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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Katar nach der WM Jetzt zeigt sich die Wahrheit
Die WM in Katar ist vorbei und damit wird auch der Fokus auf den Golfstaat geringer. Nun wird sich zeigen, wie ernst das Land es mit Reformen meint.
Katars Ziel bei der diesjährigen Weltmeisterschaft war klar: Der Golfstaat wollte alle Vorgänger übertreffen. Noch moderner, noch spektakulärer, noch besser sollte diese WM werden. Ein Turnier der Superlative. Mit der WM sollte das Land nicht nur überall auf der Welt bekannt und das eigene Image als ein moderner Staat aufgebessert werden. Es sollte auch für die islamischen Werte geworben werden.
Besonders deutlich wurde das zum Schluss: Bevor Lionel Messi den langersehnten Pokal endlich entgegennehmen konnte, zwängte der Emir von Katar den Fußballstar noch schnell in ein arabisches Gewand. Er instrumentalisierte den Kapitän der Siegermannschaft damit für seine Zwecke, stahl ihm und seiner Mannschaft den ikonischen Moment (Mehr dazu lesen Sie hier).
Der internationale Aufschrei war groß
Das Land nutzte jede Gelegenheit, um sich in Szene zu setzen. Das ging so weit, dass Katar sogar auf Kritik einging und Arbeitsgesetze änderte, nachdem es im Vorfeld der WM einen Aufschrei wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen gegeben hatte. Eine unbekannte Zahl an Gastarbeitern war auf den Baustellen der Stadien, die in kürzester Zeit aus dem Wüstensand gestampft wurden, ums Leben gekommen. Der Golfstaat schaffte daraufhin unter anderem das "Kafala"-System ab, also Bürgschaften, die Arbeitgeber für ausländische Arbeiter geben müssen, und durch diese damit quasi zu ihren Leibeigenen werden. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen es als "moderne Sklaverei". Ein Mindestlohn wurde eingeführt und auch die Arbeitsbedingungen an den WM-Baustellen beispielsweise mit Kühlwesten verbessert. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Doch jetzt, da das Turnier vorbei ist, stellt sich die Frage: Was bleibt vom positiven Image nach der WM? Folgt auf das Ende der Spiele auch das Ende der Reformen?
Die Befürchtungen, dass es genau so kommt, sei groß, sagt der Deutschland-Direktor der Menschrechtorganisation Human Rights Watch, Wenzel Michalski. Umzusetzen wäre das zumindest relativ schnell. Da der Golfstaat autokratisch regiert wird, könnte der Emir des Landes, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, die Reformen relativ leicht wieder einkassieren. Parlamente oder Räte müssen nicht zustimmen.
Was für ein Ende der Reformen spricht
Es ist jedoch nicht ganz klar, was der Emir will. Der Botschafter Katars in Deutschland forderte unter anderem öffentlich, dass man Katar vertrauen und Zeit schenken solle. WM-Chef Hassan al-Thawadi betonte zudem, die Reformen wären auch ohne den Fußball gekommen und hätten nichts mit dem öffentlichen Druck zu tun. Kritiker bezweifeln das.
Klarer ist, was die katarische Wirtschaft will. Weniger Regeln, weniger Gesetze. Sie macht seit geraumer Zeit Druck, berichtet Amnesty International. Jene katarische Wirtschaft besteht nicht nur aus Unternehmen aus dem Golfstaat, denn davon gibt es nur wenige. Es sind in erster Linie Betriebe aus dem Ausland, auch aus Europa, die sich hinter verschlossenen Türen gegen die Reformen aussprechen.
Und der Gegenwind wird mit dem Ende der WM für sie abflauen. Unterstützung bekommen sie von einigen Konservativen im Land, für die das Turnier ein kleiner Kulturschock war. Der Politikwissenschaftler und Katar-Experte Nicolas Fromm von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg vermutete daher bereits vor dem Beginn der Weltmeisterschaft: "Die Konservativen im Land werden ihre Wut herunterschlucken müssen, und ich kann mir vorstellen, dass der Emir nach der WM ein paar innenpolitische Entscheidungen zu ihren Gunsten treffen wird, um sie wieder zu besänftigen."
Auch Nachbarländer wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die Katar von 2017 bis 2021 blockiert hatten, würden sich über die "alten" Gesetze freuen. Denn im Vergleich zur restlichen Golfregion gilt Katar sogar als fortschrittlich, was Saudi-Arabien beispielsweise nicht gefällt.
Was gegen ein Ende der Reformen spricht
Die WM soll nicht das letzte große Turnier Katars gewesen sein, um sich der Welt zu präsentieren. Um die Asienspiele 2030 hat sich der Golfstaat bereits beworben, für die Olympischen Sommerspiele 2036 will er offenbar auch seinen Hut in den Ring werfen. WM-Chef Hassan al-Thawadi sagte: "Wir haben unseren Willen und unsere Motivation gezeigt, es auszurichten. Ich denke, es liegt auf der Hand." Katars Emir ist bereits seit 2002 Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Dazu war IOC-Chef Thomas Bach bei der WM zu Gast und schaute sich das Eröffnungsspiel live im Stadion an. Olympische Spiele rücken einen Austragungsort ähnlich in den Fokus wie eine Fußballweltmeisterschaft. Als das Land zu gelten, das Reformen einführte und sie nach dem Ende eines großen Turniers aber wieder abschaffte, würde dem Olympia-Vorhaben in Katar eher schaden.
Welche Rolle Deutschland spielt
In Deutschland wird der Golfstaat in den nächsten Jahren auch ohne WM eine Rolle spielen. Denn Katar ist langfristiger Partner als Lieferant von Flüssiggas. Ab 2026 soll mindestens 15 Jahre lang LNG nach Deutschland gebracht werden.
Damit ist die Bundesregierung einerseits in der Lage, Druck auf Katar auszuüben. Andererseits ist auch Deutschland nun in einem Abhängigkeitsverhältnis. Menschenrechtsorganisationen sehen in dem Deal auch eine Verpflichtung, die Entwicklungen in Katar genau im Auge zu behalten und gegebenenfalls zu reagieren.
Klar ist in jedem Fall: Die kommenden Jahre werden die Wahrheit zeigen. Dabei wird sich erweisen, ob die WM-Bauarbeiter nur ein besseres Arbeitsleben haben sollten, um die Kritiker ruhig und die Fifa zufriedenzustellen, oder ob es wirklich ein Interesse an einer besseren Lage im Hinblick auf die Menschenrechte im eigenen Land gibt. Und das sollte Katar auch unabhängig von Bewerbungen für Großereignisse zeigen.
- Eigene Beobachtungen und Recherche
- Gespräche mit Vertretern von Amnesty International, Dr. Nicolas Fromm und Wenzel Michalski
- Nachrichtenagenturen dpa, SID