zu diesem Ergebnis kam eine 2021 in "iScience" veröffentlichte Studie. (Quelle: Britta Pedersen/dpa/dpa-bilder)

Über das Bewusstsein von Tieren muss neu nachgedacht werden, fordert eine breite Koalition verschiedener Wissenschaftler. Sie untermauern ihre Thesen mit einer Reihe von tierischen Beispielen.

Haben Tiere ein Bewusstsein? Eine internationale Koalition aus mehreren Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sieht zumindest eine "realistische Möglichkeit" dafür - und hat die "New Yorker Erklärung zum Bewusstsein von Tieren" unterzeichnet. Deren Ziel ist, mehr Forschung hierfür anzuregen und das Bewusstsein für Tierschutz zu stärken.

Die Verfasser der Erklärung konzentrieren sich in ihrem Verständnis von Bewusstsein auf Empfindungsvermögen. "Hier geht es um die Frage, welche Tiere subjektive Erfahrungen haben können", schreiben sie. Dazu könnten sensorische Erlebnisse - etwa bei einer bestimmten Berührung oder beim Schmecken - gehören, oder auch Erfahrungen, die sich gut oder schlecht anfühlen, wie bei Freude, Schmerz und Angst.

Es gebe starke wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Säugetiere und Vögel bewusst empfinden, heißt es in der Erklärung. Empirische Belege deuteten zudem darauf hin, dass es für alle Wirbeltiere sowie für viele wirbellose Tiere zumindest eine realistische Möglichkeit bewusster Erfahrung gebe. Wenn diese aber bestehe, "ist es unverantwortlich, diese Möglichkeit bei Entscheidungen, die dieses Tier betreffen, zu ignorieren", schließt die Deklaration.

Die Erklärung enthalte keine spezifischen politischen Empfehlungen und unter den Unterzeichnenden gebe es ein breites Spektrum an Ansichten zu moralischen, rechtlichen und politischen Fragen. "Einig ist man sich darin, dass die Gewissheit über das Bewusstsein nicht Voraussetzung für die Abwägung von Tierschutzrisiken sein sollte", heißt es. Wenn die realistische Möglichkeit bestehe, dass ein Tier ein Bewusstsein habe - zum Beispiel, dass Kraken leiden können - dann sollte diese Möglichkeit in politischen Kontexten berücksichtigt werden. Also zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, ob die Krakenzucht unterstützt werden sollte.

Auf der Internetseite zu der Erklärung werden eine ganze Reihe von Studien angeführt, welche Hinweise auf ein Bewusstsein von Tieren liefern:

- In einer 2020 im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie berichtete ein Team der Universität Tübingen, dass Krähen darauf trainiert werden können, zu berichten, was sie sehen. Den Vögeln wurde beigebracht, mithilfe ihrer Kopfbewegungen zu vermelden, ob ihnen ein visueller Reiz gezeigt wurde oder nicht.

- Oktopusse meiden Schmerzen und schätzen Schmerzlinderung: Zu diesem Ergebnis kam eine 2021 in "iScience" veröffentlichte Studie. Im Experiment dafür mieden die Kraken eine Kammer, in der sie eine Essigsäureinjektion bekommen hatten. Erhielten die Tiere in dieser Kammer eine lokale Betäubung, entwickelten sie aber eine Vorliebe dafür. "Bei einer Ratte oder einem Menschen würden wir aus diesem Muster schließen, dass die Säureinjektion Schmerzen verursachte, die durch das Lidocain gelindert wurden, so dass wir bereit sein sollten, die gleichen Schlussfolgerungen für einen Oktopus zu ziehen", heißt es auf der Seite der New Yorker Erklärung.

- Strumpfbandnattern scheinen sich in einer abgewandelten Form des Spiegeltests selbst zu erkennen. Die Idee hinter dem Anfang der 1970er Jahre entwickelten Spiegeltest ist, herauszufinden, ob das Testsubjekt über Selbstwahrnehmung verfügt. Dafür wird ihm eine Markierung an einer Stelle des Körpers angebracht, die es nur im Spiegel sehen kann, und dann das Verhalten beobachtet: Erkundet das Testsubjekt die markierte Stelle am Körper vor dem Spiegel oder versucht, sie abzureiben, gilt das als Beleg dafür, dass es sein Spiegelbild als sich selbst erkannt hat.

Da sich Schlangen in erster Linie auf Gerüche verlassen, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden, nutzte die 2024 im Fachjournal "Proceedings B" der britischen Royal Society veröffentlichte Studie Wattepads, die mit verschiedenen Gerüchen getränkt waren: dem Duft der Natter, ihren eigenen Duft mit der Markierung eines anderes Duftes, den anderen Duft allein, den Duft einer fremden Schlange und den Duft der fremden Schlange mit einer Markierung. Tatsächlich untersuchten die Strumpfbandnattern ihren eigenen markierten Duft länger als alle anderen, was darauf hindeute, dass die Tiere ihre eigenen Gerüche erkennen und merken, wenn sich ihr Geruch verändert hat.

- In einer 2022 in "Animal Behaviour" erschienenen Studie beschrieb ein Forschungsteam unter britischer Leitung, dass Hummeln spielerisches Verhalten an den Tag legen. So rollten die Insekten in einem Versuch Holzkugeln auf eine Art und Weise, die mit fünf Merkmalen des Spielens übereinstimmte. So hatte das Rollen der Kugeln beispielsweise keinen offensichtlichen Zweck und trat verstärkt zutage, wenn die Hummeln entspannt waren, was den Forschenden zufolge darauf hindeutete, dass sie das Rollen angenehm fanden.

- Gleich drei Studien, die zwischen 2014 und 2017 in verschiedenen Fachjournalen veröffentlicht wurden, zeigten zum einen, dass Flusskrebse "angstähnliche" Zustände verspüren können - sei es in Situationen, in denen sie Lichtreizen oder Elektroschocks ausgesetzt waren, oder aber nach Kämpfen mit Artgenossen. Zum anderen reagierten die Tiere auf angstlindernde Medikamente und legten derart behandelt beispielsweise ihre Scheu vor einem hell beleuchteten Labyrinth ab.

- Gemeine Strandkrabben wägen gedächtnisabhängig ab, wenn sie vor einer schwierigen Entscheidung stehen. Diesen Schluss zogen zumindest zwei Forscher aus Großbritannien nach Experimenten mit den Tieren. Für eine 2024 in "Animals" veröffentlichte Studie untersuchten sie, wie die Strandkrabben ihre Abneigung gegen helles Licht gegen ihre Abneigung gegen Stromschläge abwägen. So suchten die Tiere normalerweise einen Unterschlupf auf, um dem hellen Licht zu entkommen, zogen das Licht aber vor, wenn sie in der Vergangenheit in diesem Unterschlupf einen Schock erlitten hatten. Ihre Entscheidung hing den Forschern zufolge davon ab, wie intensiv der Schock war und wie hell das Licht ist.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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