Neuer Verteidigungsminister Dieser Mann steuert künftig Putins Armee
Stühlerücken im Kreml – Verteidigungsminister Schoigu muss seinen Posten für einen Zivilisten räumen. Dahinter stehen wohl auch neue Prioritäten des Kremls in Kriegszeiten.
Paukenschlag im Kreml: Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Wladimir Putin seinen Verteidigungsminister und engen Vertrauten Sergei Schoigu entlassen (hier lesen Sie mehr). Schoigus Nachfolger soll der bisherige Vizeregierungschef Andrej Beloussow werden, wie das Oberhaus des russischen Parlaments am Sonntagabend mitteilte. Dort waren Putins Vorschläge für die Zusammensetzung der neuen russischen Regierung eingegangen.
Was steckt hinter der Abberufung Schoigus?
Nach Einschätzung von Litauens Präsidenten Gitanas Nauseda ist Schoigus Entlassung als Zeichen für die russische Öffentlichkeit gedacht. "Dies geschieht für den heimischen Markt. Dies geschieht, um diesen Krieg fortsetzen zu können. Machen wir uns keine Illusionen darüber, dass Putin zu friedlichen Verhandlungen bereit ist", sagte der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes litauischen Medienberichten in der Nacht zu Montag in Vilnius. "Er hat das Gefühl, dass er tun kann, was er tut. Es gibt keinen anderen Weg, ihn zu stoppen, als die Ukraine zu unterstützen. Das Wichtigste ist, es schnell zu tun."
Ein offizieller Grund für die Entlassung Schoigus wurde nicht genannt. Vereinzelt war allerdings zuvor bereits über eine mögliche Entlassung des 68 Jahre alten Schoigu, der seit 2012 Verteidigungsminister war, spekuliert worden. Vor wenigen Wochen war einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Beobachter hatten das als Anzeichen von Machtkämpfen innerhalb des russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet.
Generalstabschef Waleri Gerassimow bleibe an seinem Platz, betonte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die militärische Komponente im Verteidigungsministerium bleibe auch nach der Ernennung Beloussows unverändert.
Angesichts der gestiegenen Militärausgaben wünsche sich Putin wirtschaftliche Expertise an der Spitze des Verteidigungsressorts, so Peskow. "Der Verteidigungsminister sollte offen für Innovationen sein, für die Einführung jeglicher fortschrittlicher Ideen." Deswegen sei die Wahl auf den Ökonomen Beloussow gefallen. "Wer offener für Innovationen ist, wird siegreich auf dem Schlachtfeld sein."
Wirtschaftsexperte soll Kriegsführung optimieren
Beloussow, der dem früheren Geheimdienstoffizier Putin die Bedeutung von Digitalwirtschaft und Blockchain nahegebracht haben soll, ist gleichwohl wie der Präsident ein Verfechter eines starken Staates. Er sei "zweifellos der beste Kandidat", den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue Technologien einzuführen, wurde auch der Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow von der russischen Nachrichtenagentur Tass zitiert.
Dass Putin sich für einen Vertreter des Wirtschaftsflügels in der russischen Führung entschied und nicht für einen Angehörigen des mächtigen Sicherheitsapparats, gilt dennoch als Überraschung. Zu letzteren, als "Silowiki" bezeichneten Kräften zählt Schoigu. Das könne bedeuten, dass Putin plane, den Krieg gegen die Ukraine mit einer weiteren Stärkung der Rüstungsindustrie und mithilfe internationaler Märkte zu gewinnen, erklärte der Russlandexperte Alexander Baunow. Der Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center war früher russischer Diplomat.
"In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat", sagte der Experte Baunow. Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.
Kremlsprecher Peskow machte ebenfalls deutlich, dass die Verteidigungsausgaben in Russland inzwischen so hoch seien, dass jemand wie Beloussow der Mann sei, um den Bereich zu kontrollieren. Das Verteidigungsressort nehme bei den Sicherheitsausgaben Russlands inzwischen eine Schlüsselposition ein, sagte Peskow. "Das erfordert besonders wichtige Entscheidungen."
Putin ändert Machtgefüge
Die bisherige Regierung war verfassungsgemäß zurückgetreten, als Putin am Dienstag seine fünfte Amtszeit als Präsident angetreten hatte. Der 71-Jährige, der vor mehr als 24 Jahren erstmals Präsident wurde, war im März bei einer international als weder frei noch fair kritisierten Wahl bestätigt worden. Nach der Wiederernennung von Ministerpräsident Michail Mischustin, der als effizienter Technokrat mit ökonomischem Fachwissen gilt, waren am Samstag bereits weitere Personalpläne Putins für die neue Regierung bekannt gegeben worden.
Auf Beloussows Posten des ersten Stellvertreters von Mischustin wird demnach der bisher für die russische Kriegswirtschaft verantwortliche Minister Denis Manturow befördert. Manturow, der das Ressort Industrie und Handel leitete, gibt seinen Ministerposten an den bisherigen Gouverneur von Kaliningrad, Anton Alichanow, ab. Manturow solle aber auch in seiner neuen Funktion für die Industrie verantwortlich sein, hatte die Regierung mitgeteilt.
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
- Russ. Föderationsrat auf Telegram
- ria.ru: "Путин предложил назначить Белоусова министром обороны" (russisch)