Ischinger zur Sicherheitskonferenz Biden-Rede: "Es könnten gefährliche Missverständnisse entstehen"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heute sprechen auf der virtuellen Sicherheitskonferenz unter anderem Kanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Macron und Joe Biden. Der Leiter des Events, Wolfang Ischinger, erklärt im Interview mit t-online, warum die Teilnahme des neuen US-Präsidenten so wichtig ist – und welche Erwartungen er hegt.
Gewöhnlich findet im Februar in München die Sicherheitskonferenz mit Staats- und Regierungschefs, Ministern und Sicherheitsexperten aus aller Welt statt. Doch die Pandemie erlaubt den großen Auftritt nicht. Als Alternative zur riesigen Veranstaltung dient diesmal eine Videokonferenz, zu der sich auch US-Präsident Joe Biden zuschalten lässt. Er ist der erste amtierende Präsident, der dieser traditionsreichen Konferenz seine Aufwartung macht.
t-online: Herr Ischinger, anstatt der großen Sicherheitskonferenz findet heute eine virtuelle Konferenz statt, an der sogar erstmals ein amerikanischer Präsident teilnimmt. Wie haben Sie Joe Biden dazu überredet?
In der Diplomatie ist eines wichtig: Vertrauen. Joe Biden kennt die Münchner Sicherheitskonferenz bestens. Im Jahr 1980 war er zum ersten Mal dabei, zuletzt kam er 2019. Die Dialogplattform schätzt er, wie ich finde zurecht, und er vertraut meinem Team und mir.
Wie läuft das ab – der Präsident hält eine Rede und danach stellen Sie ihm Fragen?
Wir werden eine Mischung aus Reden, Diskussionen und Frage-Antwort-Segmenten erleben. Präsident Biden hat sich für eine viertelstündige Rede entschieden.
Also auch keine Diskussion mit der Kanzlerin oder Emmanuel Macron?
Nach der aktuellen Planung treten Biden, Merkel und Macron direkt nacheinander, aber getrennt auf.
Wolfgang Ischinger, 74, verbrachte viele Jahre seines Lebens in den USA und ist ein herausragender Kenner der Weltmacht und ihrer Akteure. Joe Biden ist ein steter Gast der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen, die Ischinger seit 2008 leitet.
Im letzten Moment hat sich auch noch Boris Johnson dazu
entschlossen, bei der Videokonferenz mitzumachen. Erstaunlich, da
sich die Briten in den letzten Jahren in München doch eher rar machten.
Ich freue mich darüber, dass wir in letzter Minute den Premierminister auch noch für unsere Konferenz gewinnen konnten. Er hat ja recht, wenn er denkt, dass er da nicht fehlen sollte!
Diese Sicherheitskonferenz komplettieren Ursula von der Leyen und UNO-Generalsekretär Ańtonio Guterres. Konnten Sie die Teilnehmer bestimmen?
Ja, das konnte ich. Aber natürlich steht und fällt dieses Projekt mit dem amerikanischen Präsidenten. Er ist ja grade mal seit einem Monat im Amt. Bei den anderen Rednern war klar, dass ich neben der Kanzlerin vor allem die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Nato zu Wort kommen lassen wollte. Wunderbar, dass wir Emmanuel Macron und Boris Johnson überzeugen konnten, zwei zentral wichtige außenpolitische Partner in diesen Institutionen – erst recht jetzt nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU.
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Der Westen bleibt unter sich, das fällt auf. Es fehlen Vertreter aus China oder Russland, aus Nahost oder Afrika. Natürlich ist eine virtuelle Konferenz limitiert, aber warum ist der Kreis der Beteiligten westlich eng gefasst?
Ursprünglich hatten wir zwei Stunden für die Konferenz vorgesehen. In dieser Zeitspanne lassen sich nicht sämtliche aktuellen Krisen behandeln wie bei der fast dreitägigen Sicherheitskonferenz unter normalen Umständen. Deshalb mussten wir ein oder zwei Themen auswählen – und dass sich jetzt durch Joe Biden große und neue transatlantische Chancen bieten, dürfte jedem klar sein. Das hat die Priorität Nummer Eins. Sobald wir wieder eine normale Konferenz organisieren können, werden China, Russland und viele andere Länder wie üblich zu Wort kommen. Das habe ich ausdrücklich auch dem russischen Botschafter versichert.
Für Sie ist es ein Coup, dass Joe Biden seine erste Rede auf der Sicherheitskonferenz hält und nicht in London oder Paris oder vor der UNO. Welche Botschaft wird er senden?
Ich bin ziemlich sicher, dass er sagen wird, dass die Kraft Amerikas auch auf seinen Partnerschaften und Allianzen aufbaut und vor allem auf gegenseitigem Vertrauen. Da gibt es ja etliches zu reparieren nach den letzten vier Jahren.
In dieser ersten Phase geht es um Beruhigung der Gemüter und Bekräftigung der Bündnisse und Abkommen. Aber ist es nicht eine Illusion zu glauben, dass nun Harmonie ausbricht? Dass die Nato-Mitgliedsstaaten zum Beispiel das Versprechen erfüllen sollten, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes einzuzahlen, dürfte auch Biden erwarten.
Keine Frage, die Friktionspunkte – beispielsweise Nord Stream 2, Lastenteilung im Bündnis, Exportzölle – werden nicht weggezaubert. Aber nun kann man vertrauensvoll versuchen, Kompromisse auszuloten. Jedenfalls dürfen wir jetzt nicht die Hände in den Schoß legen und davon ausgehen, dass Joe Biden es schon richten wird. Die EU und auch Deutschland sollten mit eigenen konstruktiven Ideen auf Amerika zugehen.
