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Talk bei Anne Will: Druck vom Chef ist noch lange kein Mobbing


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Anne Will: "Wenn Chefs Druck machen – ist das gleich Mobbing?"

t-online.de- Silke Asmußen

Aktualisiert am 16.05.2013Lesedauer: 5 Min.
Anne Will diskutierte mit ihren Gästen das Thema MobbingVergrößern des Bildes
Anne Will diskutierte mit ihren Gästen das Thema Mobbing (Quelle: ndr)

Schikanen, Intrigen, Diskriminierung, Demütigung, Ausgrenzung: Mobbing hat nichts zu tun mit alltäglichen Scharmützeln unter Kollegen oder gelegentlichem Zoff mit dem Vorgesetzten. Das hat Anne Will in ihrem Talk zum Thema "Wenn Chefs Druck machen – ist das gleich Mobbing?" dank ihrer gut gemischten Gästerunde klar gemacht. Der Internist, Psychotherapeut und Autor Joachim Bauer, der Unternehmensberater und Ex-Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Florian Gerster, die Gewerkschaftssekretärin Christina Frank und Mobbing-Opfer Eberhard Hesse beleuchteten den Psychoterror am Arbeitsplatz von Grund auf – und dankenswerterweise mit erträglichem Pathos. Offen blieben jedoch Fragen, die sicher viele Zuschauer interessiert hätten: Wer kann rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn im Betrieb munter gemobbt wird, und welche Ansprüche haben die Schikanierten?

Mehr als eine Million Beschäftigte betroffen

Alarm schlug 2010 schon die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit ihrem Mobbing-Report. Demnach sind in Deutschland mehr als eine Million Beschäftigte von Mobbing betroffen, quer durch alle Betriebsgrößen. Eine aktuelle Erhebung der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Eurofonds) geht sogar von mehr als zwei Millionen Betroffenen aus. Über 50 Prozent der Mobber kommen der BAuA-Untersuchung zufolge im Übrigen aus der Chefetage.

Die Folge des Psychokriegs in deutschen Firmen: Fast die Hälfte der Gemobbten erkranken, jedes fünfte Opfer fehle krankheitsbedingt sogar länger als sechs Wochen, heißt es im BAuA-Report. Der Produktionsausfall koste die Wirtschaft hierzulande Milliarden. Im Laufe der Sendung verkündete Anne Will weitere Schreckenszahlen der BAuA: In den vergangenen 15 Jahren seien die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um mehr als 100 Prozent gestiegen, allein 2012 hätten seelische Störungen 53 Millionen Fehltage verursacht.

Gezielt Konkurrenten ausstechen

Warum aber wird offenbar gemobbt, was das Zeug hält – von der Produktion bis hinauf zum Management? Joachim Bauer sprach dazu Klartext: Im Zuge von Umstrukturierungen, beim Kampf um Arbeitsplätze und Positionen werde häufig versucht, auf diese Weise Konkurrenten auszuschalten. Außerdem mangele es vielen Vorgesetzten an Führungskompetenz, gerade junge Chefs hätten oft "Null Ahnung von Menschenführung".

Frank bestätigte: Im Rahmen von Einsparungen wollten Unternehmen vor allem "Minderleister" loswerden und nutzten geradezu "kriegerische Strategien", um sich der unliebsamen Kollegen zu entledigen.

Auch Schikanierte haben Mitschuld

In einem war sich Frank, Gerster und Bauer überraschend einig: Unbeteiligt sind die Opfer an der Misere nicht. Wer etwa – wie die Hauptfigur des der Sendung vorangegangenen ARD-Films "Mobbing" – gegen einen neuen Chef in den "Kampfmodus" gehe, mache alles falsch, sagte Bauer. Noch dazu, wenn der Betroffene weder Hilfe bei Betriebsrat, Personalrat oder einem Therapeuten noch das Gespräch mit dem Partner oder Freunden suche.

Franks Erfahrung nach startet Mobbing stets mit einem Konflikt, mit dem der Betroffene nicht umgehen kann. Die systematische Auseinandersetzung entwickle sich in der Folge zum echten Psychoterror.

Das Ergebnis schilderte Bauer: Mobbing zerstöre Lebensfreude und Motivation, Mobbing-Opfer litten unter Selbstzweifeln und massiven Ängsten, machten immer mehr Fehler in der Arbeit. Depressionen drohten – bis hin zur Suizidgefährdung.

Opfer wehren sich gegen Schuldzuweisung

Der gemobbte Eberhard Hesse, für den seine Arbeit bei der Berliner Stadtreinigung zur Qual wurde, wehrte sich vehement gegen die Zuweisung einer Mitschuld: Als ihm nach der Wende nur noch unsinnige Aufgaben übertragen worden seien und er von den Kollegen ausgegrenzt wurde, habe er mit Betriebsrat und Personalrat gesprochen.

