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Experte: "Unklar, ob sich das Grundeinkommen für Geringverdiener rechnet"


Bedingungsloses Grundeinkommen
Experte: "Unklar, ob sich das für Geringverdiener rechnet"

t-online, Stefan-Kai Obst

05.06.2016Lesedauer: 3 Min.
Keine ganz neue Idee: Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens 2013 in Berlin.Vergrößern des Bildes
Keine ganz neue Idee: Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens 2013 in Berlin. (Quelle: Common Lense/imago-images-bilder)
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Die Schweizer entscheiden in einer Volksabstimmung über die Einführung des sogenannten Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Die Idee klingt verführerisch: 2500 Franken pro Monat vom Staat, ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen. Doch wo das hinführt, darüber sind Experten uneins.

Rund fünf Millionen wahlberechtigte Schweizer sollen am Sonntag darüber abstimmen, ob der Staat jedem Einwohner ein BGE in Höhe von 2500 Franken zur sozialen Absicherung zahlen soll. Jeder Erwachsene würde demnach umgerechnet knapp 2250 Euro und jedes Kind etwa 565 Euro pro Monat erhalten. Im Gegenzug würden Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Renten entfallen.

Immer mehr Deutsche wollen das BGE

Doch während die Eidgenossen laut Umfragen wohl zu gut 70 Prozent mit "Nein" stimmen werden, steigt hierzulande die Zahl derer, die sich dafür begeistern können. Waren laut "Yougov" 2015 nur 16 Prozent der Deutschen für das BGE, sind es mittlerweile 27 Prozent. Und das, obwohl es bei der BGE-Debatte in Deutschland meist um einen weitaus geringeren monatlichen Betrag von etwa 1000 Euro geht. Sogar die Befürchtung, dass die Menschen wegen des BGE die Motivation verlieren könnten, arbeiten zu gehen, teilen mit 40 Prozent (2015: 48 Prozent) immer weniger (siehe Grafik unten).

Experte Matthias Diermeier vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat da so seine Zweifel. "Was die Schweiz angeht, würden ja alle, die bis 2500 Franken verdienen, vom Staat nichts über den BGE-Betrag hinaus dazubekommen." Denn das erarbeitete Einkommen würde - und genau hier liegt die Crux - mit dem BGE verrechnet. Deshalb könnte gerade bei dieser Einkommensgruppe der Reiz verloren gehen, auch weiter einem Job nachzugehen.

Selbst im Fall eines Betrags von 1000 Euro in Deutschland geht Diermeier davon aus, dass die Arbeitsmotivation - bei ähnlicher Ausgestaltung des BGE wie in der Schweiz - bei Geringverdienern abnehmen dürfte. Wahrscheinlich sei auch, dass Schwarzarbeit zunimmt. "Jeden Euro, den ich in meiner hinzugewonnen Freizeit schwarz dazuverdiene, kann ich mir in die Tasche stecken."

"Viele Sozialleistungen fallen weg"

Auch unter Fairness-Gesichtspunkten lehnt der IW-Experte das BGE eher ab. Denn schließlich würde derjenige, der jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht und einem gering vergüteten Job nachgeht, am Ende nicht viel mehr haben. "Da viele Sozialleistungen, die über Hatz IV hinausgehen, wegfielen, ist nicht klar, ob sich das BGE für untere Einkommensschichten überhaupt rechnet", gibt Diermeier zu bedenken. So gesehen kann er dem BGE vor allem eines abgewinnen: dass sich die staatliche Bürokratie durch den Wegfall zahlreicher Sozialtransfers enorm verschlankt.

Mit Blick auf die Finanzierbarkeit bezweifelt der Experte für das Schweizer Modell, dass sich dieses so wie gedacht machen ließe. Denn die zugrunde liegende Berechnung geht davon aus, dass sich am Volumen der Erwerbstätigkeit und den Arbeitseinkommen nach Einführung des BGE nichts ändert. Eine äußerst sportliche Annahme, wie Diermeier findet.

Um solche Risiken zu vermeiden, hat sich Finnland für eine andere Strategie in Sachen BGE entschieden. Ab kommenden Jahr sollen dort an rund 10.000 Haushalten verschiedene Modelle getestet werden, die entsprechende Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt sowie Anreize zur Schwarzarbeit so gering wie möglich halten.

So hat sich die Meinung der Deutschen zum BGE innerhalb Jahresfrist gewandelt:

Mehr spannende Grafiken bei Statista

"Die Menschen wollen sich einbringen"

Anders als Diermeier kann man das BGE freilich auch unter gesellschaftlichen statt volkswirtschaftlichen Aspekten betrachten. So hält es der Soziologe Sascha Liebermann von der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn für "ein Vorurteil", dass sich nach Einführung eines BGE viele auf die faule Haut legen: "Die Menschen wollen sich einbringen, jegliches Engagement, ob in der Familie, im Gemeinwesen oder im Beruf beruht darauf."

Ihm zufolge würde das BGE sogar Geringverdienern ermöglichen, besser über Arbeitsbedingungen zu verhandeln: "Es verleiht ihnen Verhandlungsmacht, sofern es ausreichend hoch ist". Deshalb hält Liebermann es für möglich, dass gering bezahlte oder prekäre Jobs durch die Einführung eines BGE attraktiver gestaltet werden. "Ein BGE würde hier manches geradezurücken helfen, auch was die Wertschätzung betrifft."

"Familie, häusliche Pflege, Ehrenamt würden gestärkt"

Ihm zufolge besagt ein geringer Lohn nämlich nicht, dass die Leistung wenig wert ist. "Auch in diesem Bereich bedarf es einer Bereitschaft, sich auf die Tätigkeit einzulassen, damit sie gut gemacht wird."

Dazu komme, dass durch ein BGE auch Tätigkeiten wie im Haushalt endlich anerkannt würden: "Menschen könnten endlich machen, was sie ohnehin machen wollen und wären dafür abgesichert. Denken wir nur an die Familien, die häusliche Pflege. Und das Ehrenamt, das davon nur einen kleinen Teil ausmacht, würde ebenfalls gestärkt."

Dass Schwarzarbeit durch das BGE für viele attraktiv würde, bestreitet Lieberman gar nicht: "Schwarzarbeit ist illegal, heute wie auch mit einem BGE - und sie muss verfolgt werden. Worum wir uns eher Gedanken machen müssen, ist, dass Schwarzarbeit ein Ausdruck von mangelnder gesellschaftlicher Loyalität ist."

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