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Aggressives Deutschland wegen Corona? – Müssen emotionaler Ansteckung entkommen


Aggressives Deutschland?
Wie wir der emotionalen Ansteckung entkommen

MeinungEine Kolumne von t-online, Ulrike Scheuermann

Aktualisiert am 28.06.2020Lesedauer: 4 Min.
Demonstration: Aggression ist das Verhalten, was auf eine Emotion wie beispielsweise Ärger, Wut oder Enttäuschung folgt.Vergrößern des BildesDemonstration: Aggression ist das Verhalten, was auf eine Emotion wie beispielsweise Ärger, Wut oder Enttäuschung folgt. (Quelle: snapshot-photography/ T.Seeliger/imago-images-bilder)

Im Supermarkt, in der Quarantäne oder gerade in Stuttgart: Aggressionen erleben viele im Moment verstärkt. Woher kommen sie, was sagen sie über unsere Gesellschaft und was können wir tun, um uns richtig zu verhalten – und zu schützen?

Aggression ist das Verhalten, was auf eine Emotion wie beispielsweise Ärger, Wut oder Enttäuschung folgt. Viele Menschen schimpfen, sind schnell aufgebracht, manchmal über scheinbare Nichtigkeiten wie eine Warteschlange vor dem Supermarkt. Wenn wir die Beweggründe bei uns selbst und anderen besser verstehen und dann anders mit eigener und fremder Aggression umgehen, trägt das zu einem friedlichen sozialen Miteinander bei, das wir alle dringend brauchen. Verständnis bringt uns weiter. Nicht dagegen, in Ärger zu verharren oder auf die Schimpfenden wiederum selber zu schimpfen.

Emotionale Ansteckung

Ein Grund für Aggressionen ist, dass Menschen generell leicht mit den Emotionen anderer mitgehen. Die Stimmung in einem Stadion oder bei einem Open-Air-Konzert kann mitreißen. Ebenso kann auch Wut anstecken und Gewalt nach sich ziehen, wir beobachten es jüngst in den USA.

Unterschiedliche Auslöser führen zu individuellen Emotionen

Wir werden jeweils durch etwas anderes getriggert, also emotional berührt. Eine Gütersloherin zum Beispiel hat die miserablen Arbeitsbedingungen in der Fleischfabrik bei Tönnies vor Augen und das löst bei ihr Wut auf den Chef der Firma aus. Ein junger Stuttgarter Mann wird von Polizisten angesprochen und das gerät in seinem Kopf mit den Bildern der mordenden Polizisten in den USA durcheinander. Er identifiziert sich mit den dortigen Opfern und das löst bei ihm Emotionen von Ohnmacht und Wut aus.

Reaktion auf Dinge, die nicht so laufen, wie sie sollten

Durch die Corona-Pandemie haben wir eine Situation, die niemand wollte und die uns alle – mehr oder weniger – stark betrifft und unser Leben zum Teil komplett umkrempelt. Jede, jeder von uns reagiert anders, aber starke Gefühle sind dabei immer mit im Spiel. Bei vielen eben Ärger und Wut. Wer mit Homeoffice und Job, ohne Umsatz als Selbständiger stark emotional gefordert ist, reagiert ohnehin empfindlicher. Monatelang haben wir mit viel gutem Willen die Kontaktbeschränkungen eingehalten und ziemlich besonnen auf "Flatten the curve" hingearbeitet. Und jetzt macht ein Fleischfabrikant alles wieder kaputt? Womöglich sollen wir wieder von vorne anfangen, Stand März 2020?

Wir können die Situation kaum steuern, aber, wie wir uns fühlen

Da das Pandemie-Geschehen weitgehend außerhalb unserer Macht liegt und wir mit Einhalten der Abstandsregeln nur einen kleinen Teil beitragen können, erleben wir aus psychologischer Sicht einen Macht- und Kontrollverlust immensen Ausmaßes. Ob wir uns jedoch ohnmächtig fühlen und darauf mit beispielsweise Aggression reagieren, liegt innerhalb unserer Macht. Hier können wir sehr wohl Herr oder Herrin dessen sein, was geschieht.

