Dopingforscher Simon warnt "Situation im Spitzensport ist ein Traum für Kriminelle"
Von Johann Schicklinski
Im Gespräch mit t-online.de erklärt Simon, warum er im Bereich der Dopingkontrollen eine Reform für unabdingbar hält, was er von der angekündigten Kooperation russischer Behörden mit der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hält und warum er nicht an eine "neue Sauberkeit" unter den deutschen Radprofis glaubt.
t-online.de: Herr Simon, Sie plädieren im Kampf gegen Doping für einen ungewöhnlichen Ansatz: Athleten sollen sich in einer Gewerkschaft organisieren, um Druck auf die Verbände und Organisationen ausüben zu können, die für die Dopingkontrollen zuständig sind. Dadurch soll eine "Kontrolle der Kontrolle" erreicht werden. Für wie realistisch halten Sie es, dass es zu einem solchen Zusammenschluss der Sportler kommt?
Perikles Simon: Das sind natürlich zurzeit unrealistische Forderungen, die aber logisch gut begründbar sind. Zunächst einmal muss man ja nicht einmal die Kontrolle kontrollieren, man müsste erst einmal ermöglichen, dass die Kontrolle überhaupt kontrollieren kann und will. Ich glaube, dass sich auf der Athleten-Seite etwas tut. Ich habe Rückmeldungen erhalten, dass Sportler daran Interesse haben und sich das durchaus vorstellen können. Allerdings glaube ich nicht, dass auf institutioneller Seite beim Thema Anti-Doping-Kampf ein großer Reformwille vorherrscht.
Warum halten Sie diese "Kontrolle der Kontrolle" oder zumindest deren kontrollierte Reform für notwendig?
Für die wenigen Leute, die im Spitzensport kriminell agieren, ist die jetzige Situation ein Traum. Es gibt praktisch keine Selbstkontrolle, es gibt keine Gewaltenteilung, sie können in Personalunion an verschiedenen neuralgischen Punkten wirken: Anti-Doping-Tests, Verbandstätigkeiten, Exekutivfunktionen - im negativen Fall beinhaltet diese auch gleich die Bestechung – und das über Ländergrenzen hinweg. Spätestens der Doping-Skandal in Russland sollte doch allen die Augen geöffnet und gezeigt haben, dass wir eine transparente Kontrolle über Grenzen hinweg brauchen. Eine Kontrolle nicht nur der Sportler, sondern auch der Kontrolleure. Doch die Tendenz, in diesem Bereich Änderungen herbeizuführen, geht meines Erachtens gegen Null.
Zuletzt stand wieder einmal der Biathlon-Sport am Pranger. Durch nachträgliche Tests konnte mehreren Athleten Doping nachgewiesen werden - bei den vier überführten Dopingsündern handelt es sich um drei russische und einen ukrainischen Sportler. Macht der Biathlon-Weltverband IBU jetzt ernst?
Ich würde das eher als "Anti-Anti-Doping-Offensive" bezeichnen, denn ich halte es für eine Maßnahme, die zur Beruhigung der Öffentlichkeit dient. Man hat bei der IBU offensichtlich festgestellt, dass man Dreck am Stecken hat und diesen beseitigen muss. Dort wussten die Verantwortlichen wohl schon länger, dass bestimmte Athleten nicht sauber sind. Deshalb hat man diese wohl noch einmal gezielt getestet. Nun hat der Verband für die Öffentlichkeit vier Dopingsünder, verweist stolz auf diese Alibi-Maßnahmen und kann sagen: "Seht her, wir tun etwas gegen Doping." Dabei hat der Verband nur das getan, was er schon längst hätte tun sollen.
Eine reine PR-Maßnahme seitens des Verbandes?
Es sieht bei den genannten Namen zumindest nach einem Bauernopfer aus. Es geht nur darum, den Schein zu wahren und sich im Nachhinein reinzuwaschen. Wer soll denn das bitte ernst nehmen? Diese Aktion ist bedenklich und lässt einen im Grunde verzweifeln.
Weil sich nichts ändern wird?
Das ist doch geradezu ein Signal, dass alles beim Alten bleibt – sprich der Verband höchstens auf Druck gegen dann meist offensichtliches Doping vorgeht. Wenn das einen vorsichtig dopenden Sportler nicht bei seinen unrechtmäßigen Aktivitäten bestärkt, dann weiß ich auch nicht.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass die italienische Staatsanwaltschaft seit längerer Zeit wegen angeblicher Dopingverstrickungen gegen den italienischen IBU-Vizepräsident Gottlieb Taschler und dessen Sohn Daniel ermittelt?
