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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Stasi-Akten enthüllt "Ein Hohn" - Historiker kritisiert Sammer-Aussage
30 Jahre danach nennt Matthias Sammer seine Mitgliedschaft in einem Wachregiment der DDR-Stasi "alternativlos". Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk widerspricht vehement.
Matthias Sammer – Europameister von 1996, deutscher Meister als Spieler und Trainer – war Mitglied im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Das enthüllte die „Sport Bild“ unter Berufung auf Sammers Stasi-Akten am Mittwoch.
Sammer sagte dem Magazin dazu: „Es gab Zwänge, denen du dich nicht entziehen konntest. Das war natürlich traurig und ein Bestandteil eines falschen Systems. Und: Es war auch alternativlos.“ Zwar soll Sammer nie Informationen geliefert oder Spitzeldienste ausgeführt haben, die Verpflichtung unterzeichnete er dennoch – als ein Alibi, um dem Wehrdienst zu entgehen. Andernfalls, so Sammers Begründung, wäre seine Karriere bei Dynamo Dresden vorbei gewesen.
Nun gibt es heftige Kritik an seiner Wortwahl. Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, sagt t-online.de: „Sich nach 27 Jahren intensiver Debatte in Deutschland hinzustellen und diese Entscheidung als ‚alternativlos‘ darzustellen, ist ein Hohn. Es gab viele höchst talentierte Sportler, deren Karrieren gestoppt wurden, weil sie anders als Matthias Sammer Nein zur Stasi und der SED gesagt haben.“
Sammer ging den üblichen Weg für Top-Sportler
Für sein Handeln vor 30 Jahren, betont Kowalczuk, könne man Sammer allerdings keinen Vorwurf machen. Er sagt: „Die Entscheidung, in das Wachregiment der Stasi einzutreten, ist nicht kritikwürdig. Die Sportler, die diesen Schritt gegangen sind, waren junge Leute, lebten in der DDR in einer totalen Blase und konnten sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst sein. Mit seinen heutigen Aussagen sendet Sammer in seiner Vorbildfunktion aber ein falsches Signal.“
Sammer, später Sportdirektor des FC Bayern und heute TV-Experte bei Eurosport, wählte mit seiner Verpflichtung für das Wachregiment einen für viele Top-Sportler der DDR üblichen Weg, um den Wehrdienst zu umgehen und seine Karriere fortzusetzen. Zwischen Staat und Sport gab es in der DDR kaum eine Trennung. Bei den Fußball-Vereinen der Sportvereinigung Dynamo, also dem Berliner FC (BFC) und Dresden, war eine Verpflichtung für das Wachregiment üblich.
Mielkes Lieblingsklub bevorzugt
Historiker Kowalczuk: „Leistungssport war in der DDR eine Staatsangelegenheit. Nicht umsonst wurden die besten Sportler des Landes ‚Diplomaten in Trainingsanzügen‘ genannt. Sie haben mehr für die internationale Bekanntheit der DDR getan als irgendwer sonst. Deshalb wurde von den Sportlern ein hohes Maß an politischer Disziplin erwartet.“
So galten beispielsweise bei Auswärtsspielen im Ausland strenge Regeln. Häufig reisten viele Beobachter der Stasi mit, die das Verhalten der Sportler überprüften und Fluchtversuche verhindern sollten.
Zugleich überließ der Staat in der Ausbildung seiner sportlichen Talente nichts dem Zufall. Dazu gehörte sowohl staatlich organisiertes Doping als auch ein strenges Förderungssystem für Talente. Historiker Kowalczuk erklärt: „In der Talentförderung war die DDR ein Vorreiter. Die besten Nachwuchssportler wurden konzentriert an einem Ort trainiert – so wie es heute ja auch häufig der Fall ist. Auch im Fußball konnten ausgewählte Klubs die größten Talente einer Region abgreifen, von dort durften sich dann wiederum die Top-Klubs bedienen.“ Besonders bevorzugt wurde dabei ab den 1970er-Jahren der BFC Dynamo, Lieblingsklub von Stasi-Chef Erich Mielke.
Innerhalb des staatlich organisierten Systems eiferten die Athleten aber trotzdem nach sportlichen Regeln um Höchstleistungen. Manipulationen einzelner Fußballspiele zum Beispiel waren nach heutigen Erkenntnissen seltener als häufig behauptet wird. Kowalczuk: „Es sind nur vereinzelt Fälle bekannt, in denen Schiedsrichter ein Spiel beeinflusst haben.“
Quellen
- eigene Recherche
- Sport Bild