Diese fünf Schritte zum Umgang mit Emotionen schonen die Kräfte, halten uns in Gelassenheit und Balance und tragen zu einer friedlichen Stimmung im Umfeld bei:

  1. Die Emotion bemerken und benennen. Zum Beispiel: "Aha, ich bin gerade wütend".
  2. Herausfinden, was der Auslöser ist: Zum Beispiel: "Diese Politiker, die alle keinen Plan haben".
  3. Die Emotion akzeptieren, ohne sie gleich auszuagieren: "Die Wut ist ok, so ist es nun mal".
  4. Die Emotion aushalten – dabei hilft das Wissen, dass Emotionen immer flüchtig sind und nach einiger Zeit wieder abflauen: "Nach der Flut kommt die Ebbe".

Was tun, wenn ich Ziel von Aggression werde? – Freundlichkeit entwaffnet

Aber es geht ja auch um Aggression von anderen gegen uns, zum Beispiel im Fall von Distanzlosigkeit trotz Abstandsregeln, oder wenn man von anderen angemeckert wird, weil man auf Abstand besteht. Bei Konflikten aller Art hilft es, mit einer Deeskalation anzufangen und dann erst bei Bedarf zu eskalieren. Viele Menschen sind erstaunt, wenn man sich sehr ruhig und höflich verhält. Das nimmt den Wind aus den Segeln. Was ist Ihr persönlicher Stil des Deeskalierens? Was passt zu Ihnen? Hier sind ein paar Vorschläge:

  • Wenn die Emotion ihre Kraft wieder verloren hat, kann man über Handlungen nachdenken: "Ich werde etwas unternehmen" oder "Eigentlich möchte ich jetzt lieber in Ruhe mit meinem kleinen Sohn spielen, als mich über Politiker XY aufzuregen".
  • Bitten Sie zum Beispiel in der Warteschlange an der Kasse zuerst höflich um mehr Abstand und vermitteln Sie auch, warum es Ihnen wichtig ist: "Bitte halten Sie doch mehr Abstand zu mir, ich fühle mich dann einfach sicherer – vielen Dank!" Viele sind erstaunt über eine freundliche Ansprache und durch die persönliche Begründung viel eher bereit, auf eine Bitte einzugehen.
  • Wenn das nicht fruchtet, kann man als nächstes vehementer auftreten: Sprechen Sie lauter, sodass andere im Umkreis mithören: "Bitte halten Sie anderthalb Meter Abstand. Sehen Sie, da ist die nächste Markierung am Boden."
  • Keine Reaktion? Sie werden mit bösen Blicken der Umstehenden konfrontiert? Dann könnte man sich an die Mitarbeiter an der Kasse wenden. Ist Ihnen das zu aufwändig und zu emotional anstrengend? Dann überlegen Sie, ob Sie lieber die Situation verlassen, beispielsweise Ihren Platz räumen und sich an einer anderen Kasse anstellen. Sie haben die Wahl.
  • Man kann auch Umstehende ansprechen und sich Bestätigung und damit Unterstützung von ihnen holen, um nicht allein zu bleiben. Meist gibt es auch andere, die der gleichen Meinung sind.

Wenn Sie jetzt selbst sehr aufgebracht sind und unbedingt auf Ihrem Recht beharren wollen, koste es, was es wolle, können Sie hinterher, wenn die Emotionen abgeklungen sind, darüber nachdenken, warum Sie unbedingt ihren Willen durchsetzen wollten. Warum war es so wichtig, auf Ihrem Recht zu beharren? War es das wert? Ist es für Ihren Seelenfrieden bei solch einer Alltagsbagatelle in Zukunft sinnvoller, irgendeinen fremden Typen links liegen zu lassen und sich seine seelischen Kräfte für Wichtigeres aufzusparen? "Der Klügere gibt nach" ist mehr als nur ein Spruch aus der Schulzeit. Sie entscheiden selbst, wie viel Energie Sie in eine Situation geben wollen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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