Parallelen zu van Gaal Lahm schwärmt, aber das Eis für Guardiola wird dünner
Von Thomas Tamberg
Einen Tag vor dem DFB-Pokalendspiel gegen Borussia Dortmund (Samstag, ab 19.45 Uhr im T-Online.de Live-Ticker) gab Philipp Lahm in der "Süddeutschen Zeitung" ein großes Interview und lobte dabei demonstrativ Trainer Pep Guardiola. "Dieser Mann ist top-top-top. Er ist genau zur rechten Zeit gekommen", sagte der Mannschaftskapitän des FC Bayern. Aber wieso verteidigt Lahm so vehement den Starcoach? Schließlich schwärmen doch offiziell alle beim FC Bayern vom 43-jährigen Spanier. Erinnerungen an ein anderes Lahm-Interview, das weit über vier Jahre zurückliegt, werden wach. Es deutet einiges darauf hin, dass hinter den Kulissen nicht alles Gold ist, was an der Säbener Straße glänzt.
Selten hatte das Pokalfinale eine solche Wertigkeit für den FC Bayern wie das bevorstehende Duell gegen Borussia Dortmund. Der Ausgang des letzten Pflichtspiels der Saison entscheidet darüber, ob man beim FC Bayern zufrieden ist mit dem abgelaufenen Spieljahr oder eben nicht. "Wenn wir nicht gewinnen, wird der Sommer wahrscheinlich schwieriger", kennt natürlich auch Guardiola die Gesetze des Fußballs, speziell die Gesetzmäßigkeiten beim Rekordmeister.
Kritische Töne aus der Mannschaft
Nach dem überraschenden Leistungsabfall Ende März im Anschluss an die früheste Meisterschaft aller Zeiten und dem deftigen Aus in der Champions League gegen Real Madrid mehrten sich zuletzt kritische Stimmen gegen Star-Trainer Pep Guardiola. Mario Mandzukic und Toni Kroos muckten während der Saison mal kurz auf, zuletzt verweigerte Thomas Müller ein klares Bekenntnis zum FC Bayern und Franck Ribéry äußerte vor wenigen Tagen sogar ganz öffentlich, dass er mit der Rotation des Trainers überhaupt nicht zufrieden gewesen sei.
Doch nicht nur zwischen einigen Spielern und Guardiola knistert es, sondern auch in anderen Bereichen. Wie zum Beispiel zwischen dem Trainer und Teamarzt-Legende Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Bereits zu Saisonbeginn gerieten die beiden aneinander. Guardiola wollte die Ärzte gerne an der Säbener Straße haben, der 71-jährige Müller-Wohlfahrt indes in seiner Praxis in der Innenstadt bleiben.
Ärger mit Dr. Müller-Wohlfahrt
Jetzt rasselten die beiden im Fall Thiago laut "Bild"-Zeitung erneut aneinander. Mit Erlaubnis des Coaches soll der Mittelfeldspieler vier Wochen in Spanien gewesen sein, um dort seine Innenbandverletzung auszukurieren. Der Bayern-Arzt soll dagegen gewesen sein und den Heilungsverlauf kritisiert haben. Das Ergebnis ist bekannt: Kaum ins Mannschaftstraining zurückgekehrt, zog sich Thiago erneut einen Innenbandriss zu.
Es knirscht und knackst also noch an vielen Stellen im Getriebe. Was auch kein Wunder ist. Schließlich braucht es immer eine Zeit bis Trainer und Klub zusammenwachsen. Vor allem wenn beide Seiten großartige Erfolge vorweisen können. Erfolge geben einem recht, machen selbstbewusst. Jetzt gilt es aufeinander zuzugehen. Lahm scheint das Gefühl zu haben, dass Guardiola in der aktuellen Situation Unterstützung braucht, bevor bei weiterem Misserfolg in München eine Eigendynamik einsetzt, deren Ende nicht abzuschätzen ist.
Parallelen zu van Gaal
Eine ähnliche Situation gab es nämlich schon einmal, vor über vier Jahren. Damals war der Verein kurz davor, bei einem ebenfalls großen Trainer recht schnell die Nerven zu verlieren. 2009 holte man nach Jürgen Klinsmann und einem kurzen Intermezzo von Jupp Heynckes Starcoach Louis van Gaal. Nach nicht einmal einem halben Jahr und mäßigen Ergebnissen stand der knorrige Niederländer recht schnell vor dem Aus.
Dann gab Lahm im November 2009 unmittelbar vor einem wegweisenden Spiel gegen den FC Schalke 04 in der "Süddeutschen Zeitung" ein großes Interview, indem er die Ideen des Trainers vehement verteidigte und dem Vorstand mangelnde Philosophie vorwarf. Das Ende ist bekannt: Van Gaal durfte bleiben, holte das Double und führte die Bayern bis ins Finale der Champions League. Entlassen wurde er trotzdem, allerdings erst rund 16 Monate später.
Jetzt redete Lahm wieder. Gleiche Zeitung, gleicher Tenor der Aussagen. Wieder vor einem wichtigen Spiel. "Ich finde, dass seine Spielidee super zur Mannschaft und zu einem Verein wie Bayern passt", sagte Lahm und forderte, dass der Verein Guardiolas Weg mitgehen müsse. Der 30-Jährige bezeichnet dessen auf Ballbesitz angelegte Spielweise als "traumhaft" und erinnerte daran, dass der FC Bayern eine Dreiviertel-Saison lang gefeiert worden sei dafür – "europaweit".
Lahm: "So macht Fußball Spaß"
Das System stehe für ihn nicht infrage. "Es geht nur darum, dass wir es wieder richtig spielen", sagte Lahm. "100 Pässe spielen, 100 Ballkontakte haben, dem Gegner keinen Ball und keine Luft geben - so macht Fußball Spaß". Er selbst fühlt sich inzwischen mehr als Mittelfeldspieler denn als rechter Außenverteidiger.
Allerdings müsse jeder Bayern-Akteur in dem offensiven System vor allem mental immer auf der Höhe sein. "Gerade weil wir so hoch verteidigen, reicht es, wenn irgendjemand gedanklich in einem Moment nur ein bisschen langsamer ist." Deshalb müsse man aber nicht das System infrage stellen, so Lahm, man dürfe jetzt nicht plötzlich auf Konter spielen: "Das sind wir nicht. Im Gegenteil: Wir müssen mit aller Konsequenz zurück zu unserem Spiel."
Plädoyer für Guardiola
Lahm hat ein feines Gespür für die Situation, nicht umsonst ist er Kapitän des FC Bayern und der Nationalmannschaft. Er hat eine klare Meinung, sein Wort hat Gewicht. Im Gegensatz zum Interview vor vier Jahren dürfte er es dieses Mal mit dem Vorstand abgesprochen haben. Auch Karl-Heinz-Rummenigge und Matthias Sammer wünschen sich sehr, dass Guardiola noch viele Jahre erfolgreich an der Säbener Straße wirkt.
Doch Lahms flammendes Plädoyer für Guardiola zeigt auch, dass der Coach polarisiert. Eine gefährliche Entwicklung hat sich in Gang gesetzt. Ein Sieg gegen Dortmund im Pokalfinale könnte sie abschwächen, eine Niederlage weiter befeuern. Lahm geht auf Nummer sicher und baut vorsorglich schon einmal vor. Seine Aussagen sind vor allem auch ein Signal nach innen und an das Umfeld des FC Bayern.