Das erstaunt mich nicht. Ich würde schätzen, dass das in ähnlicher Form bei den meisten Sportverbänden weltweit vorkommt. Alleine schon aufgrund der angesprochenen Struktur der mangelnden Selbstkontrolle fördert man genau diese Leute, die den Betrug suchen, denn sie sind genau in so einem System erfolgreich.
Es ist ja nicht nur ein Problem des Biathlons, sondern auch der Leichtathletik und weiterer Sportarten in Osteuropa und speziell in Russland. Die russischen Behörden haben Ende Dezember angekündigt, künftig enger mit der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA kooperieren zu wollen. Sehen Sie da einen ernsthaften Reformwillen?
Das klingt für mich eher nach einer "Allianz des Schreckens". Ich würde den Blick gerne auf die WADA wenden, denn die Frage, die sich mir aufdrängt, ist: Was wusste die WADA eigentlich und warum hat sie nicht früher reagiert? Die WADA setzt sich in ihrem obersten Kontrollausschuss überwiegend aus Verbandsfunktionären zusammen, was wiederum die Frage nach deren Unabhängigkeit aufwirft. Das dortige "Stakeholder"-Modell muss überdacht werden, denn sonst ist die WADA nicht unabhängig genug.
Robert Harting hat diese Problematik ja auch schon thematisiert und Änderungen gefordert. Sie stimmen mit ein?
Ja, ich muss Robert Harting Recht geben. Es darf nicht so weitergehen, es muss eine unabhängige Instanz gebildet werden.
Wie realistisch ist das in Ihren Augen?
Leider wird das in absehbarer Zeit nicht geschehen. In vielen Ländern genießt das Thema Anti-Doping-Kampf nicht absolute Priorität und ohne einen internationalen Konsens wird sich nichts ändern.
Evi Sachenbacher-Stehle wurde im letzten Jahr in Sotschi positiv auf die verbotene Stimulanz Methylhexanamin getestet. Sie schob das auf verunreinigten Tee. Ihre Sperre wurde dann im letzten Herbst von zwei Jahren auf sechs Monate reduziert. Sie hat zwischenzeitlich ihre Karriere beendet und erwägt nun eine Klage gegen die IBU. Wie bewerten Sie die ganze Personalie mit etwas Abstand?
Einen Tee mit einem Nahrungsergänzungsmittel muss sicherlich kein Sportler zu sich nehmen, es sei denn, man erwartet sich davon eine Wunderwirkung. Im Fall von Frau Sachenbacher-Stehle hatte dieser offensichtlich diese Wunderwirkung (lacht). Aber ernsthaft: Sie war Hochleistungssportlerin, stammt aus einer westlichen Industrienation und hatte über zehn Jahre Erfahrung in der absoluten Weltspitze. So bleibt für mich die Frage, warum ihr das passiert ist. Sportler merken ja normalerweise, wenn etwas auf die eigene Leistung einwirkt. Und Methylhexanamin hat so eine starke Wirkung, dass ein erfahrener Sportler das wahrnehmen muss.
Welche Erfahrung können noch aktive Athleten aus dieser Doping-Affäre mitnehmen?
Allgemein lässt sich sagen: Es ist allen Profi-Sportlern davon abzuraten, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, so sie nicht absolut von Nöten sind. Oft hat man im Hochleistungssport Scharlatane, die einem einfach nur behaupten: Nimm doch mal dies oder das, es wird deine Leistung steigern. Da sollte man als Athlet die Finger davon lassen.
