Perfekter BVB-Einstand Mit Tuchel zurück im Spektakel-Modus
Aus Dortmund berichtet Patrick Brandenburg
Am Ende konnten es alle nicht so recht fassen, was da gerade auf dem Rasen des früheren Westfalenstadions passiert war. Bei den Fans von Schwarz-Gelb wechselte sich ungläubiges Staunen mit kindlicher Freude ab - nach der irren 4:0-Gala im Borussen-Duell Dortmund gegen Mönchengladbach.
Die Gäste dagegen fragten sich, welcher Tornado da gerade über sie hinweg gefegt war. Selbst für Thomas Tuchel wirkte der perfekte Bundesliga-Einstand bei seinem neuen Klub ein wenig surreal. Es war der höchste Debüt-Sieg eines Trainers in der Geschichte des BVB. "So war das natürlich nicht absehbar heute."
Die Hoffnung auf einen ordentlichen Start war beim BVB durchaus vorhanden, auch beim Coach selbst. Aber dass es nach der abgelaufenen Seuchensaison so schnell wieder gelingt, ein solches Ausrufezeichen zu setzen - daran hätten selbst die kühnsten Optimisten nicht geglaubt. Mit variablem Spiel, starken Kombinationen, Tempofußball und effektivem Abschluss hat sich Dortmund eindrucksvoll zurückgemeldet.
Und das gegen einen Klub, der bald Champions League spielt. In nur wenigen Wochen mit neuem Trainer hat sich Dortmund sichtbar weiterentwickelt. Der stets um Bescheidenheit bedachte Tuchel wirkte nicht mal arrogant, als er bilanzierte: "Wir haben auch in der Höhe verdient gewonnen."
BVB brennt ein Offensivfeuerwerk ab
Denn zum klaren Ergebnis gab es keine zwei Meinungen. Gladbachs Torhüter Yann Sommer sprach nach der Auftaktpleite sogar von einem "Klassenunterschied" und einer "Lehrstunde". Insbesondere in der ersten Halbzeit brannte der BVB ein Offensivfeuerwerk ab, bei dem auch Sorgenkinder der Dortmunder glänzten. Mats Hummels etwa, der jüngst mit seiner Beichte über vergangene Frust-Essen für Aufsehen sorgte, spielte mit großer Leichtigkeit und wie in besseren Zeiten. Der Nationalspieler gab den BVB-Quarterback: Etliche Angriffe gingen vom klugen Aufbauspiel des Abwehrchefs aus. So auch die beiden ersten Treffer durch Marco Reus (15. Minute) und Pierre-Emerick Aubameyang (21.).
Die anderen beiden Tore legte Henrich Mchitarjan nach (33., 50.), der damit seine tolle Frühform der Vorbereitung bestätigte. Sechs Treffer und drei Vorlagen stehen nach vier Pflichtspielen bereits für ihn zu Buche. Gegen Gladbach hätte es sogar noch ein Tor mehr für "Micki" sein können, doch Schiedsrichter Tobias Stieler erkannte fälschlicherweise auf Abseits. Dortmunds teuerster Einkauf der Klubgeschichte scheint drauf und dran zu sein, im dritten Anlauf den Durchbruch zu schaffen. Der Armenier zeigte Spielfreude, Selbstbewusstsein und nicht mehr für möglich gehaltenen Torinstinkt. Er blüht unter Tuchel auf, doch der Trainer sagt nur bescheiden: "Wir scheinen einen Draht zueinander zu haben."
"Die Jugend-Abwehr war nicht das Problem"
Die Gladbacher hätten sich nicht einmal über eine höhere Niederlage beschweren können: Bei Hummels' Kopfball rettete Raffael auf der Linie (36.), bei Ilkay Gündogans Distanzkracher war Keeper Sommer gerade noch zur Stelle (87.). Und zwischendrin zielte Shinji Kagawa aus bester Schussposition etwas zu genau (66.). Der BVB ließ auch nach der klaren Pausenführung überhaupt nicht nach. Genau dieser Aspekt imponierte Tuchel: "Das ist die Kunst: nach solchen ersten 45 Minuten noch einen draufzupacken."
Natürlich wurde der Dortmunder Sieg dadurch begünstigt, dass Gladbach mit Personalsorgen angereist war: Die Abwehrspieler Martin Stranzl und Alvaro Dominguez fehlten verletzt, Mittelfeldabräumer Harvard Nordtveit war gesperrt. Aber nicht einmal Gäste-Trainer Lucien Favre wollte es als Entschuldigung gelten lassen, in der Innenverteidigung mit dem 20-Jährigen Marvin Schulz und dem 19-jährigen Andreas Christensen angetreten zu sein. Er hatte ja immer noch große Teile jener Truppe zur Verfügung, die in der vergangenen Saison eine Wahnsinnsrückrunde hingelegt hatte. "Die Jugend-Abwehr war nicht das Problem. Die ganze Mannschaft hatte Probleme mit dem Tempo." Sprich: Auch im Zentrum waren die Gladbacher überfordert und ließen dem BVB viel zu große Räume.
BVB im vierten Pflichtspiel in Folge ohne Gegentreffer
Beim BVB könnte es sich noch als Vorteil erweisen, dass der Klub so früh ins Pflichtprogramm der Europa League einsteigen musste. Es scheint jedenfalls nicht geschadet zu haben, sich in der 3. Qualifikationsrunde folgenlos einige Wackler leisten zu können. Gegen Gladbach, ein Team auf mindestens zwei Stufen höherem Niveau als der Wolfsberger AC, ließen die inzwischen eingespielten Dortmunder in der Defensive nichts zu und blieben nun schon im vierten Pflichtspiel in Folge ohne Gegentreffer. Nachdem Dortmund in der vergangenen Spielzeit satte 42 Liga-Tore kassierte, scheint der Klub auch in dieser Hinsicht auf einem guten Weg.