Plötzlich Trainer Weil Patrick Helmes kein Torjäger mehr sein darf
Von Marc L. Merten
Als der Schlusspfiff im Wersestadion zu Ahlen ertönte, kannte Patrick Helmes kein Halten mehr. Er sprang in die Höhe, ballte die Fäuste und umarmte seinen Chefcoach Martin Heck. Die U21 des 1. FC Köln hatte bei Rot Weiss Ahlen gerade ihr erstes Saisonspiel gewonnen und dafür einen 0:2-Rückstand spektakulär gedreht. Doch während Mannschaft und Trainer Heck den ersten Dreier der Saison wenig später gemeinsam mit den mitgereisten Fans feierten, blieb Helmes am Spielertunnel zurück. Er blickte aus der Ferne zu. Eine Rolle, an die er sich erst noch gewöhnen muss.
Das 3:2 des FC in Ahlen war Helmes’ sechstes Pflichtspiel in seinem zweiten Leben, dem Leben nach der Spielerkarriere. 98 Bundesliga-Spiele, 45 Tore. 79 Zweitliga-Spiele, 43 Tore. 88 Tore in 177 Erst-und Zweitliga-Spielen. Ein Schnitt von einem Tor in jedem zweiten Spiel. Das ist die eine Seite der Medaille eines Stürmers und 13-fachen deutschen Nationalspielers, der zwar nie Trainingsweltmeister war, aber das Potential hatte, einmal Weltmeister zu werden. Ein außergewöhnlicher Torinstinkt, eine "überragende Qualität im Abschluss" (Joachim Löw). Ball, Schuss, Tor. Einfach, effektiv, erfolgreich.
Helmes war insgesamt über drei Jahre verletzt
Doch es gab auch die andere Seite der Medaille. Die Statistik auf dieser Seite lautet: zwei Kreuzbandrisse, ein Mittelfußbruch, zudem ein halbes Dutzend weitere Bänder- und Muskelverletzungen. Und nicht zu vergessen der Knorpelschaden in der Hüfte, der ihn schließlich seine aktive Karriere kostete. Helmes verpasste von seinen elf Jahren als Profi drei Jahre wegen Verletzungen.
Viele sagen, mit der Nummer zehn kam das Ende. Mit der Nummer, die er nach dem Bundesliga-Aufstieg des 1. FC Köln im Sommer 2013 von Lukas Podolski übernahm. Die Rückennummer, die eigentlich nie wieder vergeben werden sollte. Viele sagen, ein Fluch habe sich damals über Helmes gelegt, der das kölsche Grundgesetz "Et hätt noch emmer joot jejange" ausgehebelt hätte. Denn es wurde nicht mehr gut. Helmes wurde nicht wieder gesund. Karriereende mit 31, in dem Moment, in dem er gerade wieder auf die große Bühne Bundesliga zurückgekehrt war.
Spielertrainer? "Ausgeschlossen!"
"Natürlich habe ich die ganze Zeit gehofft, dass es noch einmal wird“, sagte Helmes bei seinem letzten öffentlichen Auftritt Ende Juni. Seit dem 23. Juni hat sich der ehemalige Spieler selbst aus dem Verkehr gezogen. Keine Interviews, er will sich auf seine neue Karriere konzentrieren. Dass er den Kampf gegen seinen Körper verloren hat, daran hat er noch immer zu knabbern. "Ich habe nicht die ganze Zeit dafür trainiert, um zu wissen, dass ich nun hier als Trainer stehe. Es war nicht einfach zu sagen, dass es das nun war."
Jetzt also Trainer. Nur Trainer. An eine Funktion wie Spielertrainer ist nicht zu denken. Weil es medizinisch nicht geht, aber auch, weil Helmes’ Psyche nicht mitspielen würde. "Das ist ausgeschlossen. Das wäre auch nicht gut für meinen Kopf, weil ich den schweren Schritt gegangen bin, es zu beenden." Er will jetzt erst einmal in Ruhe die Trainerscheine machen, bei der U21 des FC Erfahrung sammeln, sich Stück für Stück an den neuen Job gewöhnen. Er nannte es die "perfekte Herausforderung" auf dem Weg zum nächsten Schritt – und der heißt: Chefcoach. "Ich will nicht jahrelang Co-Trainer bleiben."
"Er ist Sportinvalide – leider für ihn, gut für uns"
Dass er das Zeug dazu hat, davon ist er überzeugt. "Ich hatte das Glück, vier der besten Trainer zu haben: Jupp Heynckes, Christoph Daum, Joachim Löw und Felix Magath. Ich kann von jedem etwas weitergeben." Darauf hofft auch sein Chef, der nur ein Jahr ältere Martin Heck, der im Vergleich zu Helmes nie selbst Profi war, nur bis zur Verbandsliga gespielt hat. Zusammen mit Helmes soll er die künftigen Talente beim FC formen. "Patrick ist für mich gefühlt noch immer Profi. Er ist leider zu früh Sportinvalide geworden. Leider für ihn, gut für uns – denn er kann den Jungs sehr, sehr viel vermitteln, was ich ihnen nicht mitgeben kann. Er weiß genau, wie er die Spieler anpacken muss. Da merkt man seine Erfahrung aus der Arbeit mit den vielen Top-Trainern im Laufe seiner Karriere."
Helmes soll mithelfen, den Kölner Talenten das Profi-Gen einzupflanzen, "den letzten Kick geben", wie es Heck nennt. "Wie häufig hört man von Riesentalenten, die angeblich alles mitbringen, aber es nicht schaffen?" Helmes will dieser Faktor sein, Köln gibt ihm die Chance dazu. Der Klub, in dem Helmes die Jugend durchlief und für den er sein erstes Profi-Tor erzielte. Der Klub, der ihn zurückholte, obwohl er einst zum Erzrivalen Leverkusen gewechselt und mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt worden war. Der Klub, den er mit seinem vorletzten Karrieretreffer am 21. April 2014 gegen den VfL Bochum in die Bundesliga zurückschoss. Für Helmes hat sich mit dem aktiven Karriereende ein Kreis geschlossen und ein neuer geöffnet. Auch, wenn es noch etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Aber nicht nur für ihn. Die dreijährige Zoe stand kürzlich am Trainingsplatz der U21 und fragte ihre Mutter: "Wo ist denn der Papa?" Ihre Mutter machte sich ein Spiel daraus: "Na, dann such ihn mal. Wo ist er?" Zoe blickte sich um. "Ist er der da in Rot?", und zeigte auf einen der Spieler mit einem roten Leibchen. Kopfschütteln der Mama. "Der in Gelb?", wieder deutete die Kleine auf einen der Spieler. Wieder schüttelte die Mama den Kopf. "Er ist der da im blauen Shirt“, sagte Mutter Sarah. Verdutzt erkannte Zoe ihren Papa. Patrick Helmes, der Papa, der gar kein Spieler, sondern einer der Trainer war.