Doping-Forscher Simon "In Sotschi wird in allen Sportarten gedopt"
Von Johann Schicklinski
Lange war es im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi verdächtig ruhig um das Thema Doping. Den kompletten Winter über wurden keine größeren Verstöße bekannt, bis kurz vor Beginn der Spiele drei russische Biathlon-Sportler entlarvt wurden, was für einige Aufmerksamkeit sorgte. Geht es nach dem Mainzer Dopingforscher Prof. Dr. Dr. Perikles Simon, sind die nun bekannt gewordenen Fälle allerdings nur die Spitze des Eisbergs. "Nun wurden zwar drei Biathleten überführt, aber wir bewegen uns damit beim Prozentsatz der erwischten Dopingsünder weiter im Promille-Bereich", sagt Simon im Gespräch mit t-online.de.
"Warum es den ganzen Olympia-Winter über so ruhig um das Thema war, kann ich mir auch nicht erklären", so der Mediziner weiter. "Das ist ein Phänomen, das ich von vergangenen Sportgroßereignissen so nicht kenne."
"Bis zu 60 Prozent der Teilnehmer werden gedopt sein"
Simon geht davon aus, dass die Spiele in Sotschi dopingverseucht sein werden – und nennt eine erschreckende Größenordnung. "Bis zu 60 Prozent aller Olympia-Teilnehmer werden gedopt sein, quer durch alle Sportarten", prophezeit der Forscher. Dabei würden selbst in Fun- oder Trendsportarten Teile der Athleten ihrer Leistung auf verbotene Art und Weise auf die Sprünge helfen: "Es wäre verrückt anzunehmen, dass zum Beispiel im Curling oder im Freestyle nicht gedopt wird. Mit modernen pharmakologischen Möglichkeiten kann ich in allen Sportarten einen leistungssteigernden Effekt erzielen."
"In Sotschi wird in allen Sportarten gedopt werden"
Simon kündigt somit schlechte Zeiten für all jene Sportfans an, die für die Winterspiele auf ehrliche Wettkämpfe hoffen: "Wir gehen heutzutage davon aus, dass nahezu jede Sportart anfällig für Doping ist. Deshalb denke ich, dass in Sotschi in allen Sportarten der Leistung auf unerlaubte Art und Weise nachgeholfen wird."
Brisante Schlussfolgerung
Die Formkurve der deutschen Starter in Ausdauersportarten wie Biathlon, Eisschnelllauf oder der Nordischen Kombination, die in den letzten Wochen vor Beginn der Winterspiele in den Weltcups für Furore sorgten, betrachtet Simon mit Argwohn. "Ich will keinem etwas unterstellen, aber eine derartige Leistungsexplosion widerspricht eigentlich der Trainingslehre und auch der sportlichen Praxis des gehobenen Jugend- und Juniorenelitebereichs. Diese noch nicht voll ausgereizten Sportler schaffen komischerweise nicht solche Leistungssprünge", analysiert Simon und zieht eine brisante Schlussfolgerung. "Es scheint mir so, als würden die Profis in den ersten Wettkämpfen Leistungsschwäche vortäuschen."
In die Rekordzahl an Doping-Kontrollen, die rund um die Winterspiele geplant sind, legt Simon indes nicht viel Hoffnung. Rund 2500 Tests sollen laut einer Ankündigung des IOC bis zum Schlusstag durchgeführt worden sein. Eine Zahl, die IOC-Präsident Dr. Thomas Bach mit Stolz erfüllt. "Wir werden im Kampf gegen Doping klüger und hartnäckiger sein, als jemals bei Winterspielen zuvor", hatte der Funktionär angekündigt.
"Wir brauchen eine Rekord an Effizienz"
Simon ist da konträrer Meinung: "Das ist ein ehrenwerter Ansatz, der aber mit Leben gefüllt werden muss. Schließlich werden auch die Doper klüger und hartnäckiger agieren als jemals zuvor." Ohnehin sei die reine Zahl wenig aussagekräftig, so der 40-Jährige weiter: "Rekordtests sind nichts Neues, bei allen Olympischen Spielen wurden die Zahlen gesteigert. Was wir brauchen, ist ein Rekord an Effizienz, so dass die Doper auch überführt werden."
Falls die Kontroll-Offensive tatsächlich zu einem Erfolg führt und in Sotschi ein prominenter Dopingsünder erwischt werden würde, wäre dies für Simon nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: "Ich weiß nicht, ob ich mich dann sonderlich freuen könnte. Denn im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass den Dopingfahndern viele andere gedopte Sportler durch das Raster gerutscht sind."
Doch der Sportmediziner rechnet ohnehin nicht damit, dass es soweit kommt: "Es wird in Sotschi nicht viele Dopingfälle geben. Ich rechne mit ein oder zwei Fällen, mehr nicht."