Wochen vor der Macht "Das ist wirklich eine Katastrophe"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit der Aussage des Kronzeugen Michael Cohen erreicht das Strafverfahren gegen Donald Trump seinen Höhepunkt. Es bleiben kaum Zweifel an der Täterschaft des Ex-Präsidenten.
Bastian Brauns berichtet aus New York
5 Minuten und 16 Sekunden. So lange dauerte der erlösende Anruf bei Donald Trump, nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl im Herbst 2016. Michael Cohen, damals noch Anwalt, Trumps Mann fürs Grobe und einer seiner engsten Mitarbeiter, konnte Vollzug vermelden.
"Ich sagte ihm, dass diese Angelegenheit nun vollständig unter Kontrolle ist", erklärt Cohen heute, rund acht Jahre später im Zeugenstand des New Yorker Strafgerichts. Donald Trump muss sich hier als erster ehemaliger US-Präsident seit Wochen wegen gefälschter Geschäftsunterlagen verantworten.
Mit "dieser Angelegenheit" meint Cohen die extrem komplizierte und langwierige Anbahnung einer Schweigegeldzahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels. 130.000 Dollar zahlte er zunächst aus eigener Tasche an jene Frau, damit sie ihren Mund hält und nicht öffentlich über eine sexuelle Affäre mit Trump aus dem Jahr 2006 spricht. All das geschah, "um Donald Trump zu beschützen", erzählt Michael Cohen mit ruhiger Stimme. Er sei damals stolz auf diesen Deal gewesen. Er wollte Trump gefallen, ihn zufriedenstellen und gierte nach dessen Anerkennung, so Cohen.
Chaos in der Endphase von Trumps Wahlkampf
Nach fünf Prozesswochen und Dutzenden Aussagen vervollständigt sich mit dem Auftritt des Kronzeugen Michael Cohen immer mehr ein Bild: Nicht Zuversicht und Siegesgewissheit sollen Donald Trump bestimmt haben, bevor er erstmals zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Bei ihm und seinem engsten Zirkel schien im Herbst 2016 vielmehr eine Atmosphäre aus Angst und Panik zu herrschen. Es sind zudem späte Einblicke in ein Sittengemälde über einen Mann, der wenig später zum mächtigsten Mann der Welt werden sollte.
Bei Trump und seinem Wahlkampfteam ging es in diesen letzten, entscheidenden Wochen vornehmlich nicht darum, wie man etwa in wichtigen Bundesstaaten noch die letzten Kräfte mobilisieren könnte. Vielmehr schienen die Mitarbeiter rund um die Uhr damit beschäftigt zu sein, die vielen kritischen Sexgeschichten ihres "Bosses", des republikanischen Kandidaten, unter Verschluss zu halten oder zu entkräften.
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Demnach hatte Trump Angst vor zwei Gruppen von Frauen: Vor jenen, die offenlegen wollten, mit ihm geschlafen zu haben. Und vor jenen, die ihn wählen sollten. Als die angebliche Affäre mit der Pornodarstellerin Stormy Daniels aufzufliegen drohte, soll Trump laut Michael Cohen gesagt haben: "Frauen werden mich hassen. Das ist wirklich eine Katastrophe. Frauen werden mich hassen. Die Typen werden das cool finden, aber das ist eine Katastrophe für den Wahlkampf."
Immer wieder Frauen
Trump war demnach bereit, alles zu unternehmen, um die Geschichte zu begraben. Nachdem bereits 150.000 Dollar an das Ex-Playmate Karen McDougal geflossen waren, sollte auch Stormy Daniels zum Schweigen gebracht werden. "Mach es einfach", soll Trump zu Cohen gesagt haben. Als Milliardär könne er sich das ja leisten.
Zu diesem Zeitpunkt litt Trumps Wahlkampf bereits heftig unter einer bekannt gewordenen Aufnahme Donald Trumps. In dieser sagte er, dass man "Frauen an die Muschi fassen müsse". Aus Sicht von Trump auch dies eine Katastrophe, insbesondere wegen der wichtigen Wählerinnen im Land. Ausgerechnet seine Ehefrau Melania soll in diesem Fall, zumindest laut den Aussagen Michael Cohens, den Plan zur Schadensbegrenzung entworfen haben: Cohen sollte versuchen, die Angelegenheit lapidar als "Locker-Room-Talk" darzustellen, also als typisches Gespräch, wie Männern es eben etwa in Sportumkleidekabinen miteinander führen, wenn keine Frau anwesend ist. Trump habe ihm gesagt, die Idee stamme von Melania. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Als dann wenige Tage vor der Wahl die Affäre mit dem Ex-Playmate Karen McDougal trotz Schweigegeld doch in die Schlagzeilen kam, lagen die Nerven offenbar blank. Wild schrieben Michael Cohen und Trumps Pressesprecherin Hope Hicks Textnachrichten hin und her. Cohen sagt in New York, alle hätten gebetet, dass die Medien die Geschichte nicht wirklich aufgriffen. Tatsächlich fanden sich insgesamt nur sechs Artikel. Im Umgang mit der Presse verfolgte man zudem die Strategie: Alles sei unwahr und nur ein Versuch, vom E-Mail-Skandal seiner Konkurrentin Hillary Clinton abzulenken. Mitten im Wahlkampf hatte die Plattform Wikileaks damals dienstliche E-Mails aus Clintons Zeit als Außenministerin veröffentlicht, die über ihren privaten Server verschickt worden waren.
