Radsport Rüdiger Selig: "Leopard war keine Alternative für mich"
Das Interview führte Michael Wiedersich
Rüdiger Selig, 23-jähriger Sprintspezialist beim russischen Top-Team Katusha von Teamchef Hans-Michael Holczer, bestreitet seine erste Saison als Radprofi. Nach seinem vierten Platz bei der letztjährigen Straßen-WM der Klasse U23 gewann er als Stagiaire (Radsport-Praktikant) beim Team Leopard-Trek Anfang Oktober 2011 den belgischen Halbklassiker Binche-Tournai-Binche.
Im Interview mit t-online.de spricht er über seine ersten Erfolgserlebnisse als Profi, seinen Sprinttrainer Erik Zabel und den Kopfstein-Klassiker Paris-Roubaix, an dem er trotz geprellter Handgelenke und einem genähten Ellenbogen teilnimmt.
Herr Selig, wie ist die Saison bislang für Sie verlaufen?
Durchwachsen. Die Form passt schon und wird nach und nach besser. Die Rundfahrten in Katar und im Oman waren ein guter Einstieg für mich. Durch die schnellen Rennen konnte man dort viel lernen.
Eine Steigerung zur letzten Saison ist durchaus zu sehen. Sie fahren nun auch in einer anderen Liga. Letztes Jahr noch U23-Fahrer, Vierter bei der WM der U23-Klasse, jetzt beim ProTour-Team Katusha vom Hans-Michael Holczer, was hat sich geändert?
Die Rennen sind auf jeden Fall härter, länger, intensiver, machen aber auch viel Spaß.
Nach den Etappenrennen in Katar und Oman sind Sie in Belgien gefahren, wie war es?
Belgien ist ein cooles Land, das ich sehr sympathisch finde. Die Rennen dort werden sehr offen gefahren, nach dem Start geht es gleich los, da gibt es nicht viel Taktik, sondern da wird so lange gefahren, bis keiner mehr kann. Ich denke, nächstes Jahr werde ich die Strecken schon besser kennen als in dieser Saison. Bei den Rennen in Belgien sind Streckenkenntnisse sehr wichtig. Das sieht man ja auch bei den anderen deutschen Rennfahrern wie Andreas Klier oder Robert Wagner, die kennen sich da sehr gut aus und wissen dann auch, wann man vorne fahren muss.
Bei den Etappenankünften in Katar und dem Oman konnten Sie sich mit vorderen Platzierungen zeigen. In Katar wurden Sie auf der 3. Etappe Siebter, auf der 5. Etappe Fünfter und im Oman einmal Zwölfter. In Belgien gab es diese Platzierungen nicht, was war los?
In Katar war ich richtig vorne dabei. Das war mal zum Antesten. Dort konnte ich mich zeigen, damit man sieht, okay, der hat Druck und kann Platzierungen einfahren. In Belgien stand dann die Arbeit für das Team im Mittelpunkt.
Nun stehen in den nächsten Wochen die großen Klassiker an, werden Sie da eingesetzt?
Fest steht für mich die Teilnahme bei Paris-Roubaix. Gleich im ersten Jahr bei den Profis darf ich an diesem Highlight teilnehmen, da freue ich mich sehr drauf. Das wird ein hartes Rennen. Darauf bereiten wir uns hier in der Nähe von Berlin ein wenig vor. Da gibt es ein paar lange Strecken, wo man nur über Kopfsteinpflaster fahren kann, das üben hier schon einmal ein wenig. Das liegt mir auch, denke ich.
Wie sieht der Rennplan bis Paris-Roubaix und die unmittelbare Vorbereitung auf den Klassiker aus?
Nach den Drei Tagen von de Panne und dem Schelde-Preis, der für mich mit einem Sturz und geprellten Handgelenken unglücklich endete, sind wir die entscheidenden Streckenteile von Paris-Roubaix zusammen mit unserem Sportlichen Leiter Torsten Schmidt abgefahren. Dabei konnte ich dann noch etwas von meinen erfahrenen Teamkollegen wie Luca Paolini lernen.
