Prozessauftakt gegen "Reichsbürger" Das waren ihre Umsturzpläne für Deutschland
Es geht um Terrorismus, Hochverrat und um juristisch einzigartige Verfahren: Neun mutmaßliche "Reichsbürger" stehen am Montag in Stuttgart vor Gericht. Die wichtigsten Informationen zum Prozess im Überblick.
Es werden Mammutprozesse: 26 mutmaßliche Verschwörer des "Reichsbürgernetzwerks" um Heinrich XIII. Prinz Reuß sollen sich ab diesem Frühjahr vor drei Oberlandesgerichten verantworten. Am Montag hat in Stuttgart der erste Prozess begonnen. Dort sind neun Männer angeklagt, die größtenteils dem militärischen Arm der Gruppe angehört haben sollen. Ein Überblick über das Verfahren:
Was wird der Gruppe vorgeworfen?
Die Beschuldigten sollen geplant haben, die demokratische Ordnung in Deutschland gewaltsam zu stürzen und durch eine eigene Staatsform zu ersetzen, die sie der Bundesanwaltschaft zufolge bereits in Grundzügen skizzierten.
Überzeugt waren die "Reichsbürger" demnach von verschiedenen Verschwörungsmythen – beispielsweise davon, dass Deutschland von Angehörigen eines sogenannten Deep State regiert werde und von einer Allianz befreit werden könne. Dabei handle es sich ihrer Meinung nach um einen Geheimbund von Regierungen, Geheimdiensten und Streitkräften verschiedener Staaten. Mit dieser nicht existierenden Allianz habe die Gruppe zusammenarbeiten wollen.
"Reichsbürger": Tag X sollte kommen
Die Mitglieder hätten erwartet, dass der Geheimbund ihnen ein Zeichen geben werde, dass der sogenannte Tag X gekommen sei, an dem er die obersten Institutionen Deutschlands angreife. Ihre eigene Organisation habe dann Institutionen und Amtsträger auf den Ebenen von Bundesländern, Kreisen und Kommunen beseitigen sollen.
Dazu wurde den Ermittlern zufolge bereits mit dem Aufbau von sogenannten Heimatschutzkompanien begonnen. Die Gruppe soll laut Bundesanwaltschaft Zugriff auf ein "massives Waffenarsenal" gehabt haben, das aus rund 380 Schusswaffen, fast 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffenteilen bestanden habe.
Den Beteiligten sei bewusst gewesen, dass es bei der geplanten Machtübernahme Tote geben würde, erklärte die Bundesanwaltschaft bei Anklageerhebung im Dezember. Sie hätten vorgehabt, bewaffnet in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen und Bundestagsabgeordnete festzunehmen. Dazu seien bereits Liegenschaften des Bundestags ausgekundschaftet worden.
Reuß soll Rädelsführer gewesen sein
Nach dem gewaltsamen Umsturz wollte demnach der Kern der Gruppe, namentlich Reuß, der Bundesanwaltschaft zufolge mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs über eine neue staatliche Ordnung verhandeln. Zentraler Ansprechpartner sei ihrer Auffassung nach aber nur Russland gewesen.
Nach außen habe sich die Gruppe abgeschottet, erklärte die Bundesanwaltschaft. Mitglieder und Interessenten hätten eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müssen. Erarbeitet worden sei diese von Markus H. und Ralf S., die neben anderen in Stuttgart vor Gericht stehen. Laut Anklage sollten Verstöße gegen die "Verschwiegenheitserklärung" auf Weisung vom in Stuttgart ebenfalls angeklagten Marco van H. als Hochverrat mit dem Tode bestraft werden.
Anklage gegen 27 Menschen, einer verstorben
Den meisten Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen. Rädelsführer sollen Reuß und der frühere Bundeswehroffizier Rüdiger von P. gewesen sein.
Mehrere Angeklagte müssen sich außerdem wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung, wegen Waffendelikten oder Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten. Einer steht auch wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Der Russin Vitalia B. – der einzigen Nichtdeutschen unter den Angeklagten – wird Unterstützung und Beihilfe vorgeworfen.
