Nach Trainerbeben beim FC Bayern Nagelsmann könnte noch mal zurückkommen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Das Kapitel FC Bayern ist für Julian Nagelsmann beendet – aber noch nicht für immer. Sein Weg könnte ihn noch mal zurück nach München führen.
Das Trainerbeben beim FC Bayern kam auch für mich überraschend. Auf der einen Seite steht diese grandiose Champions-League-Saison mit Julian Nagelsmann – mit acht Siegen in acht Spielen, nur zwei Gegentoren und dem Triumph gegen Paris Saint-Germain.
Dem muss man aber die Bundesliga-Saison gegenüberstellen. Und da wurden von 25 Spielen zehn nicht gewonnen. Auch Oliver Kahn hat auf diese extremen Leistungsschwankungen hingewiesen – und jetzt geht es in die entscheidende Saisonphase.
Mit reingespielt in die Entscheidung hat sicher auch, dass junge Spieler wie Mathys Tel oder Ryan Gravenberch kaum Spielzeit bekommen haben und deshalb in ihrer Entwicklung stehengeblieben sind. Auch João Cancelo stand zwar zuletzt noch in der Fifa-Weltauswahl, aber kaum in Nagelsmanns Startelf.
Nagelsmann hat die Mannschaft verunsichert
Die Mannschaft hat in Leverkusen nicht gut gespielt, Nagelsmann hat sie nach einer 1:0-Führung mit seinem Dreifachwechsel in der Halbzeit aber zusätzlich verunsichert. Mit einigen taktischen Entscheidungen hatte ich da ein Riesenproblem.
Diese Eindrücke haben sicher auch die Verantwortlichen beeinflusst. Die 0:5-Niederlage im Pokal in Gladbach oder das Ausscheiden im Viertelfinale gegen Villarreal in der vergangenen Saison haben sie ebenfalls nicht vergessen. Meister zu werden, ist zwar weiter der ehrlichste Titel. So eine Geschichte wie im vergangenen Jahr darf sich aber nicht wiederholen.
Mir sind bei Nagelsmann zum Teil sehr unglückliche öffentliche Äußerungen in Erinnerung geblieben, wo er sich nicht mehr auf das Wesentliche fokussiert hat: den Sport. Es gab immer Nebengeräusche bei ihm, wie auch seine Beziehung zu einer "Bild"-Reporterin.
So etwas ist bei diesem Klub immer ein Thema. Da hat er den Unterschied zwischen Hoffenheim oder Leipzig und Bayern München zu spüren bekommen.
Spiele auf Bewährung gibt es bei Bayern nicht
Wenn in diesem Verein Entscheidungen getroffen werden, dann schnell, hart, und konsequent. Das ist mir persönlich auch lieber, als zu sagen, wir schauen uns jetzt noch mal die nächsten zwei Spiele an. Spiele auf Bewährung gibt es bei Bayern München nicht. Hart, aber hochprofessionell – so musst du einen solchen Klub führen.
Hasan Salihamidžić sagte nach dem Leverkusen-Spiel: "Das war nicht das, was Bayern München bedeutet. So wenig Antrieb, so wenig Mentalität, so wenig Zweikampfführung, so wenig Durchsetzungsvermögen habe ich selten erlebt." Da hat es rumms gemacht. Das ist das Fußball-ABC, das jeder an den Tag legen muss. Eine Aussage, bei der du auch als Trainer eigentlich weißt, dass es nicht gut für dich ausgeht in naher Zukunft.
Nagelsmann könnte in zehn Jahren noch mal zurückkommen
Das Wichtigste ist für Nagelsmann jetzt, zu reflektieren und daraus für die nächste Aufgabe zu lernen. Er ist ein richtig guter Trainer. Bei Bayern gehört da aber noch etwas mehr dazu. Wenn er daran arbeitet, könnte er die Möglichkeit bekommen, vielleicht in zehn Jahren nochmal nach München zurückzukommen.
