Pop-Phänomen Warum es egal ist, wie das neue Album von Taylor Swift klingt
Taylor Swift ist eine der erfolgreichsten Musikerinnen aller Zeiten: Sie verkaufte mehr als 170 Millionen Tonträger, gewann zehn Grammys und ist laut dem Magazin "Time" einer der einflussreichsten Menschen der Welt. Nun bringt die Sängerin ihr sechstes Studioalbum "Reputation" heraus. Doch dabei geht es kaum um die Musik.
Eine der umsatzstärksten Tourneen des Jahrzehnts ("The 1989 World Tour"), die am meisten gewonnenen Billboard Music Awards (21 Stück) und laut dem Magazin "Forbes" eine der am besten verdienenden Frauen im Musikgeschäft: Taylor Swift ist der Rekord-Popstar des Planeten.
Es ist nicht möglich, an ihren Radio-Hits vorbeizukommen, "Shake It Off" von 2014 kennt wohl jeder: Spätestens mit dieser Single aus ihrem Erfolgsalbum "1989" (Swifts Geburtsjahr) stieg das ehemalige Country-Küken aus einem Kaff in Pennsylvania endgültig in den Pop-Olymp auf.
Popmusik heute muss man gut "sharen" können
Nun hat die Künstlerin das wohl sehnlichst erwartete Album des Jahres 2017 veröffentlicht: Ihr sechstes Studioalbum "Reputation" (zu Deutsch: Ruf, Ansehen). Und natürlich ist das perfekt produziert, clever getextet – lauter lupenreine Ohrwürmer. Aber eigentlich ist es fast egal, wie Swifts neue Platte klingt, denn um Musik geht es nur vordergründig. Popmusik ist heute eine Art Merchandise: Es zählt der Satz, den man twittern kann, die Szene aus dem Musikvideo, aus der man ein Gif basteln kann, die Optik, die man als Haltung aussehen lassen kann.
Die anderen – und viel Selbstbespiegelung
Bei der Musik von Taylor Swift geht es immer schon um Taylor Swift. Deswegen ist sie der Popstar der Stunde: Sie liefert den Soundtrack für die selbstbezogene Instagram-Generation, deren Lieblingsthema sie selbst ist. Die 15 Songs auf "Reputation" sind dementsprechend eine Inventur der vergangenen drei Jahre.
Weil sie darin ihre Liebschaften besingt, stürzt sich die Öffentlichkeit ohnehin meist auf die Texte der Songwriterin – als hätten Bühnengrößen nicht schon immer von Herz und Hose gesungen. Und doch: Würde eine Künstlerin, deren Persona und Privatleben nicht so medientauglich sind wie jene von Swift, Swifts Lieder singen, wären diese vermutlich nicht mal halb so interessant.
Marke, Marketing und moderner Feminismus
Spannend an Swift ist aber vor allem, dass sie eben kein eindimensionaler Popstar ist: Sie ist selbstbestimmt in einem von Männern dominierten Business, engagiert sich gegen sexuelle Belästigung, ist Postergirl für einen modernen Feminismus.
Taylor Swift ist mehr als ein Mensch. Sie ist eine Marke, eine Marketingmaschine: Tickets für ihre US-Tour gibt es nur auf einer eigens dafür gegründeten Plattform namens "Taylor Swift Tix", die App "The Swift Life" soll vor Weihnachten 2017 folgen. An Markenrechten für einzelne Liedzeilen, die sie hat patentieren lassen, verdient sie mal eben auch noch. Das zeugt von Geschäftssinn – der bei Allerweltssätzen wie "Nice to meet you, where you been?" (aus dem Song "Blank Space") ins Absurde driftet.
Die Meisterin der Selbstvermarktung
Im Vorfeld anhören konnte man "Reputation" als Journalist übrigens nicht, geschweige denn ein Interview mit Swift führen, weil sie das schlicht nicht nötig hat – Promo nimmt man als Popstar heute selbst in die Hand, dafür gibt es ausgeklügelte Social-Media-Strategien. So wie zum Beispiel die, alle Fotos vom Instagram-Account zu löschen (so geschehen Mitte August), sodass sich Medien und Fans tagelang mit Spekulationen überschlagen, was Taylor Swift uns mit der Tabula-Rasa-Aktion sagen will. Kaum eine beherrscht dieses Spiel wie sie.
Die neue Swift und das alte Lied vom good girl gone bad
Mit dem Video zur Leadsingle "Look What You Made Me Do" vom August (ein weiterer Rekord: 43 Millionen Aufrufe innerhalb von 24 Stunden auf YouTube; Stand 10. November 2017: rund 690 Millionen Aufrufe) leitete sie einen Imagewechsel ein: Der Everybody’s Darling mimt nun ein böses Mädchen. Diese Idee hatten vor ihr schon Britney Spears und Christina Aguilera und Rihanna und Miley Cyrus und und und...
Humorvoll auf den Punkt gebracht hat diesen Drahtseilakt zwischen dem Girl next door und dem Racheengel der Nutzer @Scarlet4UrMa, der auf Twitter frei übersetzt schrieb: "So unangenehm, Taylor Swift dabei zuzuschauen, wie sie versucht, die 'bad bitch' zu sein, während sie immer noch wie das Mädchen aus der Schule aussieht, das verrückt nach Pferden war."
Pöbelei in Trump-Manier
Die neue Taylor teilt aus. Das hat sich die Popmusik aus dem HipHop abgeschaut: Ständig wittert man einen Grund, beleidigt zu sein, es wird gedisst und zurückgedisst, wobei man stets darum bemüht ist, klarzustellen, dass man selbst voll cool ist, während jemand anderes voll doof ist. Das sind im Fall von Taylor Swift meistens Katy Perry, Kanye West oder irgendein Verflossener.
Deswegen passt Taylor Swift auch so gut in die Trump-Ära. Während der Präsidentschaftswahl 2016 bezog sie nicht Stellung im Gegensatz zu Pop-Giganten wie Beyoncé, Lady Gaga oder Miley Cyrus, die sich allesamt für Hillary Clinton einsetzten. Von rechtsextremistischen US-Amerikanerin der Alt-Right-Bewegung ("Alternative Rechte") wurde sie im Zuge dessen als "arische Göttin" auserkoren: weiß, blond, makellos. Dafür kann Swift nichts.
Popstar mit Haltung?
Aber sie kann etwas dafür, dass sie sich nicht öffentlich von Neo-Nazis und Rassisten distanziert. Aus Politik hält sie sich raus, das ist für die Marke Swift zu brenzlig: Mit Politik kann man sich unbeliebt machen – und unbeliebt sein ist Gift für ein massentaugliches, millionenschweres Unternehmen. Swift singt lieber über Swift. Immerhin hat sie jetzt gegen einen Blog geklagt, der sie mit Hitler verglichen hat.
Mal angenommen, es ist das Jahr 2037 und man blickt auf Pop dieser Tage zurück: Wofür wird man sich an sie erinnern? Wofür steht Taylor Swift? Für sich selbst. Fair enough. Man kann es feministisch nennen.