Die Bundesanwaltschaft erhob im Dezember Anklage gegen insgesamt 27 Menschen. Einer der Angeklagten, Norbert G., starb vor Prozessbeginn.
Wie sollen die Prozesse ablaufen?
In Stuttgart beginnt der Prozess gegen neun Angeklagte am Montag. Das Oberlandesgericht setzte zahlreiche weitere Verhandlungstage bis Anfang 2025 fest.
Ab dem 21. Mai sollen dann in Frankfurt am Main die mutmaßlichen Köpfe des Netzwerks vor Gericht stehen. Nach dem Tod von G. sind es hier ebenfalls noch neun Angeklagte. Das Frankfurter Oberlandesgericht setzte bislang Verhandlungstage bis Mitte Januar kommenden Jahres an.
In Frankfurt wird unter anderem gegen Reuß und von P. verhandelt. Außerdem steht die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann hier vor Gericht. Sie soll im zentralen Gremium der Gruppe, dem sogenannten Rat, für das Ressort Justiz zuständig gewesen sein.
Eins der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte
Auch Maximilian E., ebenfalls ein früherer Bundeswehroffizier, ist in Frankfurt angeklagt. Er soll die Gruppe mitgegründet haben und gab im "Stern" kürzlich zu, unterirdische Gänge unter dem Reichstag und anderen Parlamentsgebäuden erkundet zu haben. Gewalttaten habe er aber nicht geplant. Die Erkundung habe dem Zweck gedient, "gegebenenfalls Parlamentarier beziehungsweise Regierungsmitglieder zur Rede zu stellen".
Der dritte Prozess soll am 18. Juni in München beginnen. Vor dem dortigen Oberlandesgericht wird gegen acht Angeklagte verhandelt, es sind zunächst 54 Verhandlungstage bis Januar 2025 angesetzt.
Der Präsident des Oberlandesgerichts, Andreas Singer, sprach im Vorfeld von einem der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik: Fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 22 Verteidiger nehmen allein am Stuttgarter Prozess teil. Die Ermittlungsakten umfassen demnach 700 Ordner. Das OLG hat für das Staatsschutzverfahren im streng gesicherten Prozessgebäude in Stammheim Termine bis Januar 2025 angesetzt.
Wer steht in Stuttgart vor Gericht?
Neun Männer – Markus H., Matthias H., Marco van H., Markus L., Andreas M., Alexander Q., Ralf S., Wolfram S. und Steffen W. – müssen sich in Stuttgart verantworten. Sie sind alle zwischen 42 und 60 Jahren alt. Die meisten von ihnen sollen dem militärischen Arm angehört haben, mehrere sollen sich am Aufbau der Heimatschutzkompanien beteiligt und versucht haben, weitere Mitglieder anzuwerben. Die "Heimatschutzkompanie Nr. 221" soll etwa für den Bereich der Gebiete Freudenstadt und Tübingen zuständig gewesen sein.
Markus H. soll ebenso wie M. Mitglied des Führungsstabs gewesen sein. Matthias H. und W. sollen für die militärische Ausbildung verantwortlich gewesen sein. Van H. soll angegeben haben, dass er direkt mit der Allianz in Kontakt treten könne. Darum sei er Verbindungsoffizier zu diesem nicht existierenden Geheimbund geworden.
Q. soll im Auftrag van H.s Verschwörungsmythen im Internet verbreitet und geplant haben, nach der anvisierten Machtübernahme einen eigenen Fernsehsender für Propagandazwecke zu gründen. S. soll sich mit dem Aufbau der IT-Struktur befasst und Laptops mit einer Verschlüsselungstechnik ausgestattet haben.
L. ist wegen versuchten Mordes angeklagt, weil er bei der Durchsuchung seiner Wohnung im baden-württembergischen Reutlingen im März 2022 aus nächster Nähe auf Polizisten geschossen haben soll. Zwei Beamte wurden verletzt.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa