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Ukraine-Krieg: Das steckt hinter Russlands Offensive auf Charkiw


Nur ein "Täuschungsmanöver"?
Experten: Das steckt hinter Russlands Offensive auf Charkiw


Aktualisiert am 11.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Bewohner verlassen die Grenzstadt Wowtschansk: Russland hat eine Bodenoffensive auf die Region Charkiw gestartet. (Quelle: reuters)

Seit Monaten beschießt Russland die Millionenstadt Charkiw massiv mit Drohnen, Bomben und Raketen. Nun starten die Kremltruppen auch eine Bodenoffensive in dem Gebiet. Was das Ziel sein könnte.

Am Freitag hat Russland eine Bodenoffensive in der Region Charkiw gestartet. Experten gehen davon aus, dass die russische Armee damit vor allem taktische Erfolge erzielen will, wohl aber zunächst keinen Versuch unternehmen werde, die gleichnamige Millionenstadt zu erobern. Die Offensive könnte die Stadt Charkiw dennoch weiter in Bedrängnis bringen.

Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) schreibt in ihrem täglichen Ukraine-Update, dass Russland mit seiner Offensive vor allem ukrainische Kräfte in der nordöstlichen Grenzregion binden wolle. Die russischen Streitkräfte verfolgen demnach das Ziel, dass die Ukraine Soldaten aus anderen kritischen Frontsektoren wie der Ostukraine abzieht, um die russischen Vorstöße in der Region Charkiw zu unterbinden.

Zudem sollen laut dem ISW ukrainische Truppen von der Grenze zur russischen Oblast Belgorod zurückgedrängt werden. Die Ukraine hatte in den vergangenen Monaten immer wieder das russische Grenzgebiet beschossen, auch russische Partisanen, die aufseiten der Ukraine kämpfen, unternahmen Mitte März Angriffe in dem Gebiet.

"Es könnte auch ein Täuschungsmanöver sein"

Darüber hinaus könnten die russischen Truppen versuchen, bis in die Nähe der Stadt Charkiw vorzurücken, um in Artilleriereichweite zu kommen. Dem ISW zufolge hat Russland zwischen 35.000 und 50.000 Soldaten im Gebiet der nördlichen Grenze der Ukraine zu den russischen Regionen Brjansk, Kursk und Belgorod stationiert. Wie viele der Einheiten derzeit an den Offensivoperationen teilnehmen, ist nicht bekannt.

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Der ehemalige US-General Ben Hodges vermutet, dass hinter den russischen Angriffen auch eine Finte stecken könnte. "Es könnte auch ein Täuschungsmanöver sein, um die Kapazitäten der Ukraine in eine bestimmte Richtung zu binden und dann in Wirklichkeit irgendwo anders anzugreifen", sagte Hodges dem "Tagesspiegel". "Das würde allerdings ein gewisses Maß an Flinkheit und Beweglichkeit von russischer Seite erfordern, das ich so noch nicht gesehen habe." Hodges geht daher davon aus, dass Russland mit diesem Vorstoß versuche, die ukrainischen Kräfte weiter abzunutzen, solange sie sich in einer Position der Stärke sehen.

Auch der Militärexperte Franz-Stefan Gady hält einen Versuch zur Eroberung Charkiws, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, für unwahrscheinlich. Angesichts der Offensive sei weniger die Frage, ob Russland genug Kräfte zur Eroberung der Stadt habe, schreibt Gady auf der Plattform X. "Die wichtigere Frage ist, wie viele ukrainische Truppen, die an anderer Stelle an der Front dringend gebraucht werden, Russlands Operationen rund um Charkiw binden werden und wie lange."


Hören Sie auch unseren Tagesanbruch-Podcast: Dieses Mal diskutieren t-online-Chefredakteur Florian Harms und unsere Moderation Lisa Fritsch mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse über die Angriffe auf Politiker der vergangenen Tage.

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Russland könnte Artillerie näher an Charkiw heranbringen

Laut Quellen im ukrainischen Militär, auf die sich unter anderem das ukrainische Portal "Suspilne" bezieht, will Russland eine zehn Kilometer breite Pufferzone entlang der Grenze einrichten. Damit solle die Bedrohung der russischen Kriegslogistik in der Region Belgorod durch ukrainische Artillerie reduziert werden. Gleichzeitig könnte russische Artillerie selbst dichter an Charkiw heranrücken. Bisher befinden sich die russischen Streitkräfte gut 30 Kilometer von der Stadt Charkiw entfernt, die meisten sowjetischen Artilleriesysteme haben eine Reichweite von 25 Kilometern.

