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Robert Habeck: Deutschland erreicht Klimaziele – stimmt das?


Wirklich gute Nachrichten?
Habecks Milchbuben-Rechnung

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

22.03.2024Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Robert HabeckVergrößern des Bildes
Robert Habeck will das Klimaziel 2030 unbedingt einhalten. (Quelle: Britta Pedersen/dpa/dpa-bilder)

Deutschland könnte die eigenen Klimaziele für 2030 einhalten, freut sich Klimaschutzminister Robert Habeck. Klingt gut. Oder?

Gute Nachrichten in Sachen Klimaschutz sind gefühlt selten, und so freuten sich vergangene Woche selbst viele Klimaaktivistinnen und -aktivisten, als Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) welche zu verkünden hatte. Die deutschen Emissionen sind 2023 um 10 Prozent gesunken – so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Habeck prognostiziert sogar noch mehr, und beruft sich dabei auf neue Daten des Umweltbundesamts: "Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030." Aber was heißt das eigentlich?

Darüber, dass die Emissionen gesunken sind, dürfen wir uns ruhig freuen. Wenn wir es schaffen wollen, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten – und die Erderhitzung auf irgendetwas zwischen 1,5 und deutlich unter 2 Grad zu begrenzen –, gibt es global nur noch eine begrenzte Menge an CO2, die wir ausstoßen dürfen. Diese Menge ist das sogenannte CO2-Budget.

Es kommt dabei weniger darauf an, wie viele Jahre wir noch Treibhausgase in die Luft blasen. Entscheidend ist, wie viele dieser Gase wir insgesamt ausstoßen. Das Prinzip ist einfach, ich habe es schon als Schulkind kennengelernt. Das CO2-Budget ist vergleichbar mit jedem anderen Budget, sei es mit dem einer Firma, einem Einkommen – oder Taschengeld.

Wenn ich meine 8 Mark pro Monat direkt am ersten Tag in Süßigkeiten investierte und diese sofort aß, war anschließend nichts mehr davon übrig. Ich konnte mir die restlichen vier Wochen keine weiteren Kaugummis, Spielzeuge oder Micky-Maus-Hefte mehr kaufen. Auch wenn ich das Wort "Budget" damals noch nicht kannte, musste ich lernen zu überlegen: Was ist wichtig? Wofür will ich das, was mir zur Verfügung steht, nutzen?

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

So ähnlich ist das mit dem CO2-Budget: Natürlich können wir entscheiden, dass es Teil des deutschen Freiheitsbegriffs ist, mit 200 Kilometern pro Stunde über die Autobahn zu ballern, jeden Tag dreimal Fleisch zu essen und einmal pro Jahr nach Mallorca zu fliegen. Wir könnten unser Budget aber auch gezielter einsetzen und das verbleibende CO2-Budget entsprechend länger dafür nutzen, im Winter unsere Wohnung mit Gas zu heizen, dieselbetriebene Traktoren in der Landwirtschaft einzusetzen und energieintensive Wirtschaftszweige zu betreiben, solange all das noch nicht klimaneutral möglich ist.

Klimaneutralität für ein bestimmtes Jahr anzupeilen, 2050 oder 2045, kann also nur ein ungefährer Richtwert sein. Je mehr wir jetzt ausstoßen, desto früher müssen wir ganz damit aufhören. Die Frage, ob wir unsere Ziele für bestimmte Jahre erreichen oder nicht, ist daher wichtig.

Mehrere Probleme beim CO2-Budget der Bundesregierung

Als Kind hatte ich Glück. Ich hatte meine Eltern, die mir mein Taschengeld pro Woche auszahlten und jedes Mal nachfragten, ob ich sicher sei, dass ich es in den örtlichen Tante-Emma-Laden tragen oder nicht doch lieber ins Sparschwein stecken wollte. Und anders als heute beim Klima bekam ich jeden Monat ein neues Budget, über das ich verfügen konnte.

