Aufregung um Haaland Darf er das?
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Der Topstar des BVB steht doppelt im Fokus: Es geht um einen Wüterich-Auftritt und um seine Zukunft. Hierbei können Haaland und der BVB eigentlich nur gewinnen. Es sei denn...
Er schimpft, er wütet, er fasst sich in den Schritt. Er legt sich mit Martin Hinteregger an. Dann mit Rafael Borré.
Wortgefechte sind völlig okay
Erling Haaland sah beim Last-Minute-Sieg von Borussia Dortmund (3:2) gegen Frankfurt nicht nur bedrohlich aus. Er war in dieser Woche vor dem heutigen Spitzenspiel gegen den SC Freiburg (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei t-online) auch mal wieder Gesprächsthema Nummer eins rund um den BVB – diesmal verbunden mit den Fragen: Darf er das? Muss er nicht bestraft werden? Ist bei ihm irgendwas nicht richtig?
Meine Meinung: alles Quatsch. Ist doch super, dass es so einen hochmotivierten jungen Typen in der Liga gibt, die davon noch viel mehr vertragen könnte. Haaland ist mit seinen 21 Jahren einfach besessen davon, zu gewinnen. Das ein oder andere Wortgefecht ist vollkommen in Ordnung.
Dafür schalte ich den Fernseher ein
Der Rückrundenauftakt hat vielmehr gezeigt: Gemeinsam mit dem erst 18-jährigen Jude Bellingham schmückt Haaland die Bundesliga ungemein. Das sind zwei Spieler, die jeder Trainer der Welt gerne in seiner Mannschaft hätte. Die haben nicht nur fußballerisch in diesem Alter unglaublich viel drauf. Sie drängen auch bereits in eine Führungsrolle in der Mannschaft. Sie wollen, können und müssen Verantwortung übernehmen.
Für diese Spieler schalte ich den Fernseher ein und wünsche mir natürlich weiterhin, dass sie der Liga erhalten bleiben.
Neben dem Wüterich-Auftritt ist allerdings auch die Zukunft von Haaland mal wieder im Fokus. Auch hier gibt es neue Entwicklungen. Borussia Dortmund, Haaland sowie dessen Vater und Berater wollen sich offenbar noch im Januar zusammensetzen, um die Zukunft zu besprechen.
Die Liebe spricht für einen Verbleib
Für den BVB wäre es enorm wichtig, zumindest eine Tendenz zu erfahren. Macht der Norweger im Sommer von seiner Ausstiegsklausel über angeblich 75 Millionen Euro Gebrauch oder kann er sich ein weiteres Jahr in Dortmund vorstellen?
Auch dafür gibt es weiterhin durchaus Argumente. Die Liebe der Fans und auch Verantwortlichen in Dortmund, die er sich bei einem neuen Klub erst wieder erarbeiten muss. Die gigantische Kulisse beim BVB, wenn der im Laufe des Jahres sein Stadion womöglich wieder voll auslasten darf. Sein hervorragendes Verhältnis zu Mitspielern.
Das lese ich zumindest aus dem Umgang, welchen er beim Jubeln oder auch allgemein auf dem Platz zu ihnen pflegt. Und vielleicht auch eine satte Gehaltserhöhung oder gar Verdopplung, wenn er sich dazu durchringen kann, noch ein Jahr bis 2023 zu bleiben.
Eine Win-win-Situation
Grundsätzlich hat sich an meinem Gefühl allerdings nichts geändert, dass Haaland bereits in diesem Sommer geht. Er ist einfach geboren für Topklubs und die ganz großen Titel. Sein Ziel muss es sein, in seiner Karriere zwei-, dreimal die Champions League zu gewinnen. Mit Dortmund – und das weiß er – wird es wohl nicht mal die Deutsche Meisterschaft.
Bleibt Haaland, sage ich "Wow" und habe noch größeren Respekt vor ihm als ohnehin. Geht er, ist es immer noch eine Win-win-Situation, weil er zu einem Topklub geht und Dortmund die Ablöse von 2020 mehr als verdreifacht hat. Nur ein Wechsel zu Bayern würde sicherlich niemandem in Dortmund gefallen.
Laut "Sport Bild" hat der FC Bayern aber weiterhin "grundsätzliches Interesse" bei Berater Mino Raiola hinterlegt und fährt bei der Stürmerfrage zweigleisig.
Bayern sollte alles auf eine Karte setzen
Ich halte das für keine gute Idee, weil ein Wechsel nach München für mich weiterhin keinen Sinn ergibt. Bayern sollte lieber alles auf die Karte Lewandowski setzen und zusehen, seinen Vertrag über 2023 hinaus zu verlängern.