Ein weiteres Thema, das in Zusammenhang mit Doping jüngst für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, ist die Ankündigung der ARD, die Live-Berichterstattung von der Tour de France wieder aufzunehmen. Dabei war der Senderverbund vor wenigen Jahren wegen zahlreicher Dopingskandale ausgestiegen. Anfang Januar wurde der Wiedereinstieg öffentlich gemacht, angeblich verbunden mit einer Ausstiegsklausel im Falle eines erneuten Dopingskandals. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Durch diese Klausel entsteht ein Druck auf Verbände und Veranstalter. Wenn ein Vergehen öffentlich wird, kommt es zu Repressalien. TV-Sender ziehen sich zurück, Geld geht verloren. Damit wächst der Druck, dass möglichst kein Vergehen aufgedeckt wird. Rein theoretisch fände ich deshalb eine Klausel besser, die im Falle eines positiven Dopingfalls beinhaltet, dass das ursprünglich für die Übertragung vorgesehene TV-Geld in den Anti-Doping-Kampf und damit auch in die Rehabilitation und in die Zukunftsausrichtung der betroffenen Sportart gesteckt wird. Damit würden die TV-Sender mehr Verantwortung übernehmen, anstatt nur Druck weiterzugeben, der letztendlich doch beim Athleten landet.
Ist der Schritt der ARD für sie nachvollziehbar?
Den Schritt zuvor finde ich eher interessant. Denn konsequenterweise hätte die Entscheidung, aus der Tour-de-France-Berichterstattung auszusteigen, mit sich bringen müssen, aus der Berichterstattung über alle olympischen Sportarten auszusteigen. So richtig plausibel war es für mich nicht, warum Radsport nicht mehr übertragen wurde, beispielsweise Biathlon, Triathlon oder auch Leichtathletik schon.
Die deutschen Radprofis wie Marcel Kittel oder Tony Martin, die in den letzten Jahren speziell bei der Tour de France sehr erfolgreich waren, präsentieren sich immer wieder auch als Vorkämpfer im Anti-Doping-Kampf und stehen in der Öffentlichkeit für die "neue Sauberkeit" des Radsports. Glauben Sie daran, dass zumindest unter den deutschen Fahrern ein Umdenken eingesetzt hat?
Ich finde es zumindest auffällig, wie gewisse Nationen immer in Zyklen erfolgreich sind. Bis vor kurzem waren es die Engländer, davor war es eine andere Nation, aktuell sind es wir Deutschen. Für mich als Außenstehenden ist das nicht wirklich plausibel. Liegt das an bestimmten Trainingsmethoden, an der Verlagerung von Geldern oder an etwas anderem? Hierzu müsste mich mal jemand aufklären. An ein generelles Umdenken, auch unter den deutschen Fahrern, glaube ich persönlich hingegen nicht mehr.
Wie könnten die deutschen Radprofis Sie von ihrer Sauberkeit überzeugen?
Öffentliches Beteuern der eigenen Unschuld befeuert zunächst einmal immer mein Misstrauen (lacht). Das reicht nicht aus. Ich fände es gut, wenn sich die deutschen Fahrer organisieren – vielleicht auch mit Radprofis aus anderen Ländern – und konkrete Maßnahmen in die Wege leiten, welche die Öffentlichkeit überzeugen. Das kann zum Beispiel das Bestreiken von Wettkämpfen oder Veranstaltungen sein, bei denen man vorher weiß, dass auch gedopte Sportler mit dabei sind. Es kann und darf auch sein und auch vom Zuschauer erwartet werden, dass Sportler ganz klare Forderungen entwickeln, die es sauberen Fahrern besser ermöglicht an Wettkämpfen überhaupt partizipieren zu können. Hierfür sollte man sich überlegen, wie man den Wettbewerb insgesamt so gestaltet, dass leistungssteigernde Verfahren deutlich schwerer durchzuführen sind und auch einen, relativ gesehen, möglichst geringen Einfluss auf das Abschneiden im Wettkampf haben. Wer bitte hat genau was in die Sauberkeit des Radsports investiert, seit wir wissen, dass ganze Radsportteams mit allem, was angeblich nachweisbar ist, die Tour wiederholte Male durchradeln konnten? Genau was davon hat die Athleten verändert? Als organisierte Gemeinschaft hätten die Radprofis die Möglichkeit, Medien, Veranstalter oder Verbände unter Druck zu setzen gemeinsam an einer saubereren Zukunft zu arbeiten. Die Geschichte zeigt uns, dass Tour-de-France-Fahrer streiken können, wenn sie etwas wirklich interessiert. Zuletzt taten sie das bei der Tour 1998 im Rahmen des bislang größten Dopingskandals, der wohlgemerkt durch polizeiliche Ermittlungen ausgelöst wurde. Damals solidarisierten sie sich offen mit den gedopten Fahrern und mit den dopenden Teams. Seitdem warte ich vergeblich auf ein Zeichen, dass sich irgendetwas geändert haben könnte.