Millionen und Kompetenz So plant RB Leipzig den Weg nach Europa
Von Johann Schicklinski
An vielen Stammtischen Fußball-Deutschlands wurde nach dem Ende der abgelaufenen Spielzeit kollektiv aufgeatmet: RB Leipzig hat den anvisierten Aufstieg in die Bundesliga deutlich verfehlt. Trotz des höchsten Etats sowie für Zweitliga-Verhältnisse riesigen Investitionen vor der Saison und vor allem in der Winterpause. Allen Fans und Anhängern anderer Vereine sollte dennoch bewusst sein, dass der bei vielen ungeliebte und teilweise sogar verhasste "Brauseklub" über kurz oder lang in der ersten Liga mitmischen wird.
Bereits nächste Saison ist der Druck auf die Sachsen immens – angesichts der Investitionen nicht verwunderlich. Die Verantwortlichen waren bereits frühzeitig auf dem Transfermarkt aktiv – und zwar in einer Größenordnung, um die sie die allermeisten Erstligisten beneiden. So verpflichtete RB für acht Millionen Euro Bremens Sturm-Juwel Davie Selke und für rund 2,5 Millionen Euro Willie Orban, den bisherigen Kapitän des 1. FC Kaiserslautern.
Längst nicht die einzigen Neuzugänge, alleine vom Partnerklub RB Salzburg wechselten diverse hochkarätige Profis nach Leipzig. Gleichzeitig mussten bis jetzt 16 Spieler die Sachsen verlassen.
Auf Augenhöhe mit den Bayern und dem BVB
Somit zählt in der nächsten Spielzeit nur der Aufstieg. Und selbst dieser ist für den anspruchsvollen Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz und Ralf Rangnick, der in Personalunion Trainer und Sportdirektor ist, lediglich eine Zwischenetappe.
Beide denken – wie alle im Klub – längst in mittel- bis langfristigen Dimensionen. Und orientieren sich an der absoluten Spitze. So macht der Getränke-Milliardär aus dem Fernziel Deutsche Meisterschaft keinen Hehl. "Irgendwann wird es so sein", hat der österreichische Unternehmer bereits mehrfach öffentlich zu Protokoll gegeben. Ziel sei es, sich auf Augenhöhe mit den Bayern oder Borussia Dortmund zu messen: "Wenn wir das nicht irgendwann einmal wollten, sollten wir den Fußball besser an den Nagel hängen."
"Wollen auch in der ersten Liga eine gute Rolle spielen"
Um die Zielsetzung zu erfüllen, wird bei RB Leipzig auf allen Ebenen extrem konsequent gearbeitet. Zum Beispiel bei den Neueinkäufen. Der Preis spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebend ist, ob das Anforderungsprofil erfüllt wird: jung, schnell, technisch und taktisch perfekt ausgebildet und mit Steigerungspotenzial.
"Unser Beuteschema ist ein André Schürrle, als er noch in Mainz war. Oder ein Marco Reus, bevor er zu Mönchengladbach gewechselt ist", sagte Rangnick unlängst in der ARD. Er hegt die gleichen Ambitionen wie alle im Klub: "Wir wollen auch in der ersten Liga eine gute Rolle spielen. Ich halte das an diesem Standort mit unseren Mitteln und unserem Umfeld für möglich."
Demut entspricht nicht dem Selbstverständnis von Red Bull. "Wolfsburg verfolgt das gleiche Ziel an einem kleineren Standort. Jetzt sind sie die klare Nummer zwei der Bundesliga. Das bestätigt mich darin, dass wir es in Leipzig irgendwann auch schaffen können", sagte der 57-Jährige.
Die hoch gesteckten Ziele des Klubs und des Konzerns, der Fußball vor knapp zehn Jahren als Marketing-Vehikel entdeckt hat, rufen bei vielen Fußball-Fans Argwohn hervor. Neben dem Vorwurf der fehlenden Tradition – RB Leipzig entstand erst am 19. Mai 2009 als RasenBallsport Leipzig, indem dem SSV Markranstädt, direkt bei Leipzig gelegen, das Startrecht für die Oberliga Nordost abgekauft und so einige Klassen übersprungen wurden – sorgt auch die rechtliche Konstruktion des Vereins für Stirnrumzeln. Die "50+1-Regel" wird ignoriert, denn strenggenommen ist der Konzern Red Bull gleich dem Verein. Die Geschicke bei RB Leipzig werden geleitet von einem Kreis von 14 stimmberechtigten Mitgliedern, die entweder Angestellte im Mateschitz-Imperium sind oder in engen Geschäftsbeziehungen zum Konzern stehen.
"Leuchtturm-Projekt" für den Osten
Daneben machen die scheinbar unbegrenzten Mittel der Sachsen den Anhängern anderer Vereine Angst. Vor allem wegen der Konsequenz und kapitalistischen Logik, mit der Verantwortliche den Aufstieg des Klubs bis hin in die europäische Spitze geplant haben. Dies fing mit der Wahl des Standorts an. Die Sportstadt Leipzig wurde vom Brause-Hersteller gezielt ausgewählt- schließlich lechzte der ganze Osten nach attraktivem Fußball.
