Tal des Todes in Kalifornien Forscher lösen Rätsel der wandernden Steine
Seit Jahrzehnten rätseln Wissenschaftler über lange Schleifspuren im Tal des Todes: Felsbrocken streunen über den Wüstenboden Kaliforniens. Niemand hatte ihre Wanderungen je beobachten können - bis jetzt.
Die dicke Karen mit ihren 320 Kilogramm kommt nur langsam voran. Diane hingegen zieht es in die Ferne, der Stein legte einmal 880 Meter in einem Monat zurück. Forscher gaben den berühmten Felsklumpen im Tal des Todes im Westen der USA Namen, um sie besser verfolgen zu können.
Die Steine streunen über den Wüstenboden, das beweisen lange Schleifspuren hinter ihnen. Was aber die Felsklumpen im Tal des Todes antreibt, ließ Geologen seit Jahrzehnten rätseln.
Jetzt lüften Videoaufnahmen das Geheimnis der wandernden Steine. Kleine Eisflöße trieben sie voran, berichten Forscher um Richard Norris von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla, USA. Vergangenen Dezember und Januar hatten sich Norris und seine Kollegen auf die Lauer gelegt, Messgeräte und Kamera aufgestellt - und die Steine bei ihren Streifzügen ertappt.
Steine nehmen Fahrt auf
Eines Nachts passierte es: Nachdem es geregnet hatte, bildete sich ein flacher See auf der Hochebene, er gefror. Millimeterdünnes Eis umschloss die Steine. Im Tauwetter am Morgen zerbrach es in Abertausende Schollen, die vom Wind getrieben wurden. Eingekeilt im Eis nahmen auch die Steine Fahrt auf. Die Forscher entdeckten frische Schleifspuren hinter vielen Brocken.
Ein großes Rätsel über eine vermeintlich kleine Frage scheint geklärt. Bislang hatte kein Mensch die Felsen je in Bewegung gesehen. Aufnahmen mit fest installierten Kameras sind in dem Nationalpark verboten.
Vor beinahe hundert Jahren hatten Naturkundler das Mysterium der wandernden Steine entdeckt, es wurde zur Attraktion. Trotz extremer Hitze zieht es zahlreiche Touristen an die abgelegene Rennbahn - die im Englischen tatsächlich Racetrack Playa heißt. Spaßvögel wollten schon Schilder aufstellen: "Achtung: Umherziehende Felsen!"
Propeller-Experiment
Forscher erdachten Dutzende Experimente, um das Geheimnis zu ergründen. Ein Geologe bastelte einen Propeller, der starken Wind erzeugte. Zusätzlich setzte er den Boden unter Wasser. Indes: Die Steine rührten sich nicht. Um die größeren Felsen durch den Sand zu schieben, schienen Windgeschwindigkeiten von 800 Kilometern pro Stunde erforderlich - so stark blasen selbst die heftigsten Tornados nicht.
Im März 1952 campierte der Geoforscher Thomas Clement auf dem Hochplateau. Doch Sturm und Regen trieben ihn ins Zelt. Verdutzt blickte er bei Sonnenaufgang auf die Ebene: Frische Furchen bahnten sich im Sand, die Steine hatten sich bewegt. Glitschiger Wasserfilm bedeckte die Ebene - diente er als Schmiermittel?
Der Boden und die Steine selbst wurden untersucht. Es zeigte sich, dass weder Größe noch Gewicht eines Brockens seine Bewegung entscheidend bestimmten.
Verdächtige Tiere
Die Muster im Sand waren mysteriös: Einige Felsen rutschen im Zickzack auf dem planen Lehmboden, andere wandern parallel. Manche streunen abwärts, die meisten aber bergauf. Einige Furchen beschreiben Kreisbahnen, als wären die Steine in eine Windhose geraten. Vor manchen Spuren fehlen die Steine, viele Furchen werden stetig breiter.
Wilde Theorien trieben Blüten: Außer den unvermeidlichen Außerirdischen wurden Tiere verdächtigt, die Steine zu bewegen. Oder erlaubten sich gar schelmische Mexikaner einen Streich? Wissenschaftler verdächtigten Erdbeben, Magnetismus, erhöhte Schwerkraft und Wasserströme - doch Messungen ließen auch diese Theorien sterben.
Die Geologin Paula Messina von der San Jose State University, die sich seit 1993 mit den wandernden Felsen beschäftigt, beendete ihre Promotion mit der Folgerung: "Das Ergebnis ist faszinierend, es gibt keines."
Harte Nächte
Die Entdeckung von Richard Norris und seinen Kollegen, dass Eisschollen die Steinvagabunden antreiben, bringt nun rätselhafte Beobachtungen in Einklang: Spuren ohne Steine werden von Dellen im Eis und von Lehmbrocken erzeugt, die am Boden kratzen. Breiter werdende Furchen erklären sich dadurch, dass die Felsen allmählich einsinken, wenn das Eis taut. Manche der großen Brocken bewegen sich deshalb besonders weit, weil sie, einmal in Fahrt, kaum bremsen. Und breite Spuren hinter schmaleren Steinen entstehen, wenn Eis am Stein haftet.
Die Felsen sind allerdings träge Vagabunden, wie die neuen Daten offenbaren. GPS-Navigationssensoren an den Brocken zeigten, dass sie meist langsam unterwegs seien - mit zwei bis fünf Metern in der Minute, berichtet die Gruppe um Norris im Wissenschaftsmagazin "Plos One". Von Mitte Dezember 2013 bis Ende Januar 2014 rutschte der mobilste Stein aber immerhin 224 Meter.
Die Entdeckung bestätigt Experimente, die Nasa-Forscher Gunther Kletetschka vor vier Jahren in seinem Aquarium durchführte. Und bereits vor 60 Jahren vermutete der Naturkundler George Stanley, dass Eisschollen die Felsen bewegten. Doch trotz harter Nächte an der Hochebene konnte er keinen Stein beim Wandern ertappen.
Dabei genüge eine milde Brise von drei Windstärken, um das Steinrennen zu eröffnen, schreibt Norris. Es mangelte allerdings meist an Eis, deshalb wanderten die Brocken nur selten. Jahrelang herrsche Stillstand auf der Steine-Rennbahn.