Mentaltrainer Ilias Moschos im Interview Mentalcoach verrät, wen er im Elfmeterschießen ranlassen würde
Am 12. Juni geht es endlich los. Dann beginnt die WM 2014 in Brasilien. Vor allem auf dem Gastgeber und fünfmaligen Weltmeister lastet ein enormer Druck. Die Brasilianer fordern von ihrer Selecao schließlich nicht weniger als den Titel. Aber auch die deutschen Fans haben ähnlich hohe Erwartungen an das Team von Bundestrainer Joachim Löw. Neben dem fußballerischen Können wird also auch die mentale Fitness eine große Rolle spielen. t-online.de hat sich mit Ilias Moschos unterhalten. Der anerkannte Persönlichkeits- und Verhaltenstrainer aus Krefeld ist Experte im Mentaltraining für Sportler.
t-online.de: Herr Moschos, Profis sind es ja eigentlich gewohnt, vor großer Kulisse zu spielen. Ist der Druck bei einer WM trotzdem ein ganz besonderer?
Ilias Moschos: Die WM ist ein weltweit mediales Ereignis, welches alle vier Jahre stattfindet und sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Beteiligten für eine große Erwartungshaltung sorgt. Abgesehen vom sportlichen Ruhm und Anerkennung geht es auch um Sponsorengelder, neue Verträge und ähnliches. Das sind Faktoren, die einen anderen, besonderen Druck erzeugen können.
Druck an sich gibt es ja gar nicht. Er entsteht bei jedem Einzelnen im Kopf. Was passiert da genau?
Er entsteht, wenn eine Situation oder ein Verhalten bewertet oder kognitiv interpretiert wird. Man nimmt etwas wahr, hat im ersten Moment keine Lösung parat oder kann auch nicht auf eine Erfahrung zurückgreifen. Es entsteht eine Stresssituation, die entweder Eustress, also positiven Stress, oder Disstress, negativen Stress, auslöst. Das wiederum ruft eine Anpassungsreaktion hervor, die für Druck sorgen kann. Druck muss nicht negativ sein. Er kann auch "pushen", wenn man gelernt hat damit umzugehen.
Was kann man ganz konkret tun während eines Turniers, um diesen Druck möglichst nicht an die Spieler heranzulassen?
Der Fokus sollte klar und eindeutig auf das Ziel ausgerichtet sein. Wichtig ist, sich der Teamstärken und der Stärken eines jeden Einzelnen bewusst zu sein, so dass man in einer Stresssituation eine Lösung parat hat, die erst gar keinen negativen Druck zulässt. Sowohl die körperliche als auch die mentale Fitness sind zu berücksichtigen. Das Team braucht einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung.
Wenn Sie sich den deutschen Kader so anschauen: Wer ist wirklich stressresistent und wer wirkt auf Sie weniger gefestigt?
Aus der Ferne ist es schwer bis unmöglich zu deuten, wer aktuell im deutschen Kader weniger gefestigt ist. Es gibt allerdings einen Spieler, den ich schon des Öfteren live erlebt habe und der für mich einen sehr gefestigten Eindruck macht, Philipp Lahm.
Wer ist besser gegen Druck gewappnet, der junge unbekümmerte Spieler oder der erfahrene Akteur, der weiß, was auf einen zukommt?
Auch das kann man pauschal nicht beantworten. Ausschlaggebend dafür ist, in welcher Situation und Verfassung sich ein Spieler befindet. Der erfahrene Spieler hat in der Regel einen kleinen Vorteil, doch wenn von der WM seine weitere Zukunft abhängt, kann dieser Punkt für negativen Druck sorgen.
Bei der EM 2012 stimmte die Chemie zwischen dem Bayern- und dem Dortmunder Block nicht, weil die Bayern überall nur Zweiter wurden, der BVB aber das Double gewann. Wie beurteilen Sie die jetzige Situation?
Ich bin mir sicher, dass bei der WM alle sehr professionell an die Sache gehen werden und sich der Tatsache bewusst sind, dass sie nur als eingeschworenes Team ein erfolgreiches Turnier spielen können. Jogi Löw wird mit seinem Team sicher die erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
Bei einer WM treffen Nationen mit unterschiedlichstem kulturellen Background aufeinander. Gibt es Teams, die von Haus aus einen Vorteil haben, weil Stress in ihrer Kultur eine andere Rolle spielt?
Man sagt südländischen Völkern nach, dass sie gelassener mit unerwarteten Situationen umgehen. Das dürfte bei dieser WM zumindest für die Brasilianer nicht gelten. Es ist unvorstellbar, im eigenen Land einen anderen Weltmeister zu küren. Der Druck bei den Brasilianern ist gewaltig und es wird sich zeigen, wie sie damit umgehen.
Deutschland steht im Endspiel und es geht ins Elfmeterschießen. Welche Spieler würden Sie schießen lassen?
Spontan fallen mir als Schützen Philipp Lahm, Thomas Müller, Toni Kroos, Lukas Podolski und eigentlich Marco Reus ein, doch der fährt ja leider nicht mit.
Die obligatorische Frage: Wer wird Weltmeister und warum?
Sorry, aber hier muss ich wirklich passen. Meine Favoriten sind Brasilien, Deutschland, Argentinien und Spanien. Ich räume der deutschen Nationalmannschaft sehr große Chancen ein, weil sie eine Turniermannschaft ist, die Spieler sich sehr gut kennen und mental sehr stark sind. Es wird sich zeigen, wie gut die Sterne dafür stehen.
Das Interview führte Thomas Tamberg