Der Fall Elisabeth Käsemann Der geduldete Mord
"Elisabeth Käsemann wurde mit angelegten Handschellen und einer Kapuze über dem Kopf in den Ort Monte Grande bei Buenos Aires transportiert und dort unter Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit durch Schüsse in Genick und Rücken aus unmittelbarer Nähe getötet."
So nüchtern schildert die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth den Mord an einer deutschen Studentin. Ein Dokumentarfilm zeigt: Ihr Tod hätte ohne Weiteres verhindert werden können - vor allem vom damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Doch dem ist Käsemann egal.
Die vergebene Chance
1977 wird eine 29-jährige Frau von der argentinischen Militärjunta verschleppt, vergewaltigt, gefoltert und schließlich getötet. Der deutsche Staat rührt keine Hand für die junge Frau. "Hätte sich ein hochrangiger Vertreter Deutschlands an die Militärjunta gewandt mit der Bitte, Elisabeth Käsemann freizulassen, wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit geschehen", sagt der argentinische Bundesrichter Daniel Eduardo Rafecas. Doch die Bundesregierung unternimmt gar nichts.
Die Dokumentation "Das Mädchen - Was geschah mit Elisabeth K.?", zu sehen am Donnerstag um 22.45 Uhr in der ARD, zeigt das Versagen gleich mehrerer Entscheidungsträger: den Zynismus des damaligen deutschen Botschafters in Buenos Aires, die unerträgliche Ignoranz deutscher Politiker, das opportunistische Mitwirken des Deutschen Fußballbunds an der Inszenierung einer mörderischen Militärdiktatur. Dafür bezahlt Elisabeth Käsemann mit ihrem Leben.
Im Folterlager der Junta
Käsemann geht aus idealistischen Gründen nach Südamerika: Neben ihrem Studium in Buenos Aires leistet sie Sozialarbeit in den Slums. Als sich 1976 das Militär an die Macht putscht, engagiert sie sich, verteilt Flugblätter und fälscht Dokumente. Für die Schergen des Militärs ist sie somit eine Terroristin. Am 8. März 1977 wird sie abgeholt und in das berüchtigte Folterlager "El Vesubio" am Stadtrand gesteckt.
"Es gibt keine Worte für das, was an diesem Ort geschehen ist", erläutert der Aufseher Roberto Zeolitti. "Es gibt nichts Schlimmeres als das, was man den Menschen dort angetan hat. Es war grausam. Es war pervers."
Die argentinischen Folterer prügeln und vergewaltigen ihre Opfer ohne Unterlass. Besonders häufig müssen die Gefangenen auf den "Grill", um dann mit der Picana, einem stromführenden Metallstab, gequält zu werden. "Man legte die Gefangenen auf einen Metalltisch, band sie dort fest an Händen und Füssen. Man gab ihnen mit der Picana Stromschläge. Am ganzen Körper; bei den Männern an den Hoden, bei den Frauen in der Vagina", schildert Zeolitti die gängige Praxis.
Außenministerium weiß schon früh Bescheid
Zwei Tage später wird auch ihre Freundin Diana Austin in das Folterlager gebracht, um Informationen über Käsemann zu erpressen. Doch sie kann "El Vesubio" schnell wieder verlassen: "Am nächsten Morgen brachten sie mich zurück in meine Wohnung. Sie vergewaltigten mich abwechselnd. Ich bin nur ein Mensch... - und dennoch musste ich immer denken: Ich lebe noch, aber was ist mit Elisabeth?"
Nach ihrer Freilassung informiert Diana Austin sofort die Eltern der deutschen Studentin. Und über die Familie ist spätestens am 22. März auch das deutsche Außenministerium über die Verschleppung und Folter der deutschen Staatsbürgerin informiert.
"Ach, das Mädchen Käsemann"
Doch der deutsche Staat sieht keinen Anlass, sich für Elisabeth Käsemann einzusetzen. Klaus Thüsing, damals als SPD-Mann im Bundestag, kann das nicht nachvollziehen: "Diana Austin kommt frei - aufgrund einer energischen Intervention der Botschaft sowie der Regierung Großbritanniens. Spätestens dann hätte doch die Überlegung im Auswärtigen Amt sein müssen: Wenn die frei kommt, dann müssen wir natürlich das Gleiche machen wie die Briten und ebenfalls versuchen, unsere Staatsbürgerin frei zu bekommen. Das wurde nicht gemacht!"
Doch der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher interessiert sich nicht für das Schicksal der jungen Frau. Auf eine Nachfrage seines damaligen Staatsministers im Auswärtigen Amt, Klaus von Dohnanyi, soll Genscher bloß geantwortet haben "Ach, das Mädchen Käsemann". Deutschland richtet keinen Krisenstab ein, es gibt weder Nachfragen noch Proteste.
Der damalige deutsche Botschafter in Buenos Aires, Jörg Kastl, unterstellt der Studentin sogar eine terroristische Gesinnung: "Ich glaube, sie wäre auch bereit gewesen, Bomben zu werfen", so Kastl. Ist das eine Legitimation, überhaupt nichts zu tun und die junge Frau im Stich zu lassen?
Attraktive Geschäftsbeziehungen mit der Junta
Die Gründe für diese fahrlässige Untätigkeit angesichts eines Menschen in unmittelbarer Lebensgefahr deutet der Film bloß an. Die USA hatten Argentinien gerade wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen mit einem Waffenembargo belegt. Die Bundesrepublik ist da weniger zimperlich: Deutschland wird zum wichtigsten Waffenlieferanten der Militärdiktatur. Lukrative Geschäfte für die Rüstungsindustrie, die sogar durch Hermes-Bürgschaften abgesichert sind.
"Wenn man die damaligen Verhandlungen über die Hermes-Bürgschaften und Lieferungen von Rüstungsgütern benutzt hätte, um zu sagen: 'Wenn ihr das haben wollt, dann müsst ihr Frau Käsemann freigeben', dann wäre das sicher ein Weg gewesen, um im Fall Käsemann zu helfen", sagt von Dohnanyi heute rückblickend.
DFB verschließt die Augen
Ein weiteres Druckmittel hätte wohl der Sport geboten. Die argentinische Militärregierung will mit einer perfekten Weltmeisterschaft 1978 im eigenen Land ihr Image aufpolieren. Als eine Art Generalprobe soll am 5. Juni 1977 ein Freundschaftsspiel gegen Deutschland stattfinden. Eine Absage des Spiels mit Hinweis auf die Verschleppung von Elisabeth Käsemann wäre für die Machthaber ein Desaster gewesen.
Doch DFB-Präsident Hermann Neuberger schweigt. Selbst als er noch vor dem Spiel erfährt, dass die junge Deutsche mittlerweile von den Folterern ermordet wurde, macht er gute Mine zum bösen Spiel. "Das ist mehr als eine Unterlassung und Anbiederung. Das ist Kollaboration mit dem Verbrechen", sagt der damalige Korrespondent des "Spiegel" in Argentinien, Helmuth Karasek.
Die damaligen Nationalspieler wissen beim Anpfiff noch nichts von Käsemanns Tod. Die Verantwortlichen sitzen eine Etage höher. Und die "haben nicht einmal ausgelotet, ob es überhaupt für den DFB eine Möglichkeit gegeben hätte, mit irgendjemandem zu verhandeln, mit irgendjemandem zu reden", sagt Paul Breitner, einer der aktiven Kicker von damals. "Es kann keiner sagen 'Ja, ich hab's versucht.' Ja verdammt: Wenn man da nicht empört sein soll, wann dann?"
Freikaufsangebot ausgeschlagen
Am 20. Mai 1977 gibt es für die deutsche Diplomatie die allerletzte Chance, das Leben von Elisabeth Käsemann zu retten. Über den deutschen Pfarrer in Buenos Aires, Armin Ihle, bietet die Junta einen Freikauf der Gefangenen an. "Doch diese letzte Chance hat man nicht einmal in Erwägung gezogen", berichtet Pastor Ihle fassungslos.
"Wenn man ein Freikaufsangebot ausschlägt, und weiß, dass man es mit einer Militärdiktatur zu tun hat, dann bedeutet das, dass man das Risiko der Ermordung eingeht. Oder: dass man sich sogar mitschuldig macht an der Ermordung", sagt Karsten Voigt (SPD), der als Mitglied des Bundestages die Geschehnisse damals noch genau vor Augen hat.
"Politisch einwandfrei verhalten"
In der Nacht vom 24. Mai wird Elisabeth Käsemann, zusammen mit 15 weiteren Gefangenen, von den Handlangern der Junta erschossen. "Ich denke, es ist nun höchste Zeit, dass Deutschland und all jene, die ihr Leben nicht retten konnten, Rechenschaft ablegen, für das, was sie getan - oder eben nicht getan haben", hofft ihre ehemalige Freundin Diana Austin.
Der hauptverantwortliche deutsche Politiker im Fall Käsemann, der Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, hat dem Filmemacher der äußerst sehenswerten Dokumentation übrigens kein Interview gegeben. Das Auswärtige Amt legt Wert auf die Behauptung, sich im Fall Käsemann politisch einwandfrei verhalten zu haben. Auch der Deutsche Fußballbund weist jegliche Verantwortung von sich.