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Krise in Deutschland: Das sagen ausländische Medien zur Lage der Republik


Die goldenen Jahre sind vorbei
Was ist bloß mit Deutschland los?


01.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

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Inflation, schwächelnde Wirtschaft, streitende Politiker – Deutschland steckt in der Krise (Quelle: IMAGO/Christian Ohde)

Sie erklären der Welt, was in Politik, Wirtschaft und Alltag der Deutschen gerade los ist. Korrespondenten ausländischer Medien berichten, wie sie Deutschland aktuell wahrnehmen.

Krisenmeldungen sind in Deutschland derzeit an der Tagesordnung: Die Wirtschaft schwächelt, die Regierung ist zerstritten, die Bahn zu spät und Rechtsextreme erhalten Mehrheiten in den Parlamenten. Dabei wird eine Frage immer lauter: Was ist zurzeit nur los mit Deutschland?

Deutschland-Korrespondenten ausländischer Medien berichten regelmäßig über die Vorgänge in unserem Land. Sie wissen, wie die Welt auf Deutschland blickt. Steht es wirklich so schlimm um uns? t-online hat Korrespondenten aus verschiedenen Ländern gebeten, ihre Sicht auf Deutschland zu teilen.

Aktham Suliman: Politisch wird nur noch PR gemacht

"Als Journalist fällt es mir schwerer als früher, Entwicklungen nach außen zu erklären. Noch vor zwei Jahren zum Beispiel sagte Olaf Scholz, dass Deutschland die größte konventionelle Nato-Armee in Europa haben werde. Bei so einer Ankündigung horchen andere Länder auf. Allerdings ist Deutschland dem bisher nicht ansatzweise gerecht geworden. In der Wirtschaft heißt es, es gibt Wachstum und dann wieder doch nicht. So etwas passiert im Moment alle paar Monate. Ständig kommt etwas dazwischen oder die Politiker sind sich nicht einig. Deutschland steht nicht mehr für Effizienz und Klarheit.

Mittlerweile nehmen andere Länder Entscheidungen und Vorgänge hierzulande weniger ernst. Politisch wird in Deutschland nur noch PR gemacht. Es geht nur noch um die Analyse des Ist-Zustands, ohne Perspektiven zu bieten. Die Inflationsrate habe sich reduziert und das wird groß gefeiert, dabei bedeutet das im übertragenen Sinne nur, dass der Zug, der einen überrollt, jetzt langsamer fährt. Deutschland kann inzwischen wirtschaftlich kaum etwas bieten, was andere Länder nicht auch bieten können.

(Quelle: Almasian)

Zur Person

Aktham Suliman, 54, ist 1989 aus Syrien nach Deutschland gekommen. Er war zehn Jahre lang Deutschland-Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera. Mittlerweile arbeitet er als freier Journalist und Nahostexperte in Berlin.

Selbst beim Fußball ist Deutschland ins Hintertreffen geraten. Es war ein Schock, als die deutsche Nationalmannschaft 2022 bei der WM in Katar in der Vorrunde herausflog und sich mehr mit politisch-moralischen Themen beschäftigte als mit Fußball. Das ist eine Tendenz, die sich auch in anderen Bereichen zeigt. Deutschland erhebt bei allem einen moralischen Anspruch. Bei jedem Punkt gibt es Konfliktpotenzial. Die Konfliktparteien stehen sich dabei feindlich gegenüber. Ich sehe dafür aber nicht allein die jetzige Regierung in der Verantwortung, das ist die Fortsetzung einer Tendenz, die einem das Gefühl gibt, dass das Land zu kollabieren droht."

Vendeline von Bredow: Deutschland ruht sich auf Erfolgen aus

"Obwohl schon länger klar ist, dass die ganz goldenen Jahre der deutschen Wirtschaft vorbei sind, nehme ich ein neues Level an Alarmismus wahr. Die Angst vor der Inflation ist deutlich spürbar. Im Supermarkt höre ich häufiger Gespräche darüber, dass die Leute sich immer weniger leisten können.

Trotzdem sind viele nur bedingt bereit, hart für einen wohlhabenden Lebensstil zu arbeiten. Früher stand Deutschland für Disziplin, Pünktlichkeit und harte Arbeit. Im Kern existieren die Werte zwar noch, Deutschland ruht sich zurzeit aber auf den bisherigen Erfolgen aus. Weil Wohlstand für die aktuell arbeitende Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit ist, ist die Bereitschaft dafür zu arbeiten gesunken. Im internationalen Vergleich arbeiten die Deutschen deutlich weniger als beispielsweise die Menschen in asiatischen Ländern.

(Quelle: The Economist)

Zur Person

Vendeline von Bredow, 54, ist leitende Deutschland-Korrespondentin für das internationale Wirtschaftsmagazin "The Economist" mit Sitz in London. Bevor sie 2019 nach Berlin umzog, war sie als Korrespondentin in Chicago stationiert.

Im Ausland ist das Interesse an dem, was in Deutschland passiert, durch die aktuellen Krisen noch gewachsen. Die Engländer schauen mit Sorge auf die wachsende Unterstützung der AfD. Besonders in diesem Jahr mit den Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Die großen "Demos gegen rechts" nach der Correctiv-Recherche wurden positiv wahrgenommen. Trotzdem ist die AfD noch sehr stark, auch in Westdeutschland.