Lewandowski will angeblich keine geringeren Bezüge hinnehmen – doch auch das ist nachvollziehbar. Der amtierende Fifa-Weltfußballer, der diesen Titel kommende Woche verteidigen könnte, hat in keinster Weise nachgelassen.
Es gibt bis heute auch keinen Hinweis, dass er mit derzeit 33 Jahren nachlassen könnte. Deshalb wäre es auch gerechtfertigt, ihm bis 2024 oder 25 sein aktuelles Bruttogehalt von angeblich rund 24 Millionen Euro zu zahlen.
Halbherziges Interesse wird nicht reichen
Zweigleisig fahren bringt ohnehin nichts. Wer Haaland wirklich möchte, muss nicht nur das finanzielle Paket von rund 350 Millionen Euro auf die Beine stellen. Er muss dem Spieler, der Familie und dem Berater auch vermitteln, diesen Transfer unbedingt tätigen zu wollen. Mit einem halbherzigen Interesse wird man Haaland nicht bekommen.
In diesem Punkt kann man Dortmund keine Vorwürfe machen. Der BVB vermittelt immer wieder das maximale Interesse daran, Haaland halten zu wollen. Hier mangelt es eher an einer Titelgarantie.
Vergangene Woche habe ich geschrieben, dass zumindest wieder neuer Schwung in den Meisterkampf kommen könnte, wenn Bayern an den Folgen der neun Corona-Infektionen von Spielern über den Jahreswechsel leidet und der BVB geräuschlos seine Spiele gewinnt. Das führt natürlich zu der Frage, was jetzt eigentlich mit dem Meisterkampf ist, nachdem Dortmund tatsächlich zum Rückrundenauftakt gewonnen und Bayern verloren hat?
Ich würde unter dem Eindruck der Spiele sagen: Es ist nur ein zartes Pflänzchen Hoffnung, das allerdings schon an diesem Wochenende wieder droht, zertrampelt zu werden.
Nach hinten schauen, nach vorne träumen
Ich sehe es so: Die drei Punkte sichern den BVB in erster Linie nach hinten ab und bringen ihn damit der Qualifikation für die Champions League näher. Das Motto muss nun sein: nach hinten schauen, nach vorne träumen. Mehr nicht, weil der Rückstand auf Bayern immer noch sechs Punkte beträgt.
Das soll den Dortmunder Sieg gegen Frankfurt nicht schmälern. So ein Spiel musst du erst mal gewinnen. Auf der anderen Seite leidet der BVB offenbar weiter an den Problemen aus der Hinrunde.
Bayern scheint dagegen grundsätzlich auf einem guten Weg, hat gegen Gladbach nur unglücklich verloren und muss in der kommenden Woche nach dem Ausscheiden nicht im DFB-Pokal ran. In der Situation mit diversen coronabedingten Ausfällen ist das sicherlich ein Vorteil. Obwohl sie natürlich gern bis zum Ende dabei gewesen wären.
Der BVB muss jetzt einfach seine Probleme in den Griff bekommen.
Alibi hilft dem BVB nicht weiter
Ein ganz Entscheidendes ist noch immer die Rückwärtsbewegung. Trainer Marco Rose hat sicherlich die Spieler und die Qualität, um seinen offensiven Stil zu pflegen.
Aber die Spieler müssen dringend lernen, sich auch mal schnell fallen zu lassen, wenn sie keine Chance auf den Ball haben. Das können sie schnell lernen, das ist kein Hexenwerk. Es ist allerdings auch nicht neu. Setzt da auf Dauer kein Lerneffekt ein, muss sich Rose schon irgendwann fragen, ob er das richtige Personal hat.
Bei Erling Haaland habe ich noch Verständnis, wenn er mal vorn stehen bleibt und lauert – genauso wie Robert Lewandowski bei Bayern. Alle anderen müssen allerdings mit zurück. Und das natürlich ernsthaft. Mit Alibi kommt Dortmund nicht weiter.
Bei flachen Hierarchien muss ich den Kopf schütteln
Die Rückwärtsbewegung muss Rose in den Griff bekommen, die kann man ihm sicher ankreiden. Für die individuellen Fehler dagegen kann er genauso wenig wie Julian Nagelsmann bei Bayern. Wenn Marco Reus oder Niklas Süle über den Ball treten oder ihn nicht sauber geklärt bekommen, ist der Trainer vollkommen machtlos.
Ein weiteres Thema, über das beim BVB noch immer diskutiert wird, sind die Führungsspieler.
Für mich sind die immer der entscheidende Faktor, wenn es um Titel geht. Das war immer so, das ist heute so und das wird auch in 50 Jahren noch so sein. Bei dem Gerede über flache Hierarchien musste ich schon zu Zeiten von Berti Vogts den Kopf schütteln.