Es war wahrscheinlich einfach noch zu früh für ihn, aber nicht alles schlecht. Wenn eine gewisse Zeit vergangen ist, kann ich mir vorstellen, dass die Tür noch mal aufgeht für ihn bei Bayern.
Nagelsmann hat großes Ego
Er muss sich die Frage stellen, warum die Jungs es nicht geschafft haben, auch in der Bundesliga zu performen. Nagelsmann wird aber viel mitnehmen. 21 Monate Trainer bei Bayern München zu sein, ist eine riesengroße Sache, die ihm dabei helfen wird, zukünftig auch auf internationaler Bühne Erfolge zu feiern. Dass die Entlassung ihm jetzt unheimlich wehtut, ist klar – zumal er ein großes Ego hat. Für seine weitere Karriere ist diese Erfahrung aber auch extrem wichtig.
Sein Name wurde schon bei Tottenham und Real Madrid genannt. Zutrauen würde ich ihm das. Aber auch solche Klubs werden genau abwägen, ob er vielleicht noch zu jung und unerfahren ist und sie lieber noch warten. Oder ob sie darauf hoffen, dass er bereits aus seinen Fehlern bei Bayern gelernt hat.
Es wird keinen Fünfjahresvertrag mehr bei Bayern geben
Die Verantwortlichen haben Nagelsmann als Langzeitprojekt bezeichnet, Herbert Hainer erst noch in einem am Montag veröffentlichten Interview. Das war im Kontext der bevorstehenden Entlassung maximal unglücklich. Die Klubbosse haben Nagelsmann einen Fünfjahresvertrag gegeben und wohl auch deshalb immer eine Art Schutzmantel in der Öffentlichkeit um ihn gelegt.
Ich glaube, es wird keinen Fünfjahresvertrag mehr für einen Trainer bei Bayern geben. Bayern München ist kein Projekt, sondern ein Verein, der jedes Jahr performen und Titel holen muss. Das haben die Verantwortlichen jetzt kapiert und gelernt, dass man solche Verträge nicht abschließen sollte.
So mussten sie Nagelsmann nun schützen, auch wenn es rumort hat. Nagelsmann war ihr Langzeitprojekt – und es ist gescheitert. Natürlich ist jetzt auch bei den Bossen Druck da. Oli Kahn und Hasan Salihamidžić nehmen das jetzt schon persönlich und ziehen sich diesen Schuh auch selbst an. Nagelsmanns Entlassung war aber richtig, auch wenn sie viel Geld kostet.
Tuchel ist der richtige Trainer für Bayern
Thomas Tuchel hat schon mit Chelsea bewiesen, dass er internationale Titel holen kann, war Fifa-Welttrainer, hat Auslandserfahrung gesammelt, die Stars von Paris Saint-Germain trainiert. Er ist jetzt der richtige Trainer für Bayern.
Ich erwarte jetzt schon, dass die Meisterschaft und auch der Pokal zurück nach München kommen. Und bei dem Kader und Kaderwert, der fast bei einer Milliarde liegt, muss es auch der Anspruch sein, den Champions-League-Titel zu gewinnen.
Tuchel kann all das vollenden, was Nagelsmann vorbereitet hat. Es liegt jetzt an der Mannschaft. Tuchel muss die Schwankungen abstellen, damit sie auch in der Bundesliga Leistung bringen. Ich freue mich darauf, das in den kommenden Wochen und Monaten zu beobachten.
Trainerwechsel gibt Spielern einen Push
Normalerweise gibt ein Trainerwechsel den Spielern einen Push und die Sensoren werden wieder ausgefahren. Der ein oder andere, der hintendran war, sieht plötzlich wieder seine Chance, der Konkurrenzkampf wird belebt.
Allerdings hat sich das Blatt gedreht, Borussia Dortmund ist jetzt Tabellenführer und Bayern der Herausforderer. Und auch wenn die Münchner das direkte Duell mit dem BVB gewinnen sollten, wäre die Meisterschaft noch lange nicht entschieden. Es wird bis zum Ende ein offener Kampf.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
- Eigene Beobachtungen