Sie haben als Stagiaire (Radsport-Praktikant) im letzten Jahr beim Super-Team Leopard-Trek um die Schleck-Brüder, Fabian Cancellara und Jens Voigt erste Profi-Erfahrungen gesammelt. Jetzt stehen Sie beim russischen Team Katusha von Hans-Michael Holczer unter Vertrag. Wären Sie lieber bei Leopard geblieben?
Leopard und Katusha nehmen sich nicht so viel, sie fahren auf jeden Fall in der gleichen Liga. Ich hatte mich riesig gefreut, dass ich für Leopard im letzten Jahr fahren durfte. Aber Leopard war jetzt keine Alternative für mich, dort ist ein anderes Teamgefühl und mit dem neuen Teamchef Johan Bruyneel hatte ich auch keinen Kontakt. Mit Teamchef Hans-Michael Holczer und den anderen deutschen Sportlichen Leitern im Team bin ich, glaube ich, auf einem guten Weg, voran zu kommen im Profigeschäft.
Hat denn Katusha für Sie in diesem Jahr die Teilnahme an einer der großen Rundfahrten geplant?
Ich werde in kleineren Rundfahrten wie der Bayern-Rundfahrt, einigen deutschen Rennen und auch der Eneco-Tour oder der Tour of Beijing in China eingesetzt. Aber Rennen wie die Tour de France, Giro d’Italia oder die Spanien-Rundfahrt kommen für mich noch zu früh. Man braucht ja auch noch einen Anreiz, ein Ziel vor Augen, wie zum Beispiel, in drei Jahren fahre ich die Vuelta.
Wenn man jetzt die drei Jahre weiter denkt, wo sehen Sie sich da?
Ich hoffe, immer noch im Profi-Peloton. Die Vuelta ist ein großes Ziel, die Tour de France sehe ich noch nicht, aber es hängt auch alles ein wenig von meiner persönlichen Entwicklung ab.
Aber bei einer Tour de France sehen Sie sich schon?
Irgendwann schon. Unser Sprint-Trainer Erik Zabel hält uns immer sehr gut vor Augen, dass die Tour das Größte ist, da will man schon einmal hin.
Haben Sie denn sehr viel Kontakt mit Erik Zabel, sprechen sie viel miteinander?
Ja, er ist ja Sprinttrainer in unserem Team und da ich ja zur Klassiker- und Sprint-Fraktion in unserem Team gehöre, ist da sehr viel Kontakt. Wir kommen hervorragend miteinander klar und ich kann sehr viel von ihm lernen.
Wie muss man sich die Tätigkeit von Erik Zabel vorstellen. Gibt er Ihnen Trainingsvorgaben, macht er Videoanalysen, wie geht er da vor?
Im ersten Trainingslager in der Toskana hatte er uns beispielsweise Videoaufnahmen von Etappenankünften bei der Tour de France gezeigt. Anschließend haben wir die Zielsprints ausgewertet und erklärt bekommen, wie man einen Sprinterzug richtig eröffnet, wie man am besten die Kurven im Finale so fährt, das man sich dabei nicht teamintern im Weg steht. Außerdem gab es nützliche Tipps für den Sprint wie Beobachtung der Gegner und der Windverhältnisse. Es ist schon sehr hilfreich, wenn man jemanden wie Erik Zabel an seiner Seite weiß, der schon einige Male das Grüne Trikot der Tour de France gewonnen hat.
Die Jedermann-Szene im Radsport boomt nach wie vor, viele Rennen wieder der Škoda Velothon in Berlin mit über 13.000 oder die Cyclassics in Hamburg mit über 20.000 Teilnehmern sprechen eine deutliche Sprache. Sicherlich sehen Sie bei Ihren Trainingsfahrten immer viele ambitionierte Hobby-Rennfahrer. Haben Sie einen Tipp, was diese noch besser machen können?
Mein Rat wäre, dass die Jedermann-Fahrer gerade in Rennen ein besseres Gruppenverhältnis bilden, geordneter fahren und dies im Training auch üben. Vielleicht hilft es, sich einmal mit ein paar Profis zu treffen und sich dort ein paar Tipps abzuholen.