Geld spielt kaum eine Rolle Darum ist der spanische Fußball so dominant
Von Florian Haupt
Mit dem Champions-League-Finale zwischen Real und Atlético Madrid endet am Samstag die europäische Klubsaison. Gleichzeitig erlebt der kontinentale Fußball den nächsten Höhepunkt der langen spanischen Ära – und ihres historischen Ausschlags der letzten drei Jahre. Weiter nach oben, immer weiter.
Die Zahlen zum Anfang: Spanische Vereine haben fast die Hälfte aller Europapokale im laufenden Jahrtausend gewonnen, 16 von 34: je achtmal Champions League (Barcelona: 4, Real Madrid: 3, plus der Gewinner vom Samstag) und Europa League (Sevilla: 5, Atlético Madrid: 2, Valencia: 1). Seit 2010 sind es neun Titel von 14. In den letzten drei Saisons: sechs von sechs.
Von insgesamt 21 spanischen Startern sind in diesem Zeitraum nur fünf von nicht-spanischen Teams eliminiert worden: zweimal Real Sociedad San Sebastián (Champions-League-Gruppenphase 2013/14 und Europa-League-Qualifikation 2014/15), je einmal Athletic Bilbao (CL-Gruppenphase 2014/15), Real Madrid (CL-Halbfinale 2014/15) und Villarreal (EL-Halbfinale 2015/16).
Beispiellose Überlegenheit in Europa
Es ist eine Überlegenheit, wie sie der Fußball noch nicht erlebt hat. Wenn in England oder Deutschland immer mal wieder Experten die eigenen Betriebe zu den besten des Kontinents erklären, ist das nichts als Realitätsverlust. Ja, England hat mehr Geld und ja, in Deutschland kommen mehr Fans. Aber das hat mit dem Spiel an sich nichts zu tun.
Wie es sich im Spiel an sich verhält, hat Jürgen Klopp in den letzten Wochen mehrfach ausgeführt. Der Trainer von Liverpool schaffte es im Halbfinale der Europa League als einziger, eine spanische Mannschaft zu bezwingen, fand dann aber im Finale doch noch in einem spanischen Team seinen Meister. Schon am Abend vor der Niederlage gegen Sevilla erklärte er: "Spanien ist das beste Fußball-Land. Es hat großartige Trainer und Scouts, eine hervorragende Ausbildung und sehr viele Spieler auf höchstem Niveau."
Klopp fügte einen natürlichen Standortvorteil hinzu, die sprachliche und kulturelle Nähe zum Talentpool Lateinamerika. Sogar Geographie und Geschichte spielen der Primera Division in die Karten. Tatsächlich ist Spanien so erfolgreich, weil es so komplett ist. Trainer und Spieler gehören dazu. Aber auch Fußballkultur und Mentalität.
Überragende Trainer bis in die unteren Ligen
Spanien ist das Land mit den meisten Coaches im Besitz der Uefa-A-Lizenz. Schon in den unteren Ligen ist das Ergebnis deutlich zu sehen: Die Mannschaften spielen technisch und taktisch sauberen Fußball. In der Primera Division spitzt sich dieser Befund zu. Die schwächeren Teams scheitern zumeist am eklatanten Unterschied bei der individuellen Qualität, der sich aus bis zu zwanzig mal geringeren Etats gegenüber Real Madrid oder Barcelona ergibt. Sehr selten jedoch wegen systemischer Mängel.
Im Gegenteil schaffte es ein junger Trainer wie Javi Garcia beim Mittelklasseteam Málaga so positiv aufzufallen, dass ihn Rubin Kazan diese Woche für ein Jahresgehalt von vier Millionen Euro aus seinem Vertrag kaufte. Unai Emery zeigte bei den drei Europa-League-Siegen am Stück mit Sevilla immer wieder die ganze Bandbreite der Coaching-Qualitäten von Vorbereitung über Strategie bis Motivation.
