Längster Eisenbahntunnel der Welt Mit deutscher Technik: 57 Kilometer durch harten Fels
Es ist ein Jahrhundert-Bauwerk: Einmal quer durch die Alpen, 2300 Meter unter dem Gotthard-Massiv, 57 Kilometer durch harten Fels. In der Schweiz wird heute der Gotthard-Basistunnel eingeweiht - und deutsche Technik hat dem Hightech-Projekt im wahrsten Sinn zum Durchbruch verholfen.
Bohrmaschinen aus dem badischen Schwanau frästen sich durch Granit, Schiefer und Gneis. Mit ohrenbetäubendem Lärm haben sich die 400 Meter langen Maschinen jahrelang durch das Gestein gefressen. Einen Rückwärtsgang haben die Kolosse nicht - "the only way is through", sagt Martin Herrenknecht, der Boss des Unternehmens.
Ergebnis ist eine Doppelröhre, die in Erstfeld auf der Nordseite der Alpen in den Berg abtaucht und erst nach 57 Kilometern Strecke in Bodio auf der Südseite wieder ans Tageslicht kommt. Rechnet man die vielen Quer- und Verbindungsstollen dazu, kommt man auf ein Tunnelsystem von 152 Kilometern Länge.
Durchbruch: Der Bohrkopf der genialen Tunnelbohrmaschine von Martin Herrenknecht durchbricht die letzten Gesteinsreste und öffnet die unterirdische Verbindung zwischen Erstfeld und Bodio. Der Bohrer hat einen Durchmesser von rund 9,6 Metern und macht im Durchschnitt etwa 18 Meter Strecke pro Tag.
Vier dieser gigantischen Maschinen frästen sich gleichzeitig durch den Berg. 28,2 Millionen Tonnen Gestein wurden dabei aus dem Fels gebrochen. Die deutsche Technik funktionierte äußerst präzise und schnell - Herrenknecht blieb deutlich unter dem veranschlagten Zeitplan, und das bei nur wenigen Millimetern Abweichungen von der Ideal-Bohrlinie.
3500 Kilowatt (umgerechnet etwa 4700 PS) starke Motoren trieben sogenannte Rollenmeißel an, die untertassengroße Brocken aus dem Fels stemmten. Wenn die Maschine sich auf diese Art zwei Meter tief ins Gestein gebohrt hatte, stoppte der Bohrvorgang, der gesamte Koloss schob sich nach vorn und verhakte sich erneut an den Felswänden.
Nach 18 Jahren ist die Verbindung geschaffen. Ein schneller Verkehrsweg zwischen Nord- und Südeuropa, auf dem insbesondere Frachtgut problemlos durch die Alpen geschickt werden kann. Die Nordsee-Häfen Rotterdam und Antwerpen haben jetzt eine effiziente Tangente an die Adria.
Durch die geringe Höhe von nur 550 Metern über dem Meeresspiegel, die nahezu ebene Strecke und die wenigen Kurven ist er für Güterzüge bis zu 4000 Tonnen Gewicht nutzbar. Rund 40 Millionen Tonnen Fracht sollen pro Jahr durch den Tunnel transportiert werden. Der Tunnel sei "ein Geschenk des Himmels", heißt es aus Brüssel.
Doch der Durchstich - wie oben zu sehen - hat gerade auch für die Schweiz eine enorme ideelle Bedeutung. Erste Überlegungen für das Projekt gab es bereits 1947, konkrete Planungen begannen 1962. Angesichts der hohen Baukosten von mehreren Milliarden Schweizer Franken galt das Projekt als politisch heikel, die Eidgenossen wurden von der Regierung in Bern zur Abstimmung gerufen und entschieden sich in zwei Referenden für den Bau. 1999 konnten die Arbeiten beginnen.
Zum Einsatz kamen die gigantischen Bohrzüge von Martin Herrenknecht. Gegen die 66 Rollenmeißel, die sich mit 26 Tonnen Anpressdruck ins Gestein fraßen, hatte der Fels keine Chance.
Anschließend wurde die Röhre mit Beton verschalt. Mindestens 30 Zentimeter sind die Wände stark - über dem Tunnel steht ein knapp 3000 Meter hohes Gebirge, 2300 Meter Gestein drücken auf die Röhre. Unter dem abgedichteten Tunnel führt ein Kanal das Sickerwasser ab.
Danach wurden die Gleise verlegt. Zwar misst die Strecke zwischen Erstfeld und Bodio "lediglich" 57 Kilometer, doch handelt sich um zwei Schienenwege, dazu kommen noch Querverbindungen und Ausweichgleise - insgesamt wurden 228 Kilometer Schienen verlegt, 190.000 Betonschwellen verbaut und 2800 Kilometer Kabel verlegt.
Sicherheit wird großgeschrieben im Tunnel: Kontrolleinrichtungen messen ständig die Werte im Tunnel. Ob heissgelaufene Achsen oder festsitzende Bremsen, Lastverschiebung oder Unwucht, Feuer, Rauch oder Chemikalien durch Ladungsaustrritt - die Leitstelle soll über alle Notfälle sofort informiert werden, um rasch handeln zu können.
Für den Ernstfall gibt es spätestens alle 325 Meter Übergänge zur Nachbarröhre, das soll zum einen eine Fluchtmöglichkeit bieten, aber auch dem Rettungspersonal schnellen Zugang zu einem möglichen Unfallort ermöglichen. Jede Stelle soll in spätestens 45 Minuten erreichbar sein.
In Sedrun und Fabio sind darüber hinaus Nothaltestellen eingerichtet worden, über die sich der Tunnel evakuieren lässt.
Hintergrund sind mehrere Katastrophen nach Unfällen in Tunnelsystemen. So kam es am 24. Oktober 2001 nach einem Lkw-Zusammenstoß zu einem Brand im Gotthard-Straßentunnel. Die Lüftungsanlage hatte gegen die starke Rauchentwicklung keine Chance. Damals starben elf Menschen, meist durch Ersticken.
Aber der Hightech allein wollen die Tunnelbauer nicht vertrauen - eine Nische ist für eine Schutzpatronin reserviert.
Das Jahrhundert-Bauwerk im Überblick: Die Grafik von Statista zeigt den Streckenverlauf von Erstfeld nach Bodio.
Mit Material von dpa