"Borowski und der stille Gast" "Tatort": Wenn der Postmann gar nicht klingelt - und zum Mörder wird
"Er ist wieder in meiner Wohnung. Er kommt einfach durch die Wand..." Mit diesem mysteriösen Notruf begann der "Tatort" aus Kiel am Sonntag. Doch der Fall blieb für den Zuschauer nicht lange mysteriös. Schon nach wenigen Minuten war klar, dass der harmlos wirkende Briefträger der Täter ist. Statt ein Ratespiel zu inszenieren, blieb der Krimi lieber dicht am Mörder - und war trotzdem so spannend und gruselig wie schon lange kein "Tatort" mehr. Zudem wartete er am Ende mit einer Besonderheit auf: Der Täter konnte entkommen.
Damit brach der "Tatort" mit dem ungeschriebenen Gesetz, demzufolge am Ende der Täter (hier gespielt von Lars Eidinger) seiner gerechten Strafe zugeführt wird und die Welt sonntags um 21:45 Uhr wieder in Ordnung ist.
"Wir wollten ein 'Tatort'-Grundgesetz auf den Prüfstand stellen, ja, vielleicht absichtlich mal durchbrechen", hatte Regisseur Christian Alvart im Vorfeld der "BamS" gesagt. "Klar, es ist ungewöhnlich, aber künstlerisch interessant." Und es bietet die Möglichkeit einer Fortsetzung der Geschichte: "In erster Linie ist es die Option, Lars Eidinger noch einmal in einem 'Tatort‘ zu sehen", so der Regisseur, "wenn auch nicht zeitnah, aber irgendwann." Das wäre neu für die Kult-Krimireihe. Was halten Sie von dieser Idee? Stimmen Sie rechts ab!
Eiskalte Schauer
Nicht neu dagegen waren der Täter und der Fall an sich: Ein schüchterner Voyeur beobachtete Frauen, in die er sich verguckt hatte, und tötete diese schließlich im Affekt. Doch den Täter - überragend gespielt von Lars Eidinger - dabei zu beobachten, wie dieser wiederum seine Opfer beobachtet, wie er sich ihnen annähert und in ihrem Leben einnistet, das war überaus spannend anzusehen und jagte einem eiskalte Schauer über den Rücken.
Langsame, genüssliche Kameraführung
Statt mit schnellen Schnitten bestach der "Tatort" durch eine langsame, genüssliche Kameraführung, die sich in den Täter einfühlte und seine Sicht auf die Frauen nachahmte. Durch Großaufnahmen - etwa des Mundes, des Halses, der Haare der Frauen - konnte der Zuschauer förmlich nachempfinden, was den schüchternen Postboten Kai Korthals betörte.
Selten war dabei der Titel eines "Tatorts" so treffend gewählt wie in "Borowski und der stille Gast", denn genau das war der zurückhaltende Frauenverfolger: ein stiller Gast, der sich per Nachschlüssel in die Wohnungen seiner Angebeteten schlich, sich mit ihren Zahnbürsten die Zähne putzte, mit erotischer Hingabe in ihr Essen biss, an ihrer Kleidung schnüffelte, ihre Post öffnete und sie sogar beim Duschen heimsuchte, ohne entdeckt zu werden.
Betroffen von den Avancen des Postboten war - natürlich - auch Kommissarin Sarah Brandt (Sibel Kekilli). Ohne persönliche Einbeziehung der Kommissare in den Fall geht ja im "Tatort" bekanntlich nichts. Dieses häufig überreizte Stilmittel war hier zwar einigermaßen sinnvoll eingesetzt, dennoch aber würde man sich wünschen, dass ein Fall für die Kommissare auch einfach mal nur ein Fall ist - und keine persönliche Bedrohung.
Konflikt zwischen den Kommissaren
Dafür aber wurde endlich Brandts Geheimnis enthüllt: Sah man schon im letzten Kieler "Tatort", dass die Polizistin scheinbar unter Anfällen leidet, wurde nun geklärt, dass sie Epileptikerin ist. Doch als solche dürfte sie eigentlich gar nicht im Außendienst der Polizei tätig sein. Deshalb behält sie ihre Erkrankung für sich. Borowski (Axel Milberg) aber, der zufällig Zeuge eines Anfalls wurde und die Erkrankung eigentlich melden müsste, steht nun zwischen den Stühlen.
Umso mehr, nachdem er am Ende des Krimis entdeckt hat, dass Brandts Epilepsie indirekt für den Tod seines schwedischen Kollegen und Freundes Enberg verantwortlich ist. Denn im zurückliegenden Fall "Borowski und der coole Hund" hatte ein Anfall Brandt davon abgehalten, mit Enberg auszugehen - und der lief daraufhin in eine Falle und starb. Ob Borowski das seiner Partnerin verzeihen wird? Am Ende des "Tatorts" sah es nicht danach aus...