Wie stark sich Spaniens Übungsleiter entwickelt haben, sieht man nicht nur am fulminanten Scheitern der britischen Exporte David Moyes (San Sebastián) und Gary Neville (Valencia), sondern auch an Branchenführer FC Barcelona – wo bis vor einem Jahrzehnt ein ausländischer Coach dem nächsten die Klinke in die Hand gab, triumphierten zuletzt die Einheimischen Pep Guardiola, Tito Vilanova und Luis Enrique.
Geringer Legionärsanteil in der Liga
Gute Trainer machen gute Spieler noch besser. Und an einheimischem Talent fehlt es nicht, seit Vereine und Verband in den 1990er Jahren begonnen haben, die technischen Vorteile der spanischen Kinder zu fördern anstatt ihre vermeintlichen körperlichen Nachteile beheben zu wollen. Die andauernden Erfolge spanischer Jugendnationalmannschaften sprechen für sich – jenseits der durch das WM-Desaster von Brasilien unterbrochenen Dominanz des A-Teams.
In der Breite überzeugt das Spielerreservoir eher noch mehr als in der Spitze. Nicht umsonst hat Spanien von allen großen europäischen Ligen den geringsten Ausländeranteil (38 Prozent. Deutschland: 48, England: 68). Wer doch Legionär ist, integriert sich in der Regel schnell, weil er aus dem romanischen Ausland kommt.
Die fünf präsentesten Gastarbeiternationen in der Primera Division sind Argentinien, Brasilien, Frankreich, Portugal und Uruguay. Auch hier akzentuiert ein Kontrast das Bild: Der Brite Gareth Bale brauchte über zwei Saisons, um sich fußballerisch bei Real Madrid einzufügen. Spanisch spricht er immer noch nicht.
Kreative taktische Ideen, umgesetzt von Topstars
In der Primera Division spielen die größten Stars des aktuellen Fußballs (Messi, Ronaldo, Neymar, Suárez), aber das allein würde nicht reichen, würden dort nicht auch die interessantesten Ideen entworfen. Ob das offensive Modell von Pep Guardiola in seiner Zeit beim FC Barcelona oder der Catenaccio-Upgrade von Diego Simeone bei Atlético Madrid. Weil sie aus ihrer Liga die innovativsten Systeme kennen, werden spanische Teams in Europa nie überfordert.
Daraus, aus dem Vertrauen in die eigenen Grundlagen sowie aus den unendlichen Erfolgen ergibt sich zudem eine nie dagewesene Siegermentalität. Enge Spiele gehen fast grundsätzlich an spanische Teams, ihre Erfolge werden zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. "Meine Theorie ist, dass spanische Mannschaften einfach Wettkampfhärte haben", sagte Emery vorige Woche nach dem Triumph über Liverpool. "Dadurch können sie Mannschaften schlagen, die eigentlich überlegen sind."
Geld spielt nur eine untergeordnete Rolle
Denn mit Ausnahme von Real Madrid und Barcelona taugt ja ein Faktor genau nicht zur Erklärung der spanischen Dominanz: das Geld. In der europäischen Umsatzrangliste belegt Atlético nur Platz 15, Sevilla steht nicht mal unter den ersten 30. Ihre wundersame Dominanzphase erlebte die Primera Division ausgerechnet in einer Zeit finanzieller Einschränkungen durch Wirtschaftskrise und Schuldenabzahlungen.
Ab nächster Saison geht es jedoch wieder bergauf mit den Einnahmen. Eine neue Zentralvermarktung sorgt zum einen fast für eine Verdoppelung der TV-Gelder auf 1,6 Milliarden Euro pro Saison, die zum zweiten gerechter umverteilt werden als bisher. Sicher, Geld kann auch erfolglos verpulvert werden. Aber allzu große Illusionen sollte sich der Rest Europas da wohl nicht machen, über das Fußball-Land Spanien.