Mit dem CO2-Budget der Bundesregierung gibt es gleich mehrere Probleme: Es gibt niemanden, der kontrolliert, wie viele Emissionen Staaten ausstoßen. Ein großer Streitpunkt ist, wie das CO2-Budget international verteilt werden soll, also: Welcher Staat wie viel von der Gesamtmenge für sich in Anspruch nehmen darf.

An dieser Frage ist der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 gescheitert. Damals versuchten die Teilnehmenden, nationale Budgets festzuschreiben, die maximal noch ausgestoßen werden dürfen, um unter der 2-Grad-Marke zu bleiben. Das wollten sich die Staaten nicht vorschreiben lassen. Sie ließen das Abkommen platzen.

Pariser Klimaabkommen ging in die Geschichte ein

Nach ein paar Jahren ging man auf internationaler Ebene dazu über, einen neuen Vertrag zu verhandeln, der als Pariser Klimaabkommen 2015 in die Geschichte einging und bis heute die Grundlage der internationalen Klimapolitik ist. Damals einigten sich die Staaten darauf, die Erderhitzung auf "deutlich unter 2 Grad" zu begrenzen, idealerweise auf 1,5 Grad.

Welches Land welchen Beitrag leistet, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, sollen die Regierungen selbst festlegen, in sogenannten National Determined Contributions – kurz: NDCs –, also national eigenständig festgelegten Klimaschutzbeiträgen.

Das Problem dabei: Jedes Land geht bei seinen selbst gesteckten Zielen davon aus, dass ihm mehr zusteht, als herauskäme, wenn das weltweite Budget international gleichmäßig pro Kopf verteilt würde. Auch Deutschland.

Allerdings macht die Physik keine Kompromisse, nur weil die Regierungen einfache physikalische Gesetzmäßigkeiten nicht anerkennen: Dass das gemeinsame Ziel nur zu erreichen ist, wenn sie nicht mehr als eine bestimmte Menge CO2 freisetzen.

Das Pariser Klimaschutzabkommen ist bereits ein Kompromiss. Schon die heutige Erderhitzung hat dramatische Auswirkungen überall auf der Welt. Sie entsprechend zu begrenzen, soll weiteren massiven und irreversiblen Schaden von der Erde und uns Menschen abwenden. Bei den nötigen Maßnahmen gibt es nicht mehr sonderlich viel Spielraum. Die Wissenschaft beschreibt, wie viele Emissionen wir einsparen müssen, und hilft bei der Abschätzung, welche Maßnahme wie viel Einsparung bringt. Ob diese dann mit einem Tempolimit, Solarpflicht, Windradausbau oder frierenden Geringverdienenden erreicht wird, ist eine politische Entscheidung.

Wenn alle Regierungen für sich beanspruchen, mehr emittieren zu dürfen, werden wir die Grad-Marken überschreiten. Unser globales CO2-Budget füllt sich nicht wieder auf, und wir können auch keine Schulden machen.

Wir müssen dann mit den Konsequenzen leben. Selbst wenn wir sogenannte Carbon-Capture-and-Storage-Technologien, die CO2 auffangen und speichern, weiterentwickeln, wird das in absehbarer Zeit nicht dazu führen, dass wir die Erde wieder abkühlen können. Wir werden sie vor allem dafür brauchen, um Emissionen auszugleichen, die wir nicht ganz stoppen können, zum Beispiel aus der Landwirtschaft.

Video | Experte warnt vor "besorgniserregender" Entwicklung
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Quelle: t-online

Was wir tun könnten, wäre, mit Emissionen zu handeln. Länder wie Deutschland könnten sich eingestehen, dass sie zu spät angefangen haben mit der Emissionsreduktion; dass sie zu langsam sind und es daher nicht schaffen, im Rahmen dessen zu bleiben, was ihnen zusteht. Dafür müssten wir anderen Ländern dabei helfen, ihren Anteil am Budget nicht aufzubrauchen.