Rücken die russischen Truppen näher an Charkiw heran, könnte Russland die Millionenstadt routinemäßig mit Artillerie beschießen. In den vergangenen Monaten hatten Russlands Streitkräfte bereits ihre Angriffe mit Raketen, Drohnen und Gleitbomben auf Charkiw verstärkt. In Verbindung mit regelmäßigem Artilleriebeschuss könnten letztlich die Voraussetzungen für eine spätere größere Offensive auf Charkiw geschaffen werden, schreibt das ISW.

"Die begrenzten Anstrengungen, die die russischen Streitkräfte derzeit unternehmen, lassen jedoch nicht darauf schließen, dass die russischen Streitkräfte sofort eine groß angelegte Offensivoperation zur Einschließung, Umzingelung und Einnahme der Stadt Charkiw durchführen", so das ISW weiter. Die Operationen nahe dem Ort Wowtschansk zielten demnach vielmehr darauf ab, ukrainische Einheiten aus dem Gebiet nördlich von Charkiw auf die andere Seite des Flusses Siverskij Donez und des Pechenizkij-Stausees zu ziehen oder Truppen, die derzeit das Gebiet um Kupjansk verteidigen, von dort wegzulocken.

Ukraine leidet an Personal- und Munitionsmangel

Das vorrangige strategische Ziel der russischen Offensive soll laut den US-Experten jedoch sein, dass die Ukraine Truppen aus dem Donbass zur Verteidigung Charkiws abzieht. Damit sollen die "begrenzten Ressourcen der Ukraine" strapaziert und die Personalknappheit weiter verschärft werden. Die Ukraine kämpft seit Monaten mit einem akuten Munitionsmangel. Ein kürzlich verabschiedetes 61 Milliarden US-Dollar schweres Hilfspaket der USA soll diesen Umstand lindern, die Lieferungen kommen jedoch nicht sofort an der Front an. Mehr dazu lesen Sie hier. Zudem fehlt es der Ukraine an trainiertem Personal für die Front. Mitte Mai tritt die Reform des Mobilmachungsgesetzes in Kraft, mit der bis zu 500.000 Mann mobilisiert werden sollen.

Rund zwei Jahre nach dem Rückzug aus dieser Region hätten russische Truppen am Freitagmorgen die ukrainische Grenzstadt Wowtschansk angegriffen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Freitag mit. Die örtlichen Behörden halfen nach eigenen Angaben Zivilisten, die unter schwerem Beschuss stehende Stadt zu verlassen. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von schweren Kämpfen. Der ukrainische Generalstab erklärte, Russland ziehe auch Truppen gegenüber den weiter nordwestlich gelegenen Regionen Sumy und Tschernihiw zusammen. Regierung und Militär in Moskau äußerten sich bis zum Abend nicht dazu. Mehr zu den Angriffen am Freitag lesen Sie hier. Neben fortwährenden Luftangriffen auf alle Teile der Ukraine hatte sich Russland am Boden bisher auf den Osten der Ukraine konzentriert.

Video | Ukraine: Russen stoßen im Gebiet Charkiw vor
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Quelle: reuters

Die ukrainische Armee wehrt sich nach Angaben des Generalstabs auch am Samstag weiter gegen die russische Offensive im Grenzgebiet. Das Militär berichtete am Samstagmorgen von neun Gefechten an diesem Frontabschnitt. Dabei hieß es pauschal, die russischen Vorstöße seien abgewehrt worden. Diese Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar.

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USA besorgt wegen Offensive in Region Charkiw

Die US-Regierung beobachtet den neuen russischen Großangriff nahe der ukrainischen Millionenstadt Charkiw mit Sorge. "Wir haben damit gerechnet, dass Russland eine Offensive gegen Charkiw starten würde, und diese scheint nun begonnen zu haben", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. In den Monaten nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor über zwei Jahren habe Russlands Militär bereits verzweifelt versucht, die Stadt einzunehmen, was nicht gelungen sei.

"In der Tat war es vor allem das Scheitern der Einnahme Charkiws, das Herrn Putin dazu veranlasste, seine Truppen über die Grenze zurückzuziehen", sagte Kirby mit Blick auf den russischen Präsidenten. Das aktuelle Vorgehen des russischen Militärs dort sei daher "sehr interessant und sicherlich besorgniserregend".

Die russischen Truppen waren bereits kurz nach dem Beginn ihrer Invasion im Februar 2022 in die Region Charkiw eingerückt, wurden aber später von ukrainischen Truppen zurückgedrängt. Seit Monaten macht sich die Regierung in Kiew verstärkt Sorgen um Charkiw, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin zur Errichtung einer Pufferzone auf ukrainischem Boden aufgerufen hatte. Mehr dazu lesen Sie hier. Charkiw ist die Hauptstadt der gleichnamigen Region und war zuletzt mit 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte ukrainische Stadt nach Kiew.

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