Korruption und Staatsstreich Dem Staat bleibt nur eine Reaktion
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Europaabgeordnete Eva Kaili hortete Säcke voll Geld, in Deutschland plante ein Prinz den Umsturz. Die Antwort des Rechtsstaats kann beide Male nur lauten: Härte zeigen!
Dieses Bild ist auf allen Nachrichtenseiten zu sehen: Die EU-Parlamentarierin Eva Kaili sitzt in einem pompösen Sessel dem Scheich von Katar, Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, gegenüber. Er hat seinen Blick mindestens wohlwollend auf die Besucherin aus Griechenland gerichtet – sie ist weder verschleiert noch sonst wie darum bemüht, ihre Reize zu verhüllen. Es ist ein einträchtiges Bild.
Gegenschnitt auf ein anderes Bild, das ich sicher nicht allein im Kopf habe. Wie Kaili in ihrer Wohnung zwischen so vielen Säcken mit Bargeld lebt, dass sie ein paar davon sogar zu ihrem Vater schaffen musste. Cash, Schmiergeld, das ihr der freundliche Scheich offenbar im Ausgleich für eine Fußballweltmeisterschaft vor die Tür stellen ließ. Kailis Treffen im Wüstenstaat war nicht nur einträchtig, sondern nach Stand der Dinge auch einträglich.
Der Kolumnist
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".
Fast parallel zur Schmiergeldrazzia in Brüssel entsteht in Deutschland das Bild eines älteren Herrn in Tweed-Jackett und Handschellen. Heinrich XIII. Prinz Reuß, wie wir mittlerweile erfahren haben, wollte sich zum Bundeskanzler, König, Kaiser oder sonst was putschen. Mit einer seltsamen Berliner Richterin an seiner Seite, die wohl Justizministerin des Prinzenkanzlers werden sollte – und einem Ex-Oberst der Bundeswehr-Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte", der dazu eine Art Privatarmee des Prinzen aufbauen und ausrüsten sollte.
Zeitgleich ereigneten sich also zwei Vorgänge, die bereits jeder für sich bestenfalls für einen schlechten Film geeignet wären. Auf der einen Seite die korrupte Europapolitikerin, auf der anderen ein adliger "Reichsbürger" mit Staatsstreichphantasien – und offenbar ernst zu nehmenden Planungen in diese Richtung.
Die Korruption zieht ihre Kreise
Beide Begebenheiten legen ein furchtbares Zeugnis vom Zustand der westlichen Demokratie ab. Oder zumindest maßgeblichen Teilen davon. Beide, Heinrich XIII. und die ehemalige Fernsehmoderatorin Kaili, verhielten sich, als befänden wir uns am Übergang des Mittelalters zur Renaissance und nicht mehr als Hunderte Jahre nach der Aufklärung inmitten der Blüte der Demokratie im 21. Jahrhundert.
Die westliche Demokratie steht unter enormem äußeren Konkurrenzdruck. Hybride totalitäre Gebilde wie China erweisen sich als vermeintlich oder tatsächlich effizienter in Zeiten eines beschleunigten Turbo-Kapitalismus. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hat in seinem Buch "Identität" darauf hingewiesen, dass die Demokratie seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 quantitativ ihren Zenit erreicht und gleich darauf überschritten hatte. Seither nimmt die Zahl der Demokratien kontinuierlich ab.
Sie hat es aber offenbar auch mit inneren Auflösungserscheinungen zu tun, jenseits des rein Numerisch-Quantitativen findet ein Schwund im Qualitativen statt. Der partielle Unrechtsstaat eines Viktor Orbán in Ungarn steht dafür, nach der Razzia in Brüssel aber auch das Europäische Parlament, das sonst oft dazu da ist, Orbán und andere Abweichler einigermaßen auf dem Pfad der Demokratie zu halten.
Dass sich internationale, mutmaßlich auch nationale Fußballverbände und deren Funktionäre schmieren lassen: Okay, daran haben wir uns irgendwie seit dem deutschen Sommermärchen gewöhnt. Das ist am Ende Business und eine pervertierte Form des Sport-Kommerzes. Dass diese Gepflogenheiten aber auch in der Politik um sich greifen und dort auf willige Empfänger stoßen, hat eine neue Dimension.
Wehret den Anfängen!
Und bestätigt fatalerweise Leute wie den verirrt-verwirrten Putsch-Prinzen in ihrer Annahme, dass diese Demokratie im Mark verrottet sei, dass wir von Polit-Pack regiert würden, das sich um alles, nur nicht um das Gemeinwohl kümmere.
Wichtig ist jetzt, dass die Strafverfolgungsbehörden gegen die wunderlichen Putschisten in Deutschland wie gegen die korrupten Politiker in Brüssel in gleichermaßen unerbittlicher Härte vorgehen. Dass der Haftrichter in Karlsruhe die Haftbefehle gegen das hochgenommene Netzwerk von "Reichsbürgern" durchgängig bestätigt hat, ist ein erstes gutes Zeichen.
Der mit großem Personalaufwand und im grellen Licht der medialen Scheinwerfer abgelaufene Einsatz hierzulande sah angesichts der verhafteten Personen und der paar Steinschleudern und Feuerwaffen auf den ersten Blick unverhältnismäßig aus und wirkte ein wenig wie eine Inszenierung des Staates zur Abschreckung. Nun müssen die Behörden unbedingt mehr an Erkenntnissen und Belegen liefern, weshalb dieser Einsatz angemessen war und Schlimmeres im Keim erstickt hat.
Nach Angaben von Abgeordneten der zuständigen Ausschüsse im Bundestag hatten die mutmaßlichen Verschwörer geplant, bundesweit mehr als 280 "Heimatschutzkompanien" zu bilden. Diese hätten nach Auskunft eines Vertreters der Bundesanwaltschaft im Falle eines Umsturzes Menschen "festnehmen und exekutieren" sollen.
Lernen von Christian Drosten
Es ist also alles andere als eine leichte Aufgabe. Es gilt das gleiche Vorbeugungsparadox wie beim Coronavirus. Der Virologe Christian Drosten brachte es auf den Punkt: "There is no glory in prevention". Frei übersetzt: Mit Vereitelung verdient man keinen Blumentopf. Und die korrupte EU-Parlamentarierin muss die volle Härte des Rechtsstaates treffen, von dem sie offenbar glaubte, er tangiere sie wegen ihrer Immunität als Abgeordnete nicht.
Denn sonst sehen sich die Verirrten und Verwirrten in der westlichen Demokratie auf fatale Weise doppelt bestätigt: Uns rücken sie mit Hundertschaften schwer bewaffneter SEK-Polizisten auf den Pelz. Und die lassen sie relativ ungeschoren davonkommen. Es steht mehr auf dem Spiel als das Schicksal und das etwaige Strafmaß des Prinzen und der Parlamentarierin. Es geht um die Glaubwürdigkeit einer Staatsform, die in der Krise ist, aber weiter und unangefochten – frei nach Winston Churchill – die beste unter den unzulänglichen ist.