Zum Beispiel könnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Entwicklungsländern verhandeln und dort den Ausbau erneuerbarer Energien fördern, damit diese keine neuen Kohle- und Gaskraftwerke bauen müssen, wenn sie ihre Bevölkerung mit Energie versorgen wollen. So könnten wir global innerhalb des Budgets bleiben.

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Deutschland hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Entwicklung von Solar- und Windenergie. Und Deutschland könnte jetzt die Energiewende entschieden international mit vorantreiben, indem es Wissen und Technologien teilt und den Ausbau systematisch finanziell fördert. Zum Teil tut die Bundesregierung das auch, gleichzeitig fliegt Scholz mitten in der eskalierenden Klimakrise nach Afrika, um mit deutschen Geldern im Senegal neue Gasfelder zu erschließen und in Nigeria neue Exportstrukturen aufzubauen.

Für unseren Verbrauch in Deutschland. Dabei übersteigen laut Weltklimarat schon die Emissionen aus bestehenden und bereits geplanten Infrastrukturen für fossile Energie das globale CO2-Budget für 1,5 Grad.

Problematisch ist auch, dass nicht allein die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung dafür verantwortlich sind, dass weniger Emissionen ausgestoßen wurden – zum Beispiel im Verkehrssektor sind sie seit 1990 mehr oder weniger stabil. Um daran bloß nichts ändern zu müssen, hat die Bundesregierung jetzt sogar die Sektorenziele abgeschafft.

Ein Grund für die Senkungen ist, dass weniger Kohle in Kraftwerken verbrannt wurde, weil Kohle mittlerweile relativ teuer ist, verglichen mit Energie aus Wind und Sonne. Ein anderer Grund ist die schwächelnde deutsche Konjunktur. Geht es der Wirtschaft wieder besser, könnten die Emissionen also auch wieder steigen – ähnlich wie nach dem Einbruch durch die Corona-Pandemie 2020.

Damals gab es großen Jubel darüber, dass die Emissionen erstmals weltweit zurückgingen. Dass nicht wenige das als positive Entwicklung werteten, zeigt, wie wenig sie die Zusammenhänge dahinter verstehen. Denn die Reduktion 2020 erfolgte nicht gesteuert und geplant, sie war ein Nebeneffekt davon, dass das öffentliche und wirtschaftliche Leben in vielen Ländern zeitweise weitgehend heruntergefahren wurde.

Es fuhren weniger Autos, flogen weniger Flugzeuge, und in vielen Fabriken wurde nichts oder weniger produziert. Dieser Stillstand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens führte unterschiedlichen Studien zufolge dazu, die weltweiten Emissionen um 5,4 bis 6,4 Prozent zu reduzieren. Also etwa so stark, wie wir die Emissionen ab 2020 weltweit jedes Jahr hätten senken müssen, um das 1,5-Grad-Limit nicht dauerhaft zu überschreiten.

Um irgendwo in der Nähe der 1,5-Grad-Marke zu bleiben, sind die Jahre bis 2030 entscheidend. Global müssen in dieser Zeit die Treibhausgasemissionen, die die Erderhitzung vorantreiben, im Vergleich zu 1990 halbiert werden.

Der Vergleich zeigt, wie gewaltig die Aufgabe ist, vor der wir stehen. Global brauchen wir jedes Jahr Maßnahmen mit einem Effekt in der Größenordnung des Corona-Shutdowns, das aber geplant und gesteuert. Technisch und physikalisch wäre das durchaus möglich, das bekräftigt auch der aktuelle Bericht des Weltklimarats. Die nötigen Lösungen sind bekannt und bereit.

Habeck will zeigen, dass die Klimaziele erreichbar sind. Das ist nachvollziehbar. Die Begründung, die Ziele seien "unrealistisch", musste und muss oft genug als Ausrede dafür herhalten, gar nicht erst aktiv zu werden. Dabei ist es vor allem deswegen unwahrscheinlicher, die Klimaziele einzuhalten und unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, weil politisch bisher nie ernsthaft probiert wurde, alles Nötige dafür zu tun. Nicht nur im Verkehrsministerium.

Verwendete Quellen
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