Das größte Problem zwischen Deutschland und Amerika ist Nord Stream 2, die Gasleitung von Wyborg nach Lubmin über 1.200 Kilometer. Sie ist fast fertig, aber die Vollendung hat der US-Kongress, sogar überparteilich, mit Sanktionen für die beteiligten Firmen belegt und auch die baltischen Länder wie Polen sind entschieden gegen das Projekt. Biden ist vielleicht kulanter im Ton als sein Vorgänger, aber doch wohl kaum nachgiebig in der Sache.
Auf beiden Seiten gibt es Signale für Verhandlungen. Reden ist allemal besser als die besten Partner mit Sanktionen zu überziehen.
Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, es handle sich um ein wirtschaftliches Projekt. Das überzeugt niemanden.
In der Tat ist es so, dass überall die geostrategische Bedeutung solcher energiepolitischer Projekte erkannt wird, bloß bei uns wischt man das gerne vom Tisch. Energieaußenpolitik muss integraler Bestandteil einer kohärenten EU-Außenpolitik werden.
Der Umgang mit Alexey Nawalny ist zum Symbol für Putins Unrechtsregime geworden, vergleichbar mit dem Umgang früher mit Alexander Solschenizyn. Macron und Merkel haben dagegen Protest eingelegt. Wie lässt sich politisch darauf reagieren?
Russland igelt sich zur Zeit ein, was sich auch beim Besuch von Josep Borrell, dem EU-Außenbeauftragten, im Kreml zeigte, als zeitgleich drei westliche Diplomaten ohne jede Vorwarnung ausgewiesen wurden. Hier hilft nur langfristiges Denken und geduldiges Beharren. Steter Tropfen höhlt den Stein. Holzhammermethoden würden im Kreml vermutlich nur zu weiterer Verhärtung führen, woran wir kein Interesse haben sollten.
Was würden Sie der Bundesregierung bei Nord Stream 2 raten – zu Ende bauen, aber nicht anschalten?
Vom Erzwingen eines Baustopps durch Sanktionsandrohung und von einer Milliarden-Bauruine in der Ostsee halte ich nichts. Aber die Bundesregierung könnte den Schwarzen Peter nach Russland zurückspielen. Etwa, indem sie dem Kreml streng vertraulich mitteilt, dass der außenpolitische und innenpolitische Druck auf sie so stark gewachsen ist, dass sie sich nicht imstande sieht, die Gasleitung in Betrieb zu nehmen, solange die Atmosphäre sich nicht entkrampft, und das liege doch ganz in russischen Händen. Zum Beispiel könnte Putin Nawalny nicht erst 2023 oder sogar noch später freilassen, sondern schon im nächsten Jahr. Oder Moskau könnte proaktiv dabei helfen, den Mord im Tiergarten aufzuklären. Oder Moskau könnte russische Soldaten aus dem Donbass abziehen.
Welchen Kurs gegenüber Russland wird Präsident Biden einschlagen?
Er wird mit Wladimir Putin Klartext reden, aber nicht nur Konfrontation suchen. Im Gegenteil haben beide ja schon konstruktive Schritte unternommen, als sie kürzlich das New-Start-Abkommen verlängerten, den letzten großen Abrüstungsvertrag über strategische Nuklearwaffen. Da gibt es noch viele andere Möglichkeiten – man denke nur an das Atomabkommen mit dem Iran.
Barack Obama sagte mal wenig diplomatisch über Russland, es sei nur noch eine Regionalmacht. Sieht Biden die Dinge ähnlich?
Es war nicht hilfreich, das öffentlich so zu formulieren.
Amerika war seit dem 6. Januar mit sich selbst beschäftigt, was sich mit dem Impeachment fortsetzte. Wie wirken diese Ereignisse wohl auf Wladimir Putin und Xi Jinping?
Man wird versuchen, den neuen Präsidenten Biden zu testen. Hat er Amerika hinter sich? Tritt er als Weltmacht auf? Daraus könnten gefährliche Missverständnisse entstehen.
In einer zweiten Phase dürfte Joe Biden daran gehen, Amerika auf der Weltbühne zu rehabilitieren. Genügen dazu Verlässlichkeit und Berechenbarkeit als Goodwill-Maximen?
Amerika muss unter Beweis stellen, dass es trotz innenpolitischer Polarisierung die Energie und Entschlossenheit aufbringt, die eine Weltmacht ausmachen.
Gehört dazu Entspannung im Handelskrieg mit China?
Dazu gehört eine realpolitische Abwägung und Ausbalancierung der eigenen Interessen, auch der kommerziellen. Einen Handelskrieg allein aus dem Grund zu führen, um Stärke zu zeigen und dafür auf Konfrontation zu gehen, bringt auf Dauer nichts.
Sollte dafür der Abzug der Soldaten aus Afghanistan verzögert werden? Die Taliban drohen in diesem Fall damit, die Anschläge auf die US-Truppen wieder aufzunehmen.
Ja, denn der Abzug aller US-Truppen würde 20 Jahre zunichte machen. Biden wird einen Mittelweg anstreben.
Gehört dazu der Versuch, das Atomabkommen mit dem Iran wieder zu beleben?
Ja, wobei dieses Problem ebenso komplex wie wichtig ist. Ich hoffe, dass Joe Biden in seiner Rede heute auf der Sicherheitskonferenz dazu etwas sagt. Wir brauchen eine rationale Verhandlungsatmosphäre mit dem Iran.
Die Sicherheitskonferenz wird heute etwas mehr als drei Stunden dauern. Gibt es in diesem Jahr dann noch eine regelrechte Konferenz in München, falls die Pandemie abgeklungen ist?
Unbedingt wollen wir das. Die virtuelle Konferenz ist jetzt der erste Schritt auf dem Weg zu einer normalen Konferenz in München.
Herr Ischinger, vielen Dank für dieses Gespräch.