Wir haben vergangenes Jahr in "The Economist" die Frage gestellt "Is Germany once again the sick man of Europe?" (Ist Deutschland wieder einmal der kranke Mann in Europa?) Das Fragezeichen ist immer noch da. Nicht alles läuft schlecht. Ich finde es beispielsweise erstaunlich, wie Deutschland die Energiekrise gemeistert hat. Am Ende waren die Auswirkungen bei Weitem nicht so schlimm, wie viele vorausgesagt haben."

Ewald König: Übermäßige Bürokratie hält vieles auf

"Von Anfang an war ich ein großer Fan von Berlin und das bin ich auch immer noch. Trotzdem fällt mir auf, dass seither vieles 'abgesandelt' ist. Die deutschen Klischees wie Wirtschaftsstärke, Zuverlässigkeit und Effizienz existieren so nicht mehr.

Vor Kurzem war ich auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin. Währenddessen haben die Deutsche Bahn und die Lufthansa gestreikt, das hat auf ironische Weise den Zustand des Landes widergespiegelt. Die internationalen Aussteller denken sich ihren Teil. Deutschland wird als Standort für solche Veranstaltungen immer unbeliebter.

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(Quelle: privat)

Zur Person

Ewald König, 69, ist ein österreichischer Journalist. 1985 kam er nach Deutschland und arbeitete dort 27 Jahre lang als Korrespondent für die österreichische Tageszeitung "Die Presse". Danach gründete er sein eigenes Korrespondentenbüro.

Ich selbst ärgere mich in Berlin vor allem über die Organisation der Behörden. Die Bürger müssen teilweise wochenlang auf Termine warten. Meine koreanische Frau wundert sich manchmal darüber, wie ineffizient es hier zugeht. Vor allem, wenn es sich dabei um gesetzliche Vorschriften handelt, die Abläufe erschweren und verlangsamen. Übermäßige Bürokratie hält in Deutschland vieles auf.

Wer es dann doch aufs Amt geschafft hat, wird oft unfreundlich behandelt. Höflichkeit scheint unter deutschen Beamten so gut wie nicht vorhanden zu sein. Die Mitarbeiter des österreichischen Konsulats hier in Berlin wundern sich manchmal, wenn sie für ganz normale Arbeitsabläufe Lob erhalten. Das liegt wohl daran, dass der Kontrast zu den deutschen Behörden so groß ist. Generell habe ich den Eindruck, dass Deutsche kaum Dienstleistungsbewusstsein haben. Sie tun nur das, was sie müssen, aber nicht mehr. 'Lieferung bis Bordsteinkante' ist hier an der Tagesordnung."

Tonia Mastrobuoni: Deutschland wird die Krisen meistern

"Für mich steht die ICE-Strecke zwischen Berlin und Frankfurt sinnbildlich für das aktuelle Deutschland. Der Zug hält auf der Strecke zwischen der Finanz- und der politischen Hauptstadt in Wolfsburg. Ich mag die Stadt, aber es ergibt keinen Sinn, dass ein Schnellzug auf dieser wichtigen Strecke dort hält und deshalb deutlich länger braucht. Wolfsburg steht für mich für Interessensgruppen, die hierzulande, politisch und auch im Alltag ihre Interessen vertreten und dabei immer berücksichtigt werden. Das hält enorm auf.

Was mich aber am meisten nervt, sind die Verspätungen der Deutschen Bahn. Ich fahre die Strecke sehr oft und in den vergangenen drei Jahren ist es mir noch nie passiert, dass der ICE pünktlich ankam. Noch nie. Da frage ich mich manchmal, wo die sonst so präsente Empörung der Deutschen bleibt.

(Quelle: Thomas Lobenwein)

Zur Person

Tonia Mastrobuoni, 52, ist Korrespondentin der italienischen Tageszeitung "La Repubblica". Sie lebt seit 2014 in Deutschland.

Wenn ich in Rom bin, treffe ich häufig auf deutsche Touristen, die sich über die Unzuverlässigkeit der Italiener auslassen. Deutsche sind überzeugt, dass sie die preußischen Tugenden wie Ordnung, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit immer noch leben. Dabei sind sie nicht mehr so diszipliniert, wie sie es einmal waren. Ich finde es so aber viel angenehmer.

Auch politisch sehe ich die Situation gelassen. In Italien sind Streits unter Politikern normal. Außerdem hat die Ampelregierung bisher viel bewältigt. Beim plötzlichen Abhandenkommen der russischen Energiequellen hat Deutschland schnell reagiert und sich der Situation angepasst. Generell hat Deutschland in der Vergangenheit immer wieder aus Krisen gewunden – auch ohne, dass die etablierten Volksparteien signifikant an Zustimmung verloren haben. Ich bin mir sicher, dass Deutschland auch die aktuellen Krisen bewältigen wird."

Verwendete Quellen
  • Telefongespräche mit den Korrespondentinnen und Korrespondenten
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