US-Pläne im Kalten Krieg 91 Atombomben auf Ziele in und um Berlin
Das US-Nationalarchiv hat eine Liste des Militärs aus den Fünfzigerjahren veröffentlicht. Sie zeigt die Ziele, die im Kriegsfall mit Atomwaffen angegriffen worden wären. Ost-Berlin sollte demnach "systematisch zerstört" werden.
"Ground Zero" - Lange vor den Anschlägen des 11. Septembers bezeichnete dieser Begriff einen Ort, an dem eine Nuklearexplosion stattgefunden hat. Die USA wollten im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion 91 "Ground Zeros" allein in Ost-Berlin herbeibomben.
Das geht aus einer Zielliste des US-Militärs aus dem Jahr 1956 hervor, die das National Security Archive nun veröffentlicht hat. Das 800-seitige Dokument führt alle potenziellen Ziele auf, die US-Atombomber 1959, also drei Jahre später, im Kriegsfall in der Sowjetunion, in Osteuropa und in China hätten angreifen sollen. Es ist das erste Mal, dass das US-Archiv eine so detaillierte Liste aus der Zeit des Kalten Krieges veröffentlicht.
Allein für Moskau führte das US-Militär 179 Ziele für Atombomben auf, für Leningrad werden 145 "designierte Grond Zeros" (DGZ) genannt.
Ziel: "Bevölkerung"
Ost-Berlin sollte nach den Planspielen der USA im Kriegsfall "systematisch zerstört" werden. Zu den 91 DGZ gehörten Elektrizitätswerke, Bahnhöfe, Treibstofflager, Fabriken sowie Radio- und Fernsehsender. Wie viele Waffen genau auf jedes einzelne Ziel abgeworfen werden sollten, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Doch sowohl für sowjetische Metropolen als auch für Ost-Berlin führte das US-Militär ein weiteres Angriffsziel auf. Es heißt schlicht: "Bevölkerung".
"Es ist verstörend zu sehen, dass Bevölkerungszentren als Ziel galten", sagt William Burr, Historiker an der George Washington University, der "New York Times". Seine Forschungsgruppe hat die Liste, die bislang als "top secret" klassifiziert war, nun erhalten. Die Anfrage hierfür war bereits 2006 gestellt worden.
Mit Atomangriffen auf Großstädte wollten die USA im Kriegsfall offenbar die Kampfmoral des Gegners schwächen - in der Hoffnung, den militärischen Konflikt dadurch zu verkürzen. Stephen I. Schwartz, langjähriger Direktor des "U.S. Nuclear Weapons Cost Study Project", schrieb bereits 1998 ein Buch über die Atomwaffen der Vereinigten Staaten. Er nennt die Zielliste "grauenvoll und einfach abstoßend".
Das nukleare Arsenal der USA wäre 1959 groß genug gewesen. Damals besaß Washington insgesamt Atombomben mit einer Sprengkraft von 20.000 Megatonnen. Zum Vergleich: Die Atombombe von Hiroshima hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen.
Katastrophale Folgen auch für West-Berlin
Aus den Unterlagen geht hervor, dass Ende der Fünfzigerjahre die schnelle Ausschaltung der sowjetischen Luftwaffe das wichtigste Kriegsziel der USA war. Die 1100 Luftwaffenbasen im Ostblock sollten ausgeschaltet werden, bevor die sowjetischen Bomber überhaupt abheben konnten.
Zu den 200 wichtigsten Zielen der US-Atombomber gehörten zahlreiche Militäranlagen in der DDR:
- Die Frontbomberbasis der sowjetischen Luftwaffe in Briesen, südlich von Berlin
- Der größte sowjetische Militärflugplatz in der DDR in Groß Dölln, nördlich von Berlin
- Der sowjetische Militärflugplatz in Welzow, südlich von Berlin
- Der Stützpunkt der 16. sowjetischen Luftarmee in Werneuchen, östlich von Berlin
- Der sowjetische Militärflugplatz in Oranienburg, am Stadtrand von Berlin
Im Kriegsfall wären diese Militäranlagen mit thermonuklearen Waffen bombardiert worden. Große Gebiete im Umfeld wären radioaktiver Strahlung ausgesetzt gewesen.
Unklar ist bislang, ob die US-Armee die Folgen der Atomangriffe für West-Berlin kalkuliert hatte. William Burr zweifelt daran: "Die Atombombenabwürfe auf Ost-Berlin und seine Vororte hätten unter anderem nuklear erzeugte Feuerstürme verursacht. Das hätte für West-Berlin katastrophale Folgen gehabt."