"Wir wollen dabei helfen, dem Fußball in dieser Region wieder den Stellenwert zu geben, den er verdient", hatte Markus Egger, einstiger Geschäftsführer Red Bull Soccer, vor ein paar Jahren zur Intention des Konzerns gesagt. Der Plan ging auf – der Zuschauerzuspruch ist hoch und wächst weiter. Allen Anfeindungen von Fans anderer Klubs zum Trotz wird RB – zumindest in seiner Region - äußerst gut angenommen.
Kritik an Personalfluktuation
RB investiert seit 2009 immer wieder ins Personal, im Kader herrscht seitdem eine ständige Fluktuation. Dieses Personalmanagement ruft zwar Kritiker auf den Plan, ist allerdings längst Usus im Profifußball und wird in Leipzig nur mit maximaler Konsequenz umgesetzt – nämlich ohne jegliche Kompromisse. Der Leitmaxime "Erfolg im Fußball ist planbar" wird alles untergeordnet, formschwache Spieler und dysfunktionale Teams gelten als nicht akzeptabel und somit austauschbar.
Dies führte dazu, dass verdiente Profis oder sogar Aufstiegshelden "entsorgt" wurden, wenn nach Meinung der Verantwortlichen bessere Alternativen verfügbar waren. Knapp 80 Spieler, drei Sportdirektoren und fünf Trainer hat das Projekt von 2009 bis heute verschlissen – wohlgemerkt nur für die erste Mannschaft. Doch für Sentimentalitäten ist bei RB kein Platz – es zählen alleine Erfolg und mittel- bis langfristige Entwicklung.
"State of the art" in Deutschland
Die Personalpolitik ist allerdings nur ein Baustein für den Erfolg von RB Leipzig. Neben den Ausgaben für neue Spieler und der damit verbundenen Kritik geht oft unter, dass der Klub in Infrastruktur und die Nachwuchsarbeit noch weit höhere Summen investiert hat. Insgesamt hat der Konzern rund 100 Millionen Euro ausgegeben, um einen bundesweiten Standard setzen. In diesem Sommer soll das 30 Millionen Euro teure und insgesamt 13.000 Quadratmeter große Nachwuchsleistungszentrum eröffnet werden. Ziel ist es, "State oft the art" in Deutschland zu sein und mit den Top-Jugendzentren der Welt mithalten zu können.
Die Bedeutung der Nachwuchsarbeit hat man in Leipzig schon lange erkannt. "Es wird uns einen weiteren Schub geben und uns infrastrukturell noch bessere Möglichkeiten bieten. Wir werden in puncto Unterbringung, Versorgung, schulische Betreuung und Trainingsmöglichkeiten neue Maßstäbe setzen", sagte Frieder Schrof gegenüber "goal.com" über das neue Jugend-Zentrum.
Schrof ist gemeinsam mit Thomas Albeck Hauptverantwortlicher für den Nachwuchs des Klubs. Beide waren zuvor in ähnlicher Funktion beim VfB Stuttgart tätig, bevor RB sie abwarb. Auch hier gilt: Das Beste ist für den Brause-Klub gerade gut genug – Schrof und Albeck genießen in der Branche einen hervorragenden Ruf.
Kritik entzündet sich auch daran, dass der Klub immer wieder Top-Talente anderer Vereine nach Leipzig lockt. Dabei wird gerne vergessen, dass Transfers von jungen Spielern längst branchenüblich sind. Leipzig geht hier nur strukturierter und konsequenter vor als viele andere Vereine. Schließlich werden die Nachwuchsspieler nicht alleine mit teilweise immensen monetären Versprechungen gelockt (was ebenfalls oft für Kritik sorgt), sondern auch mit den Möglichkeiten einer Top-Ausbildung, die der Klub offeriert. Bis zu sechs Trainingseinheiten pro Woche, zusätzlich Individualtraining, Videoschulungen, Social-Media-Beratungen und vieles mehr stehen für die Junioren auf dem Plan.
Nachwuchsarbeit trägt Früchte
Erfolge auf Nachwuchsebene haben sich längst eingestellt. So standen sowohl die U19 als auch die U17 im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft, beide Teams scheiterten nur knapp an Hoffenheim bzw. Dortmund. Mittlerweile sind zahlreiche Jugend-Nationalspieler für RB Leipzig aktiv – so profitiert auch der deutsche Fußball.
Die Entwicklung ist auf allen Ebenen konsequent geplant und dem Ziel untergeordnet, dass eines Tages die Lizenzspielermannschaft hauptsächlich aus Eigengewächsen bestehen soll. Dazu soll immer wieder Qualität von außen zugeführt werden, allerdings nur punktuell, sprich absolute Topspieler. "Es geht nicht um einen Wettlauf, um mit möglichst vielen Söldnern möglichst erfolgreich zu sein. Sondern es geht um eine gesunde Entwicklung und gesundes Wachstum – mit möglichst vielen eigenen Spielern", hatte Red-Bull-Boss Mateschitz einst den Weg vorgegeben. Die ersten Etappen hat RB Leipzig längst hinter sich gelassen – Bundesliga und Champions League lauten die nächsten Ziele.