So eng führte Trump die eigenen Geschäfte
Unzählige Telefonate, Textnachrichten und E-Mails belegen vor Gericht den Aktionismus aller Beteiligten, inklusive Donald Trumps, des Schmierblatt-Verlegers David Pecker und Michael Cohens. Der heute 57-Jährige war als sein persönlicher Berater zehn Jahre lang vor allem dafür zuständig, jeglichen Schmutz von Donald Trump fernzuhalten. Mit Geld, mit Einschüchterung und mit Klageandrohungen.
Doch heute ist es Michael Cohen, der mit Schmutz auf Donald Trump wirft. Und der ist so dreckig, dass er den ehemaligen Präsidenten am Ende sogar ins Gefängnis bringen könnte. Denn die Aussagen von Trumps Ex-Anwalt sind brisant:
Donald Trump stimmte sich demnach auch über Kleinigkeiten stets mit Michael Cohen ab, der sein Büro keine zwanzig Meter von ihm entfernt hatte. Trumps früherer Anwalt sagt vor Gericht: "Ich sprach jeden einzelnen Tag, mehrmals am Tag mit ihm. Persönlich, per Handy. Ich hatte alle seine Nummern." Trump und Cohen sollen sogar ihre Telefonbücher synchronisiert haben. "Ich hatte 30.000 Kontakte", sagt Cohen.
Angesichts dieses umfassenden Austauschs wirkt es unglaubwürdig, dass Trump ausgerechnet vom Schweigegeld an Stormy Daniels nichts gewusst haben soll. Im Gericht werden Dokumente gezeigt, die belegen, dass Michael Cohen am 27. Oktober 2016 die Zahlung von 130.000 US-Dollar freigab, um nach eigenen Angaben das Schweigegeld an den Anwalt von Stormy Daniels zu zahlen. Keine zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 8. November. Um die Zahlungen zu verschleiern, gründete Cohen sogar eine eigene Briefkastenfirma.
Cohen bekräftigt immer wieder, nichts ohne dauernde, enge Rücksprache mit Trump getan zu haben. Die Staatsanwaltschaft legt dazu Telefonverbindungen als Beleg vor und gleicht sie minutiös mit Cohens Aussagen ab. Der sagt: "Für all das brauchte ich die Zustimmung von ihm." Wie schon bei vielen anderen Zeugen vor ihm, scheint Trump bis in kleinste Details hineinregiert zu haben. Auch Cohen bezeichnet ihn darum als "Mikromanager".
Aus den Angelegenheiten selbst hielt sich Trump zugleich immer heraus. "Trump hatte nie eine E-Mail-Adresse", sagt Michael Cohen. Der Grund laut Cohen: Trump kannte zu viele Leute, die aufgrund verfänglicher E-Mails zugrunde gerichtet wurden. "Halte mich auf dem Laufenden", habe Trump Cohen ständig aufgefordert. Aber eben immer nur per Telefon oder persönlich.
Eine letzte Chance für Trump
Wenn Michael Cohen von dieser Zeit erzählt, bekommen die Zuschauer einen Eindruck davon, was sich vermutlich bis heute im Trump Tower abspielt. "Es war fantastisch. Eine einmalige Erfahrung in vielerlei Hinsicht", sagt Cohen darüber, was es einst für ihn bedeutete, für Trump zu arbeiten. "Ich habe die Verantwortung genossen, die mir übertragen wurde. Meine Kollegen, die Kinder von Trump, alles eine große Familie." Cohen empfand ein Gefühl der Verpflichtung, seine Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen, um Trump glücklich zu machen. Wurde er von ihm gelobt, habe er sich wie im Himmel gefühlt.
Dann aber kam der tiefe Fall: Nachdem die Wahl gewonnen war, gab Trump seinem bisherigen Handlanger nicht den ersehnten Job als persönlicher Anwalt des Präsidenten. Dazu kürzte er dessen vereinbarten Bonus um zwei Drittel. Für seinen Stolz, das gibt Cohen offen zu, war das zu viel. "Selbst für meine Verhältnisse war ich unfassbar wütend", sagt er im Gericht. Es war der Beginn eines Zerwürfnisses, das bis heute anhält. Michael Cohen scheint fest entschlossen, seinen früheren Boss hinter Gitter zu bringen.
Diese Rachegefühle könnten trotz der vielen Belege für Trumps Mitwissen und Mittäterschaft eine Chance für seine Verteidiger sein. In den kommenden Tagen werden sie vehement versuchen, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass Michael Cohen sich auf einem persönlichen Kreuzzug befindet, auf dem er sich zudem noch auf Kosten von Trump bereichern will.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort