"Wir wussten es einfach nicht besser" Vietnam: Wie die Weltmacht ihren ersten Krieg verlor
Die Bilder vom 30. April 1975 schockierten die Welt: Fotos der letzten Hubschrauber, die vom Dach der US-Botschaft in Saigon abheben. Menschen, die sich in irrer Verzweiflung an die Kufen der Helikopter klammern. Es war die bildlich festgehaltene Schmach einer Weltmacht, die vor aller Augen offenbar wurde - und von der sich das Land nie wirklich erholt hat.
Vietnam besiegt Amerika, David bezwingt Goliath - der Vietnamkrieg markiert einen Wendepunkt in der US-Geschichte. Ein Krieg, der erstens selbstverschuldet und vollkommen unnötig und zweitens für die USA eigentlich bereits abgehakt war.
Ein Krieg gegen "Barfußkrieger"
Denn es war der damalige US-Außenminister Henry Kissinger, der zwei Jahre vor dem schmachvollen Ende eine Art Friedensvertrag mit Vietnam unterschrieben hatte - und dafür gefeiert wurde. Kissinger und der nordvietnamesische Unterhändler Le Duc Tho bekamen dafür zudem den Friedensnobelpreis zugesprochen. Kissinger nahm ihn an, sein Gegenüber lehnte den Preis ab - schließlich sei ein Frieden noch nicht erreicht.
Die USA mit ihrer hochgerüsteten Armee kämpften also weiter - und verloren schließlich den ungleichen Kampf gegen eine Dschungel-Guerilla. "Ich weigere mich zu glauben, dass eine viertklassige Macht wie Nordvietnam nicht an irgendeinem Punkt aufgeben muss", meinte Kissinger, der den Bombenkrieg über Vietnam Anfang 1972 und1973 hatte eskalieren lassen, damals. Seine Worte sollten stark und überzeugend klingen - im Grunde aber belegten sie nur seine Ratlosigkeit und die der Militärs.
Eine schlüssige und umfassende Erklärung, warum die Weltmacht USA damals im Sumpf des Krieges versank, und warum die stärkste Armee der Welt von "Barfußkriegern" (Kissinger) in die Knie gezwungen wurde, gibt es bis heute nicht.
Washington verwechselt Nationalismus mit Kommunismus
"Unter Historikern herrscht allgemein die Meinung, dass der Krieg ein Fehler war", sagt Prof. Philip Catton von der Ohio University. Zwei Lager beherrschten bis heute die Debatte. Einerseits die "Orthodoxen": Sie meinten, dass der Krieg für die USA im Kern nicht gewonnen werden konnte. Es sei ein Krieg gegen Guerillakämpfer gewesen, die nichts zu verlieren hatten, gegen ein "bewaffnetes Volk", das mit dem Willen der Verzweifelten und mit allen Mitteln gegen die Invasoren kämpfte - für die eigene Freiheit. Vor den USA hatten bereits China und Frankreich versucht, das alte Königreich Vietnam zu beherrschen - vergeblich!
Washington, so Catton, habe damals den Stellvertreter-Krieg in Indochina allzu sehr als Teil der globalen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und Vietnam als einen möglichen Dominostein gesehen, der unter die Herrschaft Pekings oder Moskaus fallen und damit eine Gefahr für die Verbündeten in der Region wie die Philippinen werden könnte.
"Doch der legendäre nordvietnamesische Führer Ho Chi Minh war mehr Nationalist als Kommunist", so Catton weiter. Ho sei es lediglich um die Einigung und Unabhängigkeit des Landes gegangen. Das sei in Washington, wo alles was in Vietnam vor sich ging unter kommunistischem Ideologieverdacht stand, aber so nie erkannt worden.
Anderseits, so Catton, meldeten sich die "Revisionisten" zu Wort. Sie meinten, der Krieg wäre sehr wohl zu gewinnen gewesen. Die USA hätten Nordvietnam nur noch mehr bombardieren und noch mehr Truppen in die Nachbarländer Kambodscha und Laos schicken müssen.
"Wir waren jung und fühlten uns unbesiegbar"
40 Jahre nach Ende des Vietnamkrieges: Schwarz wie die Nacht und schwarz wie die Trauer erhebt sich das Vietnam-Denkmal in Washington D.C. in den Himmel. Eine dunkle Wand, die drohend über die Köpfe der Besucher wächst. Die Namen aller 58.000 toten amerikanischen Soldaten sind hier eingraviert. "Boys" wurden die blutjungen Kerle damals genannt, oft waren sie gerade mal 20 Jahre alt, als sie nach Vietnam geschickt wurden.
Richard Crisci ist heute 73, ein kleiner, rundlicher Mann. Im Rückblick kann er sich nur wundern, wie unwissend und unbedarft viele seiner Generation damals in den Krieg zogen. "Wir waren junge Männer, die aus der High School kamen und wir fühlten uns, als seien wir drei Meter groß und als ob uns die Kugeln nichts anhaben könnten."
Dann fügt er hinzu: "Wir wussten es einfach nicht besser." Heute weiß er, dass er damals einfach Glück hatte - die Namen der toten Kameraden findet er in der schwarzen Mauer wieder.
Ein Krieg ohne Kriegserklärung
Auch eine fast 70-jährige Frau aus einem Vorort von Washington erinnert sich an die Bilder, die in den letzten Kriegstagen über die TV-Bildschirme flimmerten. "Der Krieg endete, wie er begonnen hatte - ohne Kriegserklärung am Anfang und ohne offizielle Erklärung am Ende", meint sie. Und ihre Gefühle, als sie die Bilder der überstürzten Flucht aus Saigon sah? "Ich weiß nur, dass ich irgendwie gar nicht sonderlich überrascht war."
"Vietnam-Syndrom" besteht bis heute
Was bleibt, ist das Zögern Amerikas, sich abermals schlecht vorbereitet in militärische Abenteuer zu stürzen. "Wir haben das Vietnam-Syndrom ein für alle Mal verscheucht", hatte der damalige Präsident George Bush Senior nach der Befreiung Kuwaits von Saddam Husseins irakischen Truppen im Februar 1991 gejubelt - doch er freute sich trotz der ersten US-amerikanischen Bodenoffensive nach Vietnam, der Operation "Desert Storm", zu früh. In Bosnien ließ sich Präsident Bill Clinton drei Jahre von den Europäern bitten, bis US-Truppen gegen die serbischen Milizen intervenierten - für viele bosnische Muslime kam das damals zu spät.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben die Furcht vor dem "Mission Creep", dem schleichende Hereinschlittern in einen Krieg der nicht zu gewinnen ist, wieder lebendig werden lassen. Zumindest für Präsident Barack Obama ist die Furcht vor militärischen Verwicklungen in Libyen oder Syrien zur bestimmenden Konstante seiner Amtszeit geworden. Obama war gerade 14 Jahre alt, als die Schockbilder der startenden Hubschrauber in Saigon um die Welt gingen. Auch er wird sie sich eingeprägt haben.