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Zum journalistischen Leitbild von t-online.RAF-"Tatort" aus Stuttgart Wie vertrauenswürdig ist unser Verfassungsschutz?
Der "Deutsche Herbst" der RAF jährt sich dieser Tage zum 40. Mal. Noch immer liegt Vieles im Argen. Der "Tatort": "Der rote Schatten" stellt unbequeme Fragen. Existiert der deutsche Rechtsstaat etwa nur auf dem Papier?
Der allwöchentliche Ausflug ins Krimi-Genre verlangt dem Zuschauer an diesem Sonntag Einiges ab, denn Regisseur Dominik Graf hat sich vorgenommen, die Schlamperei der Staatsorgane während der RAF-Zeit zu beleuchten. Der Anfang überzeugt in gewohnter Krimi-Manier: Eine weibliche Leiche liegt im Kofferraum eines Unfallwagens, ein Arm hängt baumelnd heraus. Der mutmaßliche Mörder (Oliver Reinhard) sitzt bereits in Handschellen im Polizeiwagen: Ehemann tötet Ehefrau, die ihn wegen eines anderen Kerls verlassen hat. Der Fall scheint offensichtlich geklärt.
Doch weit gefehlt, denn die Tote ist behördlich erfasst und bereits obduziert worden. Im Bericht des Pathologen steht: Tod durch Ertrinken in der Badewanne. Der trauernde Ehemann will nur eins: aufdecken, was die staatlichen Behörden wohl versuchen zu vertuschen. Für den Tod seiner Ex-Frau macht der Witwer ein ehemaliges RAF-Mitglied, den zwielichtigen Frauenhelden Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) verantwortlich.
Das ewige Rätsel um Stammheim
Für die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) wird der Fall, der auf mehreren Zeitebenen spielt, von Minute zu Minute verworrener und auch der Zuschauer ist plötzlich mittendrin - in diesem Komplott aus nationalen Intrigen, V-Männern und jener sagenumwobenen Todesnacht von Stammheim im Oktober 1977, in der die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nach offiziellen Angaben Suizid begingen. Oder war es doch staatlich organisierter Mord? Wer weiß das schon? Die "Tatort"-Macher jedenfalls nicht.
Für sich genommen ist die Thematik um das Rätsel der Stammheim-Toten ebenso spannend wie politisch brisant, die Inszenierung von "Der rote Schatten" aber verkommt vor diesem Hintergrund zu einem TV-technischen Kraftakt. All diese Rückblenden und filmischen Kniffe, zu denen sich Graf und seine Crew hartnäckig hinreißen lassen, muten anfangs groß und geschichtsträchtig an, doch geben sie dem Zuschauer kaum Zeit, das Gesehene auf sich wirken zu lassen und lenken bei genauerer Betrachtung vom eigentlichen Plot ab - der Toten in der Wanne, deren Mord ganz offensichtlich vertuscht werden soll.
Wild und konfus werden echte Zeitschnipsel aneinandergeschnitten, Dialoge übereinandergelegt und zwischen verschiedenen Ebenen hin- und hergewechselt. Auch wenn diese dokumentarischen, noch immer hochaktuellen Rückblenden die Handlung mit Authentizität unterfüttern sollen, verhindern sie doch nur den Fluss der Geschichte und rücken den Mord am Badewannen-Opfer, den es ja immer noch aufzuklären gilt, vollkommen in den Hintergrund. Wie jüngstes Zeitgeschehen auf diese Machart packender aufbereitet wird, hat Regisseur Oliver Stone schon vor Jahren mit "JFK" eindrucksvoll bewiesen.
Die letzten Tage des "Deutschen Herbstes"
Der neue Stuttgarter "Tatort" ist vor allem eines: anstrengend. Die Inszenierung hinkt dem anspruchsvollen Inhalt weit hinterher. Bis zum Schluss versucht "Der rote Schatten" zu zeigen, wie schlau er doch ist, entlarvt sich dabei aber permanent selbst. Obwohl über die letzten Tage des "Deutschen Herbstes" viel spekuliert wird, bleiben mutige Antworten aus. Kann alles sein, muss es aber nicht. Vielleicht hat Bader sich mit einer Knarre selbst in den Kopf geschossen, vielleicht auch nicht, vielleicht hat Ensslin sich am Zellengitter erhängt, vielleicht auch nicht. Wie kamen die Waffen wirklich in die Zellen? Was wussten die Politiker?
Falls Sie wissen möchten, wie es sich anfühlt, wenn zehn Handlungsstränge zeitgleich erzählt werden, schalten Sie diesen RAF-Krimi gern ein! Alle anderen lesen lieber ein Buch über das Ende der Roten Armee Fraktion.
Fazit:
Politdiskurs: 10 von 10 Punkten. Inszenierung: 6 von 10 Punkten.
Kleine Bemerkung am Rande: Warum sind im "Tatort" immer öfter barbusige Frauen zu sehen? Hat es für die Handlung irgendeinen Mehrwert, wenn Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) ihre blanken Brüste zeigt? Hübsch anzusehen sind sie ja, aber was ist der tiefere Zweck? Vielleicht ziehen beim nächsten Fall ja mal Lannert und Bootz blank.