Ohne Erfolg: "Ein Ausgegrenzter hat keine Helfer", fasste der heute 61-Jährige, der sich inzwischen als Kurierfahrer selbstständig gemacht hat, seine Erfahrung zusammen. "Alle sind gegen mich", so habe er die Situation in der Firma in der Zeit empfunden. Daran wäre auch Hesses Partnerschaft fast zerbrochen, "Sprengstoff" habe damals in der Luft gelegen, erzählte in einem Einspieler seine heutige Ehefrau.

Betroffene für lange Zeit traumatisiert

Hesse nahm schließlich psychologische Hilfe in Anspruch, schrieb ein Buch über seine Mobbing-Erfahrungen, gründete den Verein Anti-MoBB e.V. – muss jedoch bis heute Medikamente nehmen. Dass die Mobbing-Erlebnisse noch immer an ihm nagen, war Hesse auch während der gesamten Sendung anzumerken. Kein Wunder: Die Opfer seien traumatisiert, könnten das Erlebte meist nie loswerden, lautete das beklemmende Fazit von Frank.

Will hakte trotzdem nach: Warum sei er nicht eher ausgestiegen? Hesses Antwort: Er habe bei jedem Chefwechsel auf Besserung gehofft – bis ein Vorgesetzter ihm nach Gesprächen mit dem Vorstand deutlich gemacht hätte: "Sie werden hier nie wieder eine Beschäftigung finden". Überwunden scheint die Mobbing-Erfahrung noch immer nicht zu sein: Bei den Vorbereitungen zur Sendung sei alles noch einmal in ihm hochgekommen, sagte Hesse.

Verhalten skeptisch Hesse gegenüber blieb auch Gerster, der wissen wollte, warum denn alle wichtigen Personen im Unternehmen gegen ihn gewesen seien? Es habe sich keiner mit dem Vorstand anlegen wollen, betonte Hesse. Selbst der Personalrat habe gemobbt – aus Angst, den Job zu verlieren. Den Rat von Gerster, die Mobbing-Aktivitäten genau zu protokollieren, wies Hesse von sich. Weil er genau das getan habe, habe er viele Anschuldigungen entkräften und verhindern können, gekündigt zu werden. An seiner Lage habe das jedoch nichts geändert.

Hilfe von Unbeteiligten notwendig

Gerster blieb allerdings dabei: Wer unter Mobbing-Attacken zu leiden habe, sollte in jedem Fall nach Unbeteiligten suchen, die Hinweise geben könnten, wo der eigene Anteil an den Angriffen liegen könnte

Und Frank bestätigte: Eine Unterbrechung des Teufelskreises von außen sei unbedingt notwendig, um die Opfer wieder handlungsfähig zu machen. Das könne zum Beispiel durch die Unterstützung eines Therapeuten oder den Aufenthalt in einer Tagesklinik geschehen.

Anne Will fühlte aber auch Gerster auf den Zahn. Der Unternehmensberater musste 2004 als BA-Leiter gehen, weil man ihm illegale Auftragsvergabe vorwarf. Dass er am Ende entlastet wurde, änderte daran nichts. Gerster behauptete allerdings nicht, gemobbt worden zu seien. Aber: Er sei auf seiner damaligen Position ein "Störfaktor" gewesen, erläuterte er. Es sei ein Rollenspiel gewesen, das er nicht habe gewinnen können.

Arbeitsrechtliche Aspekte wurden nicht beleuchtet

Leider kamen die arbeitsrechtlichen Aspekte des Themas überhaupt nicht zur Sprache. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nämlich für den Schutz der Persönlichkeit und der Gesundheit seiner Mitarbeiter verantwortlich (BGB Paragraf 241 Absatz 2). Bei nachgewiesenem Mobbing haftet der Chef – auch wenn er nicht selbst der Intrigant war. Es reicht, dass er die Missstände in seinem Betrieb nicht unterbunden hat. Allerdings muss das Opfer vorher darauf aufmerksam gemacht haben und dem Arbeitgeber eine Frist einräumen, um den Psychospielen ein Ende zu bereiten.

Bleibt der Chef untätig, kann der Geschädigte Schadenersatz, Schmerzensgeld und gegebenenfalls den Ausgleich für einen Verdienstausfall einklagen (BAG, Az.: 8 AZR 593/06). Zudem müssen laut Betriebsverfassungsgesetz (Paragraf 75 Absatz 2) Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer schützen und fördern.

Will schloss ihren Talk ziemlich abrupt und versäumte es, die Ergebnisse ihrer Runde auf den Punkt zu bringen – was wünschenswert gewesen wäre.

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