Bei großen Erfolgen gab es eine große Achse
Ein Beispiel: Italien wäre 2021 ohne Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini nicht Europameister geworden. Und auch der BVB hatte bei seinen größten Erfolgen jeweils eine herausragende Achse. Beim Champions-League-Sieg 1997 bestand die aus Torwart Stefan Klos, Matthias Sammer, Jürgen Kohler, Andreas Möller und Michael Zorc.
Bei den letzten Meisterschaften 2011 und 2012 bildeten Torwart Roman Weidenfeller, Mats Hummels und Neven Subotic in Topform sowie Sebastian Kehl und Robert Lewandowski so ein Gerüst.
Hat Dortmund heute also die falschen Führungsspieler?
Ich denke nicht. Ich bin nur überzeugt davon, dass sie das uneingeschränkte Vertrauen haben und in absoluter Topform sein müssen, um der Rolle gerecht zu werden.
Dauernd Probleme? Dann werde ich unglaubwürdig
Bei Mats Hummels war das in der Hinrunde einfach nicht der Fall. Er hat permanent mit Schmerzen gespielt und seine Leistung nicht immer abrufen können. Wenn ich den Anspruch habe, Führungsspieler zu sein, dann aber andauernd Probleme habe, werde ich unglaubwürdig. Das hat auch nichts mit der fehlenden Geschwindigkeit von Hummels zu tun. Bonucci und Chiellini waren auch schon mal schneller als aktuell.
Nun ist Hummels laut eigener Aussage nicht nur fit – er hat sich auch sehr reflektiert geäußert. Zur Kritik des Bundestrainers sagt Hummels: "Ich teile die zuletzt geäußerte Meinung von Hansi Flick zu 100 Prozent. Um über eine WM-Teilnahme 2022 zu diskutieren, erwarte ich in allererster Linie von mir selbst, dass ich viel besser spiele."
Er sagt auch allgemein: "Es gibt für mich keinen Grund mehr, nicht zu liefern. Körperlich gibt es keine Ausreden mehr, jetzt liegt es an mir." Das ehrt ihn. Natürlich muss er den Ankündigungen nun Taten folgen lassen. Ich hoffe, dass er verletzungsfrei bleibt und ihm das gelingt.
Ich achte auf eine bestimmte Eigenschaft
Kapitän Marco Reus ist in dieser Saison bisher ohne große Verletzungen geblieben und natürlich genauso Führungsspieler wie Hummels. Torwart Gregor Kobel ist auf dem Weg dorthin. Und mit Jude Bellingham und Haaland gibt es zwei sehr junge Spieler, die aber ebenfalls in eine Führungsrolle drängen oder sich schon darin befinden.
Gerade bei Bellingham beeindruckt mich der Wille, immer den Ball haben zu wollen. Jupp Heynckes hat das früher in meiner Anfangszeit bei mir hervorgehoben und das als eine große Qualität bezeichnet, auch nach zwei Fehlpässen immer noch den Ball haben zu wollen. Deshalb achte ich auf diese Eigenschaft.
Wenn Dortmunds Führungsspieler in der Rückrunde in Topform sind, kann der BVB – ich wiederhole mich da – die Europa League und den DFB-Pokal gewinnen.
Mir werden 98 Prozent der Fans recht geben
Und dann fällt es auch nicht ins Gewicht, dass Axel Witsel oder auch Emre Can eben nicht zu dieser Riege gehören. Witsel, weil er seinen Stammplatz eingebüßt hat. Can, weil er diesen Sprung nie geschafft hat. Ich habe vergangenen Sonntag im "Doppelpass" gesagt, dass Can kein Führungs- sondern einfach ein Bundesligaspieler ist.
Da werden mir auch 98 Prozent der Fußballfans recht geben, weil Can einfach zu viele grobe und auch spielentscheidende Fehler gemacht hat.
War es richtig, ihn 2020 für 25 Millionen Euro zu holen? Aus meiner Sicht ja. Aber nachdem Juventus ihn nicht einmal für den Champions-League-Kader nominiert hatte, muss man dann eben mit realistischen Erwartungen kommen. Als Führungsspieler muss ich unantastbar sein und 90 Minuten Leistung bringen.
So wie das Kobel, Hummels, Bellingham, Reus und Haaland hoffentlich in der Rückrunde tun werden.
t-online zu Gast im "Doppelpass" bei Sport 1: Am Sonntag ab 11 Uhr wird neben t-online-Kolumnist Stefan Effenberg auch Florian Wichert, stellvertretender Chefredakteur, mit Moderator Florian König sowie Dortmunds Lizenzspielerchef Sebastian Kehl und weiteren Experten über die Bundesliga